Der kürzeste Weg

Im Römerbrief sagt der Apostel Paulus: „Seit Erschaffung der Welt wird Gottes unsichtbare Wirklichkeit an den Werken der Schöpfung mit der Vernunft wahrgenommen, seine ewige Macht und Gottheit. Daher sind sie (die Gottesleugner) unentschuldbar.“ Der denkende Menschenverstand kann die Existenz Gottes durch die Dinge der Natur mit Sicherheit erkennen. Aber das innere Wesen Gottes können wir weder durch die Dinge der Natur erkennen, noch mit unserem Verstand erforschen. Dazu ist sein geistiges Licht zu schwach. Ein Vergleich soll uns das veranschaulichen: Wir können mit unserem Auge die Sonne wahrnehmen und somit erfahren, dass sie existiert. Aber das Innere der Sonne bleibt für unser Auge unerforschbar. Wer es dennoch ohne Apparatur versuchen wollte, würde bald erblinden. So kann unsere Vernunft die Existenz Gottes zwar erkennen, aber in sein Wesen und innergöttliches Leben kann sie nicht eindringen. Das bleibt für uns ein unerforschbares Geheimnis. So sehr der Gottesforscher sich abmüht, Erkenntnis an Erkenntnis zu fügen, muss er schließlich gestehen: „Teile halte ich in meiner Hand, fehlt leider nur das einigende Band!“ 

Es geht uns wie den Blinden mit dem Elefanten. Die alten Brahmanen Indiens erzählen folgende merkwürdige Fabel: „In einem Dorf wohnten lauter Blinde. Da kam eines Tages ein Elefant aus dem Dschungel in das Dorf. Die Leute hatten schon von solchen Tieren gehört, konnten sich aber keinen Elefanten vorstellen, weil sie als Blinde nie ein solches Tier gesehen hatten. Sie kamen herzu und betasteten den Elefanten. Der eine ergriff den Rüssel und meinte, das Tier sei wie der Stamm einer Platane. Ein zweiter berührte das Ohr und behauptete, der Elefant sei wie ein Fächer, mit dem man den Reis reinigt. Ein dritter ergriff den Schwanz und erklärte, es sei kein großer Unterschied zwischen dem Elefanten und einer Schlange. Ein vierter befühlte ein Bein und dachte, das sonderbare Wesen gleiche einer Säule. Die Lehre dieser Fabel ist einfach: Gott gegenüber sind wir alle Blinde. Wir können seine Existenz mit Sicherheit erkennen, aber sein Wesen und innergöttliches Leben bleiben uns verborgen. Nicht einmal im Himmel werden wir Gott ganz begreifen können. Wir werden wohl von Erkenntnis zu Erkenntnis schreiten und damit von Seligkeit zu Seligkeit, dennoch werden wir auch in der Ewigkeit damit nicht zu Ende kommen. Gott wird für uns auch dort der Geheimnisvolle bleiben. Er bleibt eben für immer und ewig unendlich größer als der Mensch und sein Begreifen.

Können uns also weder die Natur noch unsere Vernunft über das innere Wesen Gottes Aufschluss geben, so gibt es eine dritte sichere Erkenntnisquelle: Die Selbstoffenbarung Gottes! Gott hat sich durch Jesus Christus, seinen menschgewordenen Sohn, geoffenbart. So wurde der Schleier des Geheimnisses ein wenig gelüftet. Erst seit Jesus Christus wissen wir, dass der eine Gott, der über alles Geschaffene erhaben ist, nicht der ewig Einsame war und bleibt, sondern in drei Personen lebt und regiert. Christus hat uns das Geheimnis der Allerheiligsten Dreifaltigkeit kundgetan. Von allein wären wir nie darauf gekommen. Dieses Geheimnis Gottes ist für uns von größter Wichtigkeit: Wurden wir doch auf den Namen des Dreieinigen Gottes getauft. Somit sind wir Kinder des dreifaltigen Gottes und Erben seines ewigen Reiches.

Wir werden das Wesen Gottes mit unserem Verstand nie begreifen. Ist das für uns ein Verlust? Weit wichtiger als das Erforschen Gottes ist für uns, dass wir ihn lieben und ihm rückhaltlos dienen. Das ist es, worauf es von unserer Seite ankommt. Mit der Liebe ist es wie mit dem Wind: Er löscht das Kerzenlicht aus, entfacht aber die Flamme zum Brand. So tötet das Leid die schwache Liebe, entflammt aber die große. Wählen wir den kürzesten Weg! Es ist der Weg der Liebe zum dreifaltigen Gott, auf den wir getauft sind.