Der Spionage verdächtigt und angeklagt

Zum 70. Todestag des rumäniendeutschen Politikers der Zwischenkriegszeit Rudolf Brandsch – Teil 1

Der Militärstaatsanwaltschaft wird der Tod von Rudolf Brandsch mitgeteilt.Quelle: ACNSAS, Dossier P 1191, Bd. 7, S. 161.

Dem vom Bukarester Volksrat ausgestellten Totenschein zufolge verstarb Rudolf Brandsch (1880–1953) am 17. September, 6 Uhr. Dieses Todesdatum wurde der Militärstaatsanwaltschaft fünf Tage später mitgeteilt – ist seiner Akte im Archiv des CNSAS (Arhiva Consiliului Național pentru Studierea Arhivei fostei Securității /Archiv des Nationalen Rats für das Studium der Archive der ehemaligen Securitate) zu entnehmen. Anhand der Akte kann rekonstruiert werden, dass am 8. September 1953 seine Einlieferung ins Gefängnisspital Văcărești angefordert worden war, „da er der medizinischen Behandlung dringend bedarf“. Die Überstellung erfolgte am 14. September.  

Rudolf Brandsch war in der Nacht vom 14. zum 15. April 1952 in seiner Wohnung in Hermannstadt/Sibiu verhaftet und der Generaldirektion der Securitate überführt worden. Die Verhöre begannen drei Tage später. Aufgrund der Untersuchungen sollten Beweise im Fall zweier Verdächtigungen gefunden werden: a) der Besorgung von Pässen und Ausreisegenehmigungen für Ausreisewillige, was als Werbung für die Ausreise nach Österreich galt; b) der Übermittlung von Informationen über die Lage der deutschen Minderheit sowie der allgemeinen Situation in Rumänien an diplomatische Vertreter westeuropäischer, sprich feindlicher Staaten. Brandsch wurde schließlich zusammen mit weiteren zwanzig Personen in einem Gruppenprozess des Vaterlandsverrats angeklagt. Gruppenprozesse sind ein Merkmal der stalinistischen Justiz, ihre Inszenierung, die Konstituierung von Gruppen und die erfundenen Anklagen sollten beweisen, welcher Gefahr die jungen Volksdemokratien seitens „verbrecherischer Banden“ ausgesetzt waren. Die Anklage erfolgte am 9. Oktober 1953, das Urteil gegen die Gruppenmitglieder wurde am 2. November 1953 ausgesprochen. Rudolf Brandsch war zu diesen Zeitpunkten (wie weitere zwei Angeklagte) bereits tot. 

Wer war Rudolf Brandsch?

Rudolf Brandsch wurde am 22. Juli 1880 in Mediasch geboren, studierte Theologie und Philosophie (Lehrfächer: Deutsch und Latein) an den Universitäten Marburg, Klausenburg/Cluj-Napoca, Berlin und Jena, legte 1904 in Hermannstadt/Sibiu die theologische Prüfung ab, ging aber ins Lehramt, das er 1913 wegen seiner politischen Tätigkeit auf Druck der ungarischen Behörden verlassen musste. In die Politik stieg Brandsch 1907 ein, 1910 bis 1918 war er Abgeordneter im ungarischen Reichstag und sodann 1919 bis 1933 im rumänischen Abgeordnetenhaus. Von Frühjahr 1931 bis Herbst 1932 hatte er das Amt eines Unterstaatssekretärs für Minderheitenfragen in den Regierungen Nicolae Iorga (18. April 1931 bis 5. Juni 1932) und Alexandru Vaida-Voievod (6. Juni 1932 bis 20. Oktober 1932) inne. 1933 wurde er ins Parlament nicht wiedergewählt. Als Vertreter der Leipziger Firma für Landmaschinen „Sack“ blieb er in Bukarest und trat 1934 in den Staatsdienst als Verwaltungsgeneralinspektor im Innenministerium („inspector general administrativ“) ein, von wo er 1939 in Rente ging. Er blieb politisch umtriebig und war in verschiedenen Wirtschaftsunternehmen bzw. Gesellschaften beteiligt. 1946 zog er aus Bukarest nach Hermannstadt um. 

In seiner politischen Tätigkeit hatte Brandsch von Anfang an nicht bloß die Siebenbürger Sachsen im Blick. Mit dem Banater Landwirt Johann Röser leitete er bis zum Ersten Weltkrieg den von beiden gegründeten „Deutschen Bauernbund in Ungarn“, 1919 bis 1922 war er Vorsitzender der „Deutschen Parlamentsfraktion“ im rumänischen Parlament und 1921 bis 1931 Vorsitzender des 1919 gegründeten „Verbands der Deutschen in Großrumänien“. 1922 konstituierte er den „Verband der Deutschen Volksgruppen in Europa“ und war 1922 bis 1931 dessen Präsident. 1924 bis 1930 vertrat er als Delegierter die Deutschen Volksgruppen im Kongresspräsidium des von ihm mitbegründeten „Europäischen Nationalitätenkongresses“ in Genf und 1925 bis 1931 war er Delegierter im ständigen Ausschuss der deutschen Abgeordneten im Deutschen Reichstag, der Tschechoslowakei und Österreich. Er war Schriftleiter mehrerer Periodika und Verfasser zahlreicher Schriften. Brandsch war ursprünglich Vertreter des Kleinbürgertums und der Bauern, gehörte in Bukarest dann aber den rumänischen Wirtschafts- und Politikkreisen an und hatte gute Kontakte zu Wirtschafts- und politischen Repräsentanten des deutschsprachigen Auslands.   

Brandsch in der Securitate-Akte

Wie die meisten Politiker wurde auch Rudolf Brandsch in der Zwischenkriegszeit von den rumänischen Sicherheitsdiensten beobachtet. Deren Informationen werden von den sich nach NKWD-Muster organisierenden Überwachungsdiensten (aus denen die Securitate im August 1948 entstand) nach dem 23. August 1944 übernommen. In deren Augenmerk stand er seit Juni 1946. Negativ zu Buche schlagen außer der Tatsache, dass er Kabinettsmitglied und Inspektor im Innenministerium gewesen war, seine Sympathie für die 1947 aufgelöste Nationale Bauernpartei und ihren zu lebenslanger Haft verurteilten Vorsitzenden Iuliu Maniu als auch seine wiederholten Reisen ins Ausland und Kontakte zu deutschen und österreichischen Politikern und Journalisten. Aktuell suspekt war, dass er Ausreisevisa besorgte, weshalb er oft zu Gesandtschaften in Bukarest sowie im Land herumreiste. 

Eine erste Hausdurchsuchung erfolgte am 14. November 1946, überwacht wurde er seit 1948, die Verhaftung erstmals 1950 vorgeschlagen. Eine erneute Festnahme wurde im Januar 1951 vorgeschlagen, in jenem Jahr erfolgte seine Beschattung. Verhaftet wurde er im Jahr danach. In die dem Militärgericht vorgelegte Untersuchungsakte („dosar de anchet²“) sind 19 Protokolle von Verhören Brandschs aus der Zeitspanne 17. April bis 9. Mai 1952 sowie des letzten Verhörs am 19. Mai 1953 aufgenommen worden. Wie die Verhöre in den kommunistischen Gefängnissen abliefen und Protokolle zustande kamen, ist aus Berichten zahlreicher Betroffener bekannt. Brandsch hat vermutlich – wie viele andere Festgenommene, sich keiner Schuld bewusst – gemeint, wenn er offen über seine Vergangenheit und Kontakte berichte, werde er der Folter und Strafe entgehen, wie es die verhörenden Offiziere versprochen haben. Das Gegenteil war der Fall: Jede Aussage wurde umgedeutet und führte zu weiterem Nachbohren und Interpretieren. Brandsch muss psychisch und physisch zermürbt worden sein, denn die protokollierten Aussagen über die den österreichischen diplomatischen Vertretern mitgeteilten Informationen muten teilweise der Phantasie entwachsen an. Die Ergebnisse der Untersuchung des Falles Rudolf Brandsch sind in einem sechs Seiten langen Bericht zusammengefasst, der das Datum des 20. Mai 1953 trägt. Dessen Schlussfolgerung lautet: Rudolf Brandsch sei ein altbekannter Spion in Diensten ausländischer imperialistischer Mächte, der nach dem 23. August 1944 an Diplomaten der politischen Vertretung Österreichs in Bukarest geheime Informationen übermittelt hat, weswegen er vor Gericht gestellt werden soll. 

Pro memoria: Hans Otto Roth (1890-1953), der andere wohl bedeutendste und bekannteste Politiker der Siebenbürger Sachsen der Zwischenkriegszeit, war ebenfalls am 15. April 1952 in Hermannstadt verhaftet worden. Er starb am 1. April 1953 – auch im Gefängnis in Bukarest.