„Die Erinnerungskultur ist ein Schlachtfeld…“ 

Tagung zur jüngeren Geschichte Rumäniens in der Evangelischen Akademie Siebenbürgen

Dr. Mihai S. Rusu stellte die Problematik der Geschichtsaufarbeitung im öffentlichen Raum in Rumänien vor. Fotos: Roger Pârvu

Dr. Iuliana Cindrea-Nagy sprach über die Verfolgung neoprotestantischer Glaubensgemeinschaften in Rumänien während der kommunistischen Diktatur.

Dr. Andrei Dălălău thematisierte die deutschsprachigen Literaturkreise in Hermannstadt.

Das Spannungsfeld zwischen Geschichtsaufarbeitung und Erinnerungskultur ist eines der wichtigen zeitgenössischen Themen. Wie geht man mit der Geschichte des eigenen Umfelds, der eigenen Stadt, des eigenen Volkes um? Was und wie wird an die nächsten Generationen weitergegeben? Die Fragen stellen ein breitgefächertes Themenfeld dar. Die Evangelische Akademie Siebenbürgen organisiert seit 2016 mit Unterstützung der Hanns-Seidel-Stiftung eine jährliche Tagung, die jungen, aber auch erfahrenen Forschern die Möglichkeit bietet, ihre neusten Erkenntnisse in der Aufarbeitung der jüngeren Geschichte Rumäniens vorzustellen und sich dazu auszutauschen. 

Die diesjährige Tagung fand zwischen dem 28. und dem 30. September 2023 im Tagungs- und Konferenzzentrum „Hans Bernd von Haeften“ statt und trug den Titel: „Politische Gewalt und Modelle der Erinnerung in Osteuropa in der kommunistischen und der postkommunistischen Zeitspanne.“

Thematisiert wurden nicht nur die Vorgehensweisen des Unterdrückungsapparates während der kommunistischen Diktatur, sondern auch Modelle der Erinnerung, die sogar von der Nomenklatura eingesetzt wurden, wie auch funktionierende Modelle, die nach 1989 in Rumänien aufgebaut wurden. 

Die Art, wie auf musealem Weg die kommunistische Partei mit der eigenen Geschichte vor der Machtergreifung umgegangen ist, war Inhalt des Vortrages von Dr. Cristian Vasile, welcher den Titel „Vorkommunistische Gewalt, dargestellt in den Geschichtsmuseen der kommunistischen Partei“ trug. Anhand des Konzepts des Aufbaus des Museums der Geschichte der Kommunistischen Partei zeigte der Referent auf, wie die kommunistische Partei sich eine eigene Geschichte erdichtete und wie sie diese mit musealen Mitteln darstellte und verbreitete. 

Ein wichtiger Teil der Tagung beschäftigte sich mit der Geschichte der ethnischen Minderheiten während der kommunistischen Diktatur, der dazugehörenden Aufarbeitung, sowie der noch zu verspürenden Folgen. So sprach Dr. Lönhart Tamas über den Bogen, der sich aus den 1960ger Jahren bis in die Gegenwart spannt, was die Idealisierungsdiskurse und das Selbstopferbild in den Reihen der ungarischsprachigen Elite in Rumänien betrifft. Tamas stellt fest, dass anhand mancher historischer Gestalten der ungarischen Geschichte manche Konzepte seit der stalinistischen Periode der rumänischen Diktatur bis in die Gegenwart, teilweise sogar ohne jedwelche Abwandlung, transportiert werden. Diese werden sowohl von Kreisen der in Rumänien lebenden ungarischen Minderheit aufrechterhalten, aber auch durch externen Einfluss, seitens FIDES zum Beispiel, gefördert. 

In dem Vortrag von Dr. Andrei Dălălău, „Die deutschsprachigen Literaturkreise in Hermannstadt unter der Überwachung der Securitate (1968-1979)“, wurde nicht nur das rege literarische Leben in der Stadt am Zibin thematisiert, sondern auch die Konflikte zwischen den unterschiedlichen Kreisen und Strömungen innerhalb der literarischen Welt der deutschen Minderheit angesprochen. Dargestellt wurde auch die entscheidende Rolle, die Carl Göllner (Deckname „Florescu“) mit seinen an die Securitate gelieferten Informationen in unterschiedlichen Kontexten gespielt hat.       

Die Thematik der Verfolgung von religiösen Gemeinschaften wurde in den Vorträgen von Dr. Iuliana Cindrea-Nagy und Virgiliu Bârlădeanu dargestellt. Cindrea-Nagy sprach über die Problematik der neoprotestantischen Kirchen im kommunistischen Rumänien, wobei Bârl²deanu die Verfolgung der Zeugen Jehovas in der Republik Moldau vorstellte. In der Gegenüberstellung konnte bemerkt werden, dass beide kommunistische Diktaturen ähnliche Konzepte verinnerlicht hatten und fast identische Unterdrückungsmechanismen entwickelt haben. 

Mit der zeitgenössischen Aufarbeitung der Geschichte auf unterschiedlichen Ebenen beschäftigten sich mehrere Vorträge im Laufe der Tagung: so wurde das Konzept des Memorials in Sighetul-Marmației, aber auch kleinere oder größere museale Initiativen in der Republik Moldau vorgestellt. Mit einer ähnlichen Thematik setzten sich die Vorträge von Dr. Claudia Florentina Dobre und Dr. Manuela Marin auseinander, die beide unterschiedliche Aspekte der Entschädigungspolitik für die Opfer der kommunistischen Diktatur analysierten. Der Umgang mit der Geschichte im öffentlichen Raum war Thema des Vortrages von Dr. Mihai S. Rusu, welcher anhand der Beispiele der Büste von Octavian Goga in Jassy/Ia{i und der Büste von Mircea Vulcănescu in Bukarest veranschaulichte, wie mangelnde Aufarbeitung zu falschen Geschichtsbildern führen kann, aber auch, welche Gesetzeslücken eine „Verehrung“ von Gestalten wie Ion Antonescu im öffentlichen Raum heute noch möglich machen. 

Als Fazit der von der Hanns-Seidel-Stiftung und dem Konsulat der Bundesrepublik Deutschland in Hermannstadt/Sibiu geförderten Tagung kann gesagt werden, dass die allgemeinen Tendenzen in der Aufarbeitung der jüngeren Geschichte in Rumänien in die korrekte Richtung gehen, doch muss intensiver an der Breitenwirkung der wissenschaftlichen Erkenntnisse gearbeitet werden, so dass diese nicht nur auf Fachkreise reduziert bleiben, denn „die Erinnerungskultur bleibt ein Schlachtfeld“, wie Dr. Virgliu Șârău in seinem Vortrag bemerkte, und ist weiterhin starken Instrumentalisierungstendenzen ausgesetzt.