Die europäische Kulturhauptstadt als Magnet für ausgewanderte Temeswarer

Gespräch mit den ehemaligen Lenau-Schülern Halrun Reinholz und Călin Piescu

Călin Piescu wurde 1962 in Temeswar geboren, er besuchte bis 1980 das „Nikolaus Lenau”-Lyzeum und anschließend das Polytechnische Institut „Traian Vuia” in Temeswar. Im Juni 1990 wanderte er nach Deutschland aus. Seit 2003 lebt er in Wien. In der Zwischenzeit ist Piescu auch Absolvent des Masterstudiums Foto-Video innerhalb der Kunst- und Designfakultät an der West-Universität Temewar und hat mittlerweile drei Einzelausstellungen, er nahm aber auch an mehreren Gruppenausstellungen für Fotografie teil. Nun hat C²lin Piescu eine neue Ausstellung in Temeswar. In der Temeswarer Galerie „Park” kann bis zum 3. November seine Fotoausstellung „Viena. O nou² zi” („Wien. Ein neuer Tag”), von Montag bis Freitag, zwischen 9 und 16 Uhr, besichtigt werden. Foto: Alexandru Macavei

Halrun Reinholz wurde 1961 in Temeswar geboren. Sie besuchte von 1976 bis 1978 das „Nikolaus Lenau”-Lyzeum. Sie wanderte mit ihrer Familie 1978 nach Deutschland aus, wo sie die Schule in Karlsruhe beendete. Anschließend studierte sie Germanistik, Romanistik und Ethnologie an der Universität Wien und der LMU München. Halrun Reinholz war zunächst wissenschaftliche Mitarbeiterin am Bukowina-Institut in Augsburg, arbeitete danach im Bereich der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der Stadt Augsburg sowie als Journalistin. Seit 2016 ist sie hauptberuflich bei der Landsmannschaft der Banater Schwaben in Deutschland tätig, derzeit Redakteurin der Banater Post in München. Sie ist seit der Gründung (2008) stellvertretende Vorsitzende des Vereins der Freunde der Lenauschule e.V. Sie hat wiederholt Vorträge zur Geschichte und Kultur der Banater Schwaben gehalten oder Beiträge zum Thema geschrieben und ist Hauptautorin von „Die Lenauschule sind wir”, dem Dokumentationsbuch, das anlässlich des 150-jährigen Jubiläums des „Nikolaus-Lenau”-Lyzeums in diesem Frühjahr erschienen ist. Foto: Wanadis Holzinger

In den ersten sechs Monaten als europäische Kulturhauptstadt ist Temeswar/Timi{oara, laut offiziellen Daten von rund 180.000 Menschen besucht worden. In der ersten Jahreshälfte wurde die Stadt auch von vielen Touristen aus dem Ausland besucht - die meisten kamen aus Deutschland und Österreich, so die Angaben im August. Fakt ist, dass im europäischen Kulturhauptstadtjahr Temeswar für viele ausgewanderte Rumäniendeutsche ein echter Magnet war. Die große „Lenau”-Feier – das 153-jährige Jubiläum der Schule im Mai - oder die Heimattage der Banater Deutschen im Juni brachten in diesem Jahr mehr Vertreter der deutschen Minderheit, die vor vielen Jahren Rumänien verlassen haben, zurück in ihre alte Heimat als je zuvor. 

Zwei der ausgewanderten Rumäniendeutschen, die auch nach Jahrzehnten den Kontakt zu ihrer Heimat nicht verloren haben, sind Halrun Reinholz und Călin Piescu. Die beiden ehemaligen Lenau-Schüler engagieren sich aus der Ferne für ihre Heimatstadt Temeswar, für ihre alte Schule, das „Nikolaus Lenau”-Lyzeum, und allgemein für das Banat. Über ihre Heimatstadt und aktuelle Kulturhauptstadt Europas hat sich die ADZ-Redakteurin Andreea Oance mit den beiden ausgewanderten Temeswarern unterhalten.


Warum ist Temeswar für Ausländer sehenswert?

Halrun Reinholz (H.R.): Temeswar ist eine lebendige Stadt, die viel zu bieten hat. Ich war gerade erst mit Stadtführer-Kolleginnen aus Augsburg in Temeswar, weil sie neugierig auf die Kulturhauptstadt waren. Sie waren restlos begeistert von der lockeren Atmosphäre, dem schönen Stadtbild und dem guten kulinarischen Angebot. 

Vor einigen Jahren bin ich mit Touristengruppen durch  Rumänien gereist und habe die Reise bewusst in Temeswar enden lassen. Trotz vieler schöner Orte, die sie gesehen hatten, war Temeswar sowas wie ein Höhepunkt. Einfach eine tolle Stadt, die sich als Reiseziel nicht verstecken muss.

Călin Piescu (C.P.): Temeswar ist, objektiv gesprochen, eine schöne Stadt! Ich finde, dass man hier die Architektur, besonders das Wiener Barock und die Sezession, bewundern kann. Außerdem kann man auf einer Terrasse am Domplatz oder dem Corso sitzen und das gute Wetter genießen. Man kann vom Mocioni-Park in der Fabrikstadt zweieinhalb Kilometer bis zum Scudier-Park (Zentralpark) der Bega entlang schlendern, was ich zumindest für rumänische Städte beson-ders finde. Auch wenn die Umgebung der Stadt durch die Tiefebene nicht beson-ders attraktiv ist: Die Stadt selbst bietet wirklich schöne Möglichkeiten für lange Spaziergänge.

Mit Sicherheit ist das Deutsche Staatstheater für deutschsprachige Besucher Temeswars eine besuchswerte Kultureinrichtung, aber auch für andere Ausländer bieten die Philharmonie und die Oper interessante Programme. Ebenso das Nationale Kunstmuseum und die verschiedenen Kunstgalerien –  die Brân-cu{i-Ausstellung in Temeswar derzeit ist eine Ausstellung auf Weltniveau. Das Stadtbild wird auch durch die vielen jungen Menschen, besonders Schüler und Studenten, geprägt, was eine lebhafte Atmosphäre mit einem südländischen, mediterranen Flair erzeugt. 

Wieso, glauben Sie, war die Stadt ein Magnet für ausgewanderte Rumäniendeutsche im Jahr 2023?

H.R.: In der Corona-Zeit mussten viele Veranstaltungen der Banater Schwaben ausfallen. Nicht nur unsere große Feier zum Jubiläum des Lenau-Lyzeums, sondern auch die vielen Feiern der HOGs in ihren ehemaligen Heimatdörfern. Viele wurden bewusst 2023 nachgeholt, wegen der Kulturhauptstadt und auch, um die Heimattage noch „mitzunehmen”. Da kam einfach viel zusammen. Interessant ist, dass auch zu unserem Lenau-Treffen  einige Leute aufgetaucht sind, die schon viele Jahre nicht mehr in Temeswar waren. Auch sonst habe ich das von vielen gehört, dass sie „endlich wieder” ins Banat fahren wollten. Das war vielleicht die „Sogwirkung” der vielen Anlässe, die sie dazu animiert hat. Und ich kenne keinen, der es bereut hat, da gewesen zu sein.

C.P.: Zum Einen sind die Reisebeschränkungen der letzten zwei Jahre weggefallen. So hatten die Leute einen Nachholbedarf zum Reisen und Entspannen. Zweitens spielt Temeswar als Europäische Kulturhauptstadt eine sehr wichtige Rolle. Ich kenne persönlich viele ehemalige Klassenkollegen, die mir gesagt haben, dass sie dieses Jahr extra deshalb nach Temeswar reisen werden. Manche haben das große Lenau-Treffen zum Anlass dazu genommen, andere sind ein, zwei Wochen davor oder danach gekommen und mehrere von ihnen haben auch Bekannte und Freunde aus Deutschland auf diese Reise mitgenommen. Es war die Neugier, wie sich die Stadt als Kulturhauptstadt Europas vorstellt und mit Sicherheit haben auch die Nostalgie und der Stolz eine gewisse Rolle dabei gespielt. Die meisten von uns sind Temeswarer geblieben, auch wenn wir vor Jahrzehnten ausgereist sind. Die Kindheits- und Jugenderinnerungen sind geblieben und es bleiben immer fast ausschließlich die schönen Erinnerungen, denn, man muss ehrlich sein, die 70er und 80er waren hier keine schönen Zeiten.

Wie kann man die Stadt aus der Ferne fördern?

H.R.: Indem man darü-ber spricht. „Kulturhauptstadt” ist ein gutes Signalwort. In Augsburg, wo die Banater Schwaben sehr aktiv sind, haben wir uns im Mai mit einem Vortrag über Temeswar an den stadtweiten „Europawochen” beteiligt. Dort erreicht man auch Leute, die uns nicht kennen und nur kommen, um etwas über die Kulturhauptstadt zu erfahren. Danach haben wir viele gute Rückmeldungen bekommen. Aber auch im privaten Umfeld habe ich immer Werbung für Temeswar gemacht. Gerade unter jungen Leuten, die einfach neugierig sind und gerne was Neues kennenlernen. 

C.P.: Im Allgemeinen hilft das „persönliche Marketing” sehr, ein Beispiel dafür: Die Werbung für Temeswar durch die Rumäniendeutschen, aber auch durch die ausgewanderten Rumänen - das Bekennen und Bezeugen der Herkunft. Ich war sehr angetan, als ich den Nobelpreisträger, Prof. Stefan Hell, gehört habe, wie er ganz überzeugt und stolz den Lenau-Schülern von seinen sechs Monaten in der Lenau-Schule erzählt hat, wie sie ihn geprägt haben, wie sein Lehrer, Herr Göbel, ihn endgültig für Physik überzeugt hat. So eine Werbung ist unbezahlbar. Auch Ioan Holender ist ein überzeugter Temeswarer und wie sie sind noch viele andere, die vielleicht nicht ganz so prominent sind. Im Geschäftsleben heißt es: „Ein begeisterter Kunde bringt sieben neue Kunden”. Ähnliches wird auch hier gelten, wenn wir, Temeswarer von gestern und heute, mit Begeisterung über unsere Heimatstadt sprechen.

Wie möchte der Verein der Freunde der Lenauschule e.V. die Lenau-Schule weiterhin unterstützen?

H.R.: Ich hoffe, das funktioniert so wie bisher auch. Die neue Schulleiterin Mona Mateiu ist ebenfalls eine ehemalige Lenau-Schülerin, die viele von uns Vereinsmitgliedern noch aus der Schulzeit kennen. Wir werden mit ihr und mit den anderen Lehrerinnen und Lehrern an der Schule bestimmt gut zusammenarbeiten. Das Wichtigste ist der ständige persönliche Kontakt: Wir können die Schule nur unterstützen, wenn wir wissen, was gebraucht wird. Dabei geht es nicht nur um Möbel und Bücher oder technische Ausstattung. Viel nachhaltiger ist, glaube ich, die Unterstützung durch unsere Förderpreise für Schüler - Kappler-, Walbert- bzw. Chef/Boss-Preis - die unsere Vereinsmitglieder gestiftet haben. Auch das neue Erich-Pfaff-Stipendium, das vom Stifter Reiner Sattinger nun erstmals über den Verein vergeben wurde, ist das Ergebnis unseres Netzwerks. Über unsere Vereinsmitglieder wurden auch Austauschbegegnungen von Schülern und Schulpartnerschaften ins Leben gerufen, die weiter laufen. Als in Deutschland registrierter Verein haben wir außerdem die Möglichkeit, Fördergelder abzurufen, die der Schule zugute kommen, z.B. bei der Renovierung der „Hessen-Räume” im ehemaligen Internat. Das alles wollen wir fortsetzen, so lange unsere Möglichkeiten es erlauben. Die Zukunft des Vereins liegt allerdings in den Händen der jüngeren Lenau-Generationen der Jahrgänge nach 1990, die in Rumänien, aber teils auch in Deutschland oder Österreich leben. Die haben noch kaum den Weg zu uns gefunden. Aber auch sie könnten dazu beitragen, ihre ehemalige Schule zu unterstützen und das Netzwerk zu stärken. Da müssen wir in Zukunft vielleicht mehr Werbung machen. Denn das Prinzip des Alumni-Vereins ist altbewährt und funktioniert, wie wir sehen, auch bei der Lenau-Schule ganz gut.


Dieser Beitrag wurde durch die Finanzierung „Energie! Kreative Stipendien”, die von der Stadt Temeswar über das Projektezentrum im Rahmen des nationalen Kulturprogramms „Temeswar - Kulturhauptstadt Europas 2023” gewährt wird, verfasst. Die Erstellung gibt nicht unbedingt den Standpunkt des Projektezentrums der Stadt Temeswar wieder und das Zentrum ist nicht verantwortlich für den Inhalt des Beitrags oder für die Art und Weise, wie dieser verfasst wurde.