Die Hauptstadt des Nichts oder das Banat als vergangene Erinnerung

Eine Anklage kurz vor Beginn des Temeswarer Kulturhauptstadt-Jahres

Ein Totem im Hof des zum Veranstaltungssaal umfunktionierten Straßenbahndepots: In wenigen Tagen beginnt Temeswars Kulturhauptstadt-Jahr und an neuer Kulturinfrastruktur kann die Stadt so gut wie nichts bieten. | Foto: Astrid Weisz

In wenigen Tagen wird Temeswar Europäische Kulturhauptstadt, gemeinsam mit der mittelgroßen ungarischen Stadt Wesprim/Veszprém und der Plattensee-Region sowie einem von Industrie geprägten Vorort der griechischen Hauptstadt, dem antiken Eleusis/Elefsina. 2021 hätte Temeswar den 2016 vergebenen Titel tragen sollen, doch bekannterweise kam es wegen der Covid-19-Pandemie anders. Was man in Wesprim und Eleusis aus dem Kulturhauptstadt-Jahr machen wird, kann der Autor dieser Zeilen nicht ahnen, sicher ist er sich aber, dass sich an der Bega ein Reinfall abzeichnet, der zwar seinesgleichen suchen dürfte, jedoch niemanden überraschen müsste.

2011 kam in Temeswar der Gedanke erstmals auf, für den Titel einer Europäischen Kulturhauptstadt zu kandidieren. Bürgermeister Gheorghe Ciuhandu, der damals auf das letzte seiner insgesamt 16 Jahre an der Spitze der Stadtverwaltung blickte, ließ sich für das Projekt nur mäßig begeistern, von Anfang an war das Ganze eher ein Vorhaben der Zivilgesellschaft. Ciuhandus Nachfolger Nicolae Robu unterstützte ab 2012 das Projekt, weil es ihm politisches Kapital versprach. Der noch unter Ciuhandu gegründete Kulturhauptstadt-Verein konnte so die Bewerbung einreichen und in den darauffolgenden Jahren die internationale Jury überzeugen, dass es Temeswar sein muss und nicht Klausenburg/Cluj-Napoca, Baia Mare oder Bukarest, die ebenfalls ihre Kandidaturen eingereicht hatten. 

Gleich danach begannen die Probleme, und das nun bevorstehende Desaster zeichnete sich bereits ab. Anfang 2018 wurde der schon längst tobende Streit im Kulturhauptstadt-Verein publik, es flogen regelrecht die Fetzen. Der von Robu unterstützten Vereinsdirektorin Simona Neumann und ihrem künstlerischen Leiter, an dessen Namen sich kaum noch jemand erinnern kann, wurde viel vorgeworfen. 

Vor allem Temeswars Intellektuelle, die sich immer etwas rechts und zunehmend konservativer gaben, fühlten sich ausgeschlossen und führten gegen Neumann schweres Geschütz auf. Geantwortet wurde mit Beleidigungen: Robu, der um diese Zeit zu seinem eigenen größten Feind wurde, erklärte, Neumanns Kritiker – Professoren, Diplomaten, Schriftsteller und Kunstkritiker – seien Nichtsnutze, die nur deswegen herumschrien, weil er ihnen den Zugang zu Steuergeldern verwehrt habe. Zum Erfolg des Projekts trug kaum einer richtig bei, und den Temeswarern wurde der Kulturhauptstadt-Titel immer gleichgültiger.

Im Lande machte man sich über die Stadt eher lustig, mal weil Robu Palmen aufstellen ließ, mal weil im Zoo ein von einer tschechischen Stadt geschenktes Zebra in einen Teich sprang und kläglich verendete (wobei Robu die Ansicht vertrat, das Tier müsse geistesgestört gewesen sein), mal weil derselbe Robu den Krähen in der Stadt Verhütungsmittel verabreichen wollte. Kulturhauptstadt auf dem Papier, Hauptstadt schlechter Witze mit Sicherheit.

Konzepte wurden vorgestellt und verworfen, böse Briefe ausgetauscht und Pressemitteilungen veröffentlicht – ein beschämendes, dieser Stadt unwürdiges Trauerspiel. Neumann sollte gehen, sie wehrte sich jedoch mit Händen und Füßen; der Ehrenpräsident des Vereins, der weltbekannte Ex-Intendant der Wiener Staatsoper, Ioan Holender, warf irgendwann entnervt das Handtuch und prophezeite einen Misserfolg auf voller Linie. Kurz vor seiner Abwahl im Herbst 2020 ließ Robu mehrere Vollversammlungen des Vereins einberufen, zog sich aus diesem  zurück, drohte mit Anwälten und Gerichtsklagen und hinterließ seinem Nachfolger Dominic Fritz eine brennende Kastanie, die kaum noch aus dem Feuer zu holen war. Kaum etwas wurde zwischen 2016 und 2020 umgesetzt, dabei war der mit der Kommission vereinbarte Maßnahmenkatalog durchaus zu bewerkstelligen, wenn man die Streitigkeiten beiseite gelassen und sich auf das Wesentliche konzentriert hätte. Unter Robu unmöglich. Es ging bloß um Personalien und kaum um Inhalte, und – man muss es deutlich sagen – auch die Unterstützung aus Bukarest beschränkte sich auf schmale Lippenbekenntnisse. Erst 2019 konnte sich die damalige PSD-Regierung unter Viorica Dăncilă zusammenraffen und eine Eilverordnung auf den Weg bringen, die den Finanzierungsrahmen des Kulturhauptstadt-Programms festlegte. Umgesetzt wurde sie nie, es kamen aus Bukarest nur Versprechungen. Kaum überraschend. Vielleicht war die Idee, den Titel an Temeswar zu vergeben, gar nicht so gut gewesen – das dürfte so mancher in den zuständigen Gremien der EU-Kommission mittlerweile getrost annehmen.

Die Fritz-Administration konnte einiges noch zurechtbiegen, aber es ist – wie so oft – viel zu wenig viel zu spät. Neumann wurde letztendlich beseitigt, ein Kuratorenteam wurde auf die Beine gestellt und beim Projekte-Zentrum der Stadt Temeswar angesiedelt. Die Tränen könnten aber demjenigen kommen, der sich durch das 76 Seiten lange Dokument durchkämpft, das aus dem Oktober 2022 stammt, den Namen „Programul Cultural reactualizat Timișoara 2023“ trägt und auf der Homepage des Projekte-Zentrums steht: Man werde das und jenes machen, Ausstellungen, Konzerte, Events, Projekte, Ideen, aber Konkretes liefert das Programm nur in winzigen Mengen. Drei Termine stehen fest: Das Eröffnungsfest vom 17. bis 19. Februar, ein nicht näher beschriebenes Großevent vom 1. bis zum 4. September und die Abschlussfeier des Kulturhauptstadtjahres, die punktgenau zum 34. Jahrestag der 1989er Revolution, dem 16. Dezember 2023, beginnen soll. 

Was man ansonsten noch machen will, weiß so richtig keiner. Was jede Kulturinstitution vorhat, welche Namen nach Temeswar kommen werden, wie man das Publikum von nah und fern herlocken wird, was man 2023 alles in Temeswar sehen und hören wird, darüber wird geschwiegen.

Vielleicht hofft man auf einen Wow-Effekt, aber die Rechnung dürfte nicht aufgehen: Wenn auch in Temeswar die Kultur zu einem Wirtschaftsfaktor werden soll, wenn man Touristen anziehen und eben jene positive Dauereffekte erzielen will, die ab 2007 Hermannstadt/Sibiu einen Touristenstrom beschert haben, der zur allgemeinen Entwicklung in Wirtschaft und Kultur im ganzen südsiebenbürgischen Raum geführt hat, dann hätte man es vielleicht anders machen müssen. Besuche des Temeswarer Bürgermeisters in Rumäniens Botschaften in Paris und Berlin sind gut, vor einem handverlesenen Publikum soll Dominic Fritz einen guten Eindruck gemacht haben. Aber es reicht vorne und hinten nicht, und das dürfte auch Fritz wissen. Denn wer sich nach genauen Terminen und einem vollen Veranstaltungskalender von europäischem Kaliber umschaut, dürfte enttäuscht sein. Noch gibt es das alles nicht. Dafür aber rühmt sich Vizebürgermeister Ruben La]c˛u, eine der unsympathischsten Gestalten der USR-Verwaltung, damit, dass man im Hof des alten Straßenbahndepots in der Fabrikstadt das MultipleXity-Totem aufgestellt hat und dass man bis Weihnachten die Arbeiten an der Nordseite der Anlage fertigstellen werde, 2023 soll dann die Südseite drankommen.

Die Stadt startet also im Kulturhauptstadt-Jahr mit fast derselben Infrastruktur, die es eigentlich bereits schon vor 1989 gegeben hat. Hinzukommen ein Straßenbahndepot, dessen „Südseite“ noch nicht fertig ist, und das Victoria-Kino in der Elisabethstädter Tirolergasse/Str. Ciprian Porumbescu, dessen Sanierung unter Robu begonnen hat und unter Fritz fertiggestellt wurde. Dabei hätte die MultipleXity ein Neubau sein müssen, dazu hatte sich die Stadt am Anfang verpflichtet. Und auch das Revolutionsmuseum hätte eröffnet werden sollen, aber mit dessen Fertigstellung dürfte frühestens zum 40. Jahrestag der Revolution gerechnet werden. Schuld sind daran alle: Ex-Bürgermeister Robu und der ehemalige Kreisratsvorsitzende C˛lin Dobra, die ohne Ende herumstritten, dann das Verteidigungsministerium und jetzt das Kulturministerium, das sich mit dem Vorhaben, die Stadtkommandantur zum Museum umzubauen, sehr viel Zeit nimmt. 

Bizarrerweise werkelt nicht nur die Stadt an einem Kulturprogramm für 2023, auch der Temescher Kreisrat will mit einem eigenen Programm aufwarten. Warum? Weil die große Null, die dem Temescher Kreisrat vorsteht, der liberale Alin Nica und sein Strippenzieher aus Großsanktnikolaus/Sânnicolau Mare, der dortige Bürgermeister Dănuț Groza, über den eigenen Tellerrand nicht schauen können und der Ansicht sind, dass nur eines zählt, nämlich die Bekämpfung der USR, die den alten Parteien durch die Wahl von Fritz vorläufig den Weg zu den Töpfen des Temeswarer Haushaltes blockiert hat. Also will der Kreisrat sein eigenes Programm durchziehen, aber von dessen Inhalt weiß man – ich erinnere: weniger als einen Monat vor dem 1. Januar – nichts. 

Muss man da noch mehr sagen? Eigentlich, ja. Noch nie wurden Temeswar und das Banat so schlecht verwaltet wie jetzt. Eine Ausnahme dürfte es geben, das ist Reschitza/Reșița, wo der  Bürgermeister eigene Wege geht und als erster nach 1989 seinen Mitbewohnern das Gefühl vermittelt, dass es sich auch in ihrer Stadt zu leben lohnt. Anderswo ist das nicht der Fall. Die berufliche und menschliche Qualität der Bürgermeister, der Mitglieder in Kreis-, Stadt- und Gemeinderäten, der Leiter von Institutionen aller Art, egal welcher politischer Couleur, war noch nie derart niedrig wie jetzt. Das spürt man, hier genauso wie in Bukarest, wo Banater Politiker längst nicht mehr ernst genommen werden und kaum noch etwas zu melden haben. Alin Nica, der sich stolz als stellvertretender PNL-Chef präsentiert, ist das beste Beispiel dafür; die Bukarester Parteispitzen, selbst vom geistigen Zwergformat wie Premierminister Nicolae Ciucă und Innenminister Lucian Bode, tun nur so als ob sie sich Nicas Meinung in Fragen anhören, die die Temescher PNL angehen.

Man schaue sich zum Beispiel Lugosch/Lugoj an, einst stolzes Kulturzentrum des Banater Rumänentums und heute nur noch ein Schatten seiner selbst, eine vermüllte, heruntergewirtschaftete Stadt, oder auch Karansebesch/Caransebeș, wo ein irrer Bürgermeister von Linienflügen nach New York träumt, sich jedoch kaum mit dem Besen auskennt. Gibt es überhaupt noch eine Banater Ortschaft, über die man sagen kann, dass sie anständig verwaltet wird? Dass all das zu erkennen ist, wofür man einst im Banat so stolz war? Wo der Wohlstand durch eine kluge Verwaltung, ein innovatives Unternehmertum und aktiven Bürgern vermehrt, wo Ordnung gehalten wird und alles an seinem Platz ist? Kann man von Temeswar noch behaupten, es gehöre in die erste Liga rumänischer Städte, es sei von wirtschaftlichem und gesellschaftlichem Fortschritt geprägt und dadurch ein Modell? 

Die Modelle sind inzwischen anderswo zu finden. Gewiss, die Stadt und ihr Umfeld sind im Vergleich wirtschaftsstark und ziehen deswegen noch immer zahlreiche junge Leute aus den Nachbarkreisen an. Aber gibt es noch den Temeswarer, ja den Banater Geist? Man hat ihn irgendwann in diesen 33 seit der Wende verstrichenen Jahren aufgegeben, dieses Gefühl wird man nicht los. So mag die Schlussfolgerung zwar gewagt sein, einen Tropfen Wahrheit enthält sie dennoch: Das einstige Banat ist eine erloschene Erinnerung.