Die Liebe fährt U-Bahn

Metro-Crush bringt Leute zusammen, die sich in öffentlichen Verkehrsmitteln in Bukarest auf den ersten Blick verliebt haben

Liebe kann man überall finden: auch in der U-Bahn. | Fotos: Metro Crush

Die Facebook-Seite Metro Crush

Das Foto wurde im Februar in einer Bukarester U-Bahn-Station aufgenommen. Ob die beiden ein Paar sind?

In den öffentlichen Verkehrsmitteln passiert vieles. Wer hat noch nicht während einer längeren Fahrt die Leute um sich herum beobachtet und sich Lebensgeschichten für sie ausgedacht? Doch auch folgende Situation hat man vielleicht schon selbst erlebt oder man hat wenigstens einen Film darüber gesehen: Auf dem Weg zur Arbeit oder in die Schule sitzt man in der U-Bahn oder Tram einer fremden Person gegenüber. Die Person schaut einen an, man schaut zurück. Man schweigt die ganze Fahrt lang, der Blickkontakt aber bleibt. Vielleicht verliebt man sich sogar. Aber dann kommt die Haltestelle, an der man aussteigen muss. Oder an der die andere Person aussteigt. In den nächsten Tagen fährt man wieder U-Bahn oder Tram, zur selben Zeit, in der Hoffnung, dass man sich noch einmal sieht. Doch man trifft sich nicht mehr. Was nun? 

In Bukarest kann man wenigstens versuchen, sich wiederzufinden. Man schreibt der Facebookseite „Metro Crush” eine Nachricht. Wie etwa: „Du bist die nette Frau mit rosa Kopfhörern und transparenter Schutzmaske, die bei der Station Unirii eingestiegen ist und dann drei Stationen lang vor mir in der U-Bahn saß und mich dauernd angeschaut hat. Ich bin der Typ mit dem Metallica-T-Shirt. Gerne würde ich dein Lächeln unter der Schutzmaske sehen”. Die Nachricht wird dann von den Verwaltern der Seite veröffentlicht. Je mehr schriftstellerisches Talent der Verfasser der Nachricht hat, desto höher stehen die Chancen, dass die Nachricht von anderen Facebook-Usern geteilt wird und dass die gesuchte Person von ihr erfährt. 

Von einer Studentin verwaltet 

Die Betreiberin der Facebook-Seite will anonym bleiben,studiert Ingenieurwesen an der Bukarester Uni und hat „Metro Crush” vor fast drei Jahren gestartet, nachdem sie sich selbst in der U-Bahn in einen jungen Mann verliebt hatte. „Damals sah ich diesen Mann täglich in der U-Bahn, wagte es aber nicht, ihn anzusprechen. Dann dachte ich, dass es nett wäre, wenn es eine Facebook-Seite gibt, wo man seinen U-Bahn-Schwarm treffen kann. Die Nachricht an diesen Mann war die erste, die ich postete. Ich hatte keinen Erfolg. Aber heute hätte ich ihn vielleicht wieder gefunden, da es ja mehr Follower gibt, also mehr Leute, die meine Nachricht verbreiten könnten”. Heute werden täglich wenigtens zehn Nachrichten an Metro Crush gesendet. Das kann nur bedeuten, dass nicht alle Leute mit der Nase in ihren Smartphones stecken. Manche von ihnen schauen sich um und einige verlieben sich sogar. Täglich werden Nachrichten gepostet, so wie diese: „Hallo! Ich weiss noch nicht, wie diese Sache funktioniert, aber ich möchte dem netten U-Bahnfahrer in schwarzem Kostüm danken, der gestern, am 2. Juni, auf der Linie „Preciziei” verkehrte. Etwa um 11 Uhr befand ich mich in der Station Saligny und er hat mir zugerufen, ich soll schnell einsteigen, weil die U-Bahn abfahren wird. Dann hat er gelächelt. Ich war so aufgeregt, dass ich dann  zum Schluss nicht mehr eingestiegen bin. Das blonde Mädchen mit senffarbenem Sakko”. Oder: „Für den Mechaniker mit den lockigen Haaren, den ich heute um 8 Uhr vormittags getroffen habe. Ich bin bei der Station Groz˛ve{ti eingestiegen und bei der Station Unirii wieder ausgestiegen. Ich bin das Mädchen in Schwarz, dem du nachgeschaut hast. Hinterlasse hier eine Nachricht und vielleicht treffen wir uns“. Und manchmal steht über der Nachricht: „UPDATE! Sie haben sich gefunden”. Das bedeutet, dass die Nachricht ihren Empfänger oder ihre Empfängerin erreicht hat. 

„Immer mehr Leute finden die Person, die sie suchen. Noch habe ich nicht von Leuten erfahren, die dank dieser Facebookseite geheiratet haben. Wir schaffen nur die Verbindung, für den Rest sollten sie selbst sorgen”, meint die Verwalterin der Seite. Ob diese Treffen dann zu ernsten Beziehungen werden, stellen auch Experten in Frage. In einer Umfrage der Standford University von 2017 gaben nur zwei Prozent der Paare an, sich in der Öffentlichkeit kennengelernt zu haben. 

Nicht nur Liebesnachrichten

Manchmal gibt es auch Nachrichten wie diese: „Hallo, ich bin Laura und will heute allen Frauen aus der U-Bahn ein wenig Vertrauen schenken. Heute habe ich mich umgeblickt und habe nur traurige Augen und viel zu ernsthafte Blicke gesehen. Ihr seid wunderbar! Lächelt, lacht laut los, liebt euch selbst, macht Dinge, die euch Spaß bereiten! Ihr solltet mehr lieben, umarmen, tanzen, mehr die Gegenwart genießen. Legt euren Lieblings-Lippenstift auf, tragt Parfüm und geht glücklich aus dem Haus! Wenn ihr jetzt den Augenblick nicht genießt, wann dann?” 
Nicht nur in Rumänien gibt es Liebesgeschichten, die in öffentlichen Verkehrsmitteln beginnen. Vor wenigen Monaten berichteten die deutschen Medien von einem jungen Mann, der in der Frankfurter U-Bahn seine Traumfrau gesehen hatte, sich aber nicht traute, sie anzusprechen. Deshalb hat er sie später mit einem Aushang gesucht. Bewegend war, wie viele Leute dem Mann geholfen haben, seinen U-Bahn-Schwarm zu finden. Tausende teilten die Nachricht über Social Media. Und die Fahndungs-Aktion hatte letztendlich Erfolg. Leider gab es aber kein Happy End. Der junge Mann hat mehrere Tage gewartet, bis sich die Frau endlich per Telefon gemeldet hat. Doch leider währte die Freude zu kurz: die Frau war glücklich verheiratet. 

Eine Facebook-Seite auch für den Zug

Auch die rumänische Eisenbahngesellschaft CFR hat eine Facebook-Seite, wo man die Person finden kann, in die man sich während einer Zugfahrt verliebt hat. Fast täglich werden dort Nachrichten gepostet wie diese: „Für den netten jungen Mann in blauem T-Shirt, der mir mit dem Gepäck geholfen hat, als ich in den IR 402 von Bukarest nach Ia{i umgestiegen bin. Bitte hinterlasse hier eine Nachricht”. Oder: „Ich suche den hübschen jungen Mann mit Bart und blauem Hemd, der an der Fahrscheinkasse am Nordbahnhof wartete. Du hast mich gebeten, dich nach vorne zu lassen, weil du den Zug nach Temeswar sonst verpassen würdest. Anscheinend hast du ihn auch verpasst. Es tut mir leid, aber ich kann dich gerne trösten“. Oder auch: „Für Monica, die Schriftstellerin, die auf dem Jakobsweg Santiago de Compostela war. Deine Augen sind wunderschön, ich habe mich in ihnen komplett verloren. Bitte hinterlasse eine Nachricht, ich kann nur noch an dich denken“. Auch auf dieser Facebookseite helfen andere User mit, die gesuchten Personen zu finden. Doch die meisten Reaktionen erhielt ein Kommentar, der unter einer der Nachrichten gepostet wurde: „Ich bin gerade aus Versehen auf dieser Facebook-Seite gelandet und verstehe nicht, warum sie überhaupt existiert, bei dem Tempo der CFR. Die Züge in Rumänien fahren so langsam, dass man Zeit hat, sich zu verlieben, eine Beziehung anzufangen und auch Schluss zu machen,  bis man sein Reiseziel erreicht hat“. 


Ist Liebe auf den ersten Blick nur eine Illusion? 

Gibt es eigentlich Liebe auf den ersten Blick? Die Hollywood-Filme sagen ja, doch holländische Forscher der Universität Zürich fanden heraus, dass es sich viel mehr um eine starke körperliche Anziehung zwischen zwei Menschen handelt. Für die Studie wurden fast 400 deutsche und holländische Studenten (Männer und Frauen) zu ihrem Beziehungsstatus befragt. Im Anschluss sahen sie sich Fotos von fremden Menschen an und sollten ihre Gefühle für die Personen auf den Bildern auf Skalen bewerten. Die Skalen behandelten die Faktoren Zuneigung, Lust und Eros und bezogen sich darauf, ob die Probanden das Gefühl hatten, dass der Fremde auf dem Foto für sie bestimmt wäre. Bei weiteren Experimenten wurden die Probanden zum Speed-Dating eingeladen und hatten dabei 20 Minuten Zeit, den anderen kennenzulernen. Nur 32 Prozent der Probanden (vermehrt Männer) hatten das Gefühl, die Liebe auf den ersten Blick gefunden zu haben. Beim Speed-Dating gab es jedoch keinen einzigen Fall von Liebe auf den ersten Blick, der auf Gegenseitigkeit beruhte. Die Forscher bestätigten gegenüber der britischen Tageszeitung The Guardian, dass es sich laut ihren Studienergebnissen bei der Liebe auf den ersten Blick weder um leidenschaftliche Liebe, noch um Liebe im Allgemeinen handelt. Eher ist körperliche Attraktivität der ausschlaggebende Faktor für die vermeintliche Verliebtheit. Weiters können auch Einsamkeit, Angst vor dem Älterwerden oder Frustration über die aktuelle Lebenssituation Auslöser für die Liebe auf den ersten Blick sein.