Die Rockmaus

Seit mein Mann und ich vor Jahren sehr lustige Silvester mit unseren Freunden in Deutsch-Tekes verbrachten, hören wir auch zu Hause gelegentlich Rockmusik. Bis dahin war dieses Musikgenre schnöde an mir vorbeigegangen. Hard Rock empfand ich einfach nur als Krach. An jenem Abend aber kündigte der Gastgeber plötzlich an, das ACDC-Neujahrskonzert auf keinen Fall verpassen zu wollen. Seine Frau und ich verdrehten die Augen. Doch es half nichts, das gute Gespräch musste der Musiklaune ihres Göttergatten weichen. „Ihr könnt ja tanzen“, meinte dieser bloß lakonisch und drehte den Lautstärkeregler in eine Höhe, die jeden Protest im Ansatz erstickte.

Dann begann er, meinen Gatten in die Kunst des Luftgitarrespielens einzuführen. Dieser erwies sich als überraschendes Naturtalent. Minuten später hüpften die Männer wie kleine Buben ekstatisch durchs Wohnzimmer. Lydia und ich bogen uns vor Lachen! Irgendwann blieb uns nichts anderes übrig als einfach mitzutanzen. Es war die verrückteste Vier-Mann-Party unseres Lebens! 

Manchmal packt uns auch Jahre später, wenn wir daran zurückdenken, die Nostalgie. Dann gibt es Rock-FM aus dem Radio, ein Luftgitarrenspektakel – und wir sind froh, dass die nächsten Nachbarn weit weg wohnen.

So wunderte ich mich also nicht, als in der vergangenen Vorweihnachtszeit abends des Öfteren Rock aus dem Radio dröhnte, wenn ich von der Arbeit nach Hause kam. Mal stand das Gerät hinter dem Kühlschrank, mal vor dem Ofen. Irgendwann fragte mein Göttergatte nach der uralten Musikanlage. „Die steht im Schuppen, da ist der Disketten-Teil kaputt“, belehrte ich ihn. Am nächsten Tag war die Anlage trotzdem herausgekramt. Sie dröhnte vor dem Ofen, das Radio hinter dem Kühlschrank – stereo infernalis. Die erwartete Luftgitarrenvorführung blieb aus.

Eines Abends fand ich dann auch noch seinen elektrischen Rasierer brummend an der Türschwelle. „Bist du verrückt geworden?“ brüllte ich entnervt gegen den ohrenbetäubenden Lärmteppich an. Er grinste. Dann klärte er mich auf: „Da ist eine Maus unter dem Parkett. Die will ich vergraulen, bevor sie sich in die Stube durchnagt.“ Zuerst hatte er sie unter dem Kühlschrank knabbern hören und mit dem Radio verschreckt, wenig später nagte sie unter dem Ofen, der „Mäuse-Störsender“ wurde verlegt. Doch die Maus erwies sich als flexibel: Dröhnte Rock am Kühlschrank, knabberte sie am Ofen und umgekehrt. Mein Göttergatte war es leid, ihr das Radio hinterherzutragen, also musste die Anlage her. Dann fiel ihm plötzlich ein, dass im Vorraum unsere Lebensmittel lagern. So platzierte er präventiv auch noch den brummenden Rasierer an die Schwelle. 

Wir erduldeten den Höllenlärm tapfer mehrere Abende. Bis mir schwante: War die Maus vielleicht gar ein Fan von Rockmusik? Hatte sie uns dressiert, auf ihr Signal hin das Unterhaltungsprogramm zu starten?

Unserer Maus wurde ihre Liebe zur Kultur schließlich doch noch zum Verhängnis. Mein Mann kaufte an der Tankstelle ein „Buch“, bestrichen mit Mauskleber, laut Instruktion sollte man es aufgeklappt in einer Zimmerecke platzieren. Dort fand er sie am nächsten Morgen, „konzentriert lesend“, wie er ironisch bemerkte.

Aus die Maus!

Nicht ganz. „Du hast mich zu einer Weihnachtsgeschichte inspiriert“, grinste ich ihn plötzlich an – und schrieb sie in einem Rutsch! Leider war der Heilige Abend gerade vorbei, so wird sie eben zum nächsten auf der Weihnachtsseite der ADZ erscheinen. Als Vermächtnis unserer Rockmaus.