Die verlorenen Kinder

Kurzer Bericht aus dem Herzen Deutschlands

Bei J. M. Barries „Peter Pan“ klingt alles noch ganz harmlos: Kinder, die verloren gehen, finden sich im Nimmerland wieder, einer Art Abenteuerparadies, das ihre kindlichen Gemüter bewahrt.
Was aber geschieht in der wesentlich graueren Realität? Mirko grinst schief. „Jetzt flieg ich wahrscheinlich raus, obwohl ich gar nichts getan hab“, sagt er und sieht zu Boden. Auch sein Kumpel Denis ist still. Irgendwie lief da etwas gewaltig aus dem Ruder: Die Jungs, 15 und 17 Jahre alt, leben gemeinsam in einer Wohnung, die ihnen Outlaw, eine gemeinnützige GmbH, vermittelt hat. Outlaw handelt im Auftrag des Jugendamts, das Mirko und Denis erst aus ihren Elternhäusern und dann aus dem Kinderheim geholt hat. „Outsourcen“ heißt dieses weiterleitende Übertragen von Verantwortung auf Neudeutsch. Zum Schluss ist niemand mehr so richtig verantwortlich für die Jungs, die in einer möblierten Wohnung resozialisiert werden sollen, aber im Grunde auf sich allein gestellt sind.

Auch Nadja, die eine Etage tiefer wohnt in diesem Plattenbau in Halles Innenstadt, fühlt sich allein gelassen. „Manchmal wünschte ich mir schon, dass ich kochen könnte oder wenigstens Fensterputzen.“ Die Betreuer von Outlaw wiegeln solche Bedenken ab. Sie kontrollieren angeblich die Wohnungen und maßregeln durch Vorträge und – etwa bei Lärmstörung – durch Fernsehentzug. Falls die Jugendlichen Lernwillen zeigen, sei das nur Verstellung, um sich möglichst positiv darzustellen. Die Betreuer bitten die übrigen Nachbarn um Geduld mit den Jugendlichen, dann endet ihre Schicht und Denis und Mirko sind wieder allein.
Sie hängen mit den falschen Kerlen ab. Es kommt zu Streit. Als Mirko nicht da ist, lässt Denis die Bekannten nichtsahnend in die Wohnung, wo sie Mirkos Sachen aus dem Fenster werfen. Krawall, Blut, die Nachbarn beschweren sich. Am nächsten Tag droht Mirko der Rückweg ins Heim. Klappt irgendwie nicht, dieses „Outsourcing“.