Dokumentarfilme als Auslöser von Diskussionen

Filmfestival One World Romania will Bewusstsein für Menschenrechte stärken

Filmemacher Florent Marcie im Gespräch mit Monica Stan, der künstlerischen Leiterin des OWR-Festivals bei der Eröffnung der Filmfestspiele in Bukarest

Delphine musste sich prostituieren, um zu überleben / „Delphine’s Prayers“ von Rosine Mbakam

Wie sieht ein Roboter den Krieg? / „A.I. at War“ von Florent Marcie

Arnaud zeichnet seine Gefühle / „Soy libre“ (Laurie Porter)

Seit 1999 stehen jeden Frühling in der Tschechischen Republik die Menschenrechte im Vordergrund. Das Internationale Filmfestival mit Menschenrechtsthematik One World zeigt non-fiktionale Filme aus aller Welt in zahlreichen Städten des Landes sowie an Schulen und animiert das Publikum zu Diskussionen über die Missachtung und Untergrabung der Würde der Menschen. Für seinen Beitrag zum Stärken des Bewusstseins für Menschenrechte wurde es von UNESCO preisgekrönt und gilt derzeit als weltweit größtes seiner Art. Vor 15 Jahren wurde der Verein One World Romania (OWR) in Bukarest gegründet, der die Anliegen der Prager Filmfestspiele weiterführt. Ebenfalls im Frühling werden im Rahmen des gleichnamigen Festivals neueste gefilmte Geschichten über Opfer des Kindesmissbrauchs, der Zwangsprostitution, Menschenhandel, Umweltverschmutzung gezeigt und mit Experten in unterschiedlichen Bereichen wie Recht, Demokratie oder Gleichberechtigung besprochen. Durch Debatten erfahren die Zuschauer, wo auf der Welt die vor fast 75 Jahren von der Generalversammlung der Vereinten Nationen verkündeten Menschenrechte missachtet werden, sie erfahren mehr über die elementaren Lebensrechte und Freiheiten der Menschen, die unabhängig von Herkunft, Religion, Sprache oder Geschlecht und für alle gleichermaßen gelten. 

Durch seinen jahrelangen Einsatz beabsichtigt der Bu-karester Verein, ein kritisches Publikum und eine aktive Zivilgesellschaft zu schaffen, in der die Würde des Menschen anerkannt und respektiert wird. Viele der besprochenen Probleme sind jedoch für einen Teil des Publikums entweder sehr weit entfernt oder unbekannt. Seit dem 24. Februar, dem Beginn des russischen Angriffskriegs in der Ukraine, sind  Menschenrechtsverletzungen auch für diesen Teil der Erde akut und relevant geworden.
 
Bei der 15. Auflage des OWR Festivals in Bukarest, das Mitte Mai stattgefunden hat, wurde eine spezielle Sektion der Situation in der Ukraine gewidmet. 

A.I. im Krieg

Das Festival One World Romania wurde mit der Dokumentation „A.I. at War“ (2021) eröffnet, der Krieg aus einer neuen Perspektive darstellt, nämlich jener eines Roboters. Das leblose Objekt, ein hochmoderner lernfähiger und komplexer Apparat namens Zota, begleitet Filmemacher Florent Marcie in Konfliktgebiete und lernt dort über Städte, Kämpfe, die Auffassung der Leute. In Mosul beispielsweise erklärt ihm Marcie, dass die ganze Altstadt komplett zerstört ist. Diese Daten speichert Zota, dazu auch die Bilder des Terrors, denn seine Augen sind Videokameras. Der Roboter ist darauf programmiert, das menschliche Gehirn zu imitieren und alles infragezustellen und erwidert dem Regisseur sogar, dass er versuche, mehr Mitgefühl für Menschen zu entwickeln. Marcies Experiment, Zotas subjektive Wahrnehmung von unterschiedlichen Situationen zu zeigen, kann einen Ausblick in die Zukunft schaffen, wenn Dokumentarfilme möglicherweise von intelligenten Maschinen realisiert werden könnten. 

Intime Portraits zeigen universelle Geschichten 

„Delphins Gebete“ (2021) ist einer der Filme, der anhand der Aussagen seiner Protagonistin ein bedrückendes Phänomen aufwirft: die Prostitution wegen Armut, Vergewaltigung und Missbrauch. „Ich musste meinen Körper verkaufen, um Medikamente für meine Nichte zu besorgen... wir hatten kein Geld... wir hatten ständig Hunger“, erzählt die junge Kamerunerin Delphine erbittert. Den ganzen Film über liegt oder sitzt sie in ihrem Bett, als sei sie krank, und beichtet der Kamera teils wütend und verbittert, teils enttäuscht und resigniert über die Folgen der patriarchalen Gesellschaften für die Mädchen und Frauen in ihrer Heimat. Noch heute hat sie die schrecklichen Erlebnisse frisch in Erinnerung, macht lange Pausen, bis sie Worte findet, um das alles auszudrücken. Egal, wie sehr sie sich dagegen gewehrt hatte, nicht auch auf die Straße gehen zu müssen, um Geld zum Überleben zu verdienen, wie viele ihresgleichen, hat sie die Gesellschaft einfach zu diesem Schritt getrieben. Der Vater beschuldigte sie, die Familie stand ihr nicht bei. Ihre Rettung erhoffte sie sich in Europa, wo sie einheiratete. Ein glückliches Leben führt sie aber auch im Westen nicht.  

Der Film endet mit Delphines Gebet an Gott. Es ist ein Hilfeschrei einer emotional zerstörten Frau, die den Mut hatte, sich vor der Kamera und somit vor der Welt zu öffnen. Durch dieses intime Portrait gibt die in Belgien ansässige Filmemacherin Rosine Mbakam  kamerunischen Frauen eine Stimme. 

Die Problematik des Films wurde in Bukarest mit Menschenrechtsaktivistin Monica Tudorache, die sich für die Geschlechtergleichheit einsetzt, im ART Fusion & Feminist Film Festival besprochen. 

Auch „Soy libre” (2021) zeigt ein intimes Potrait: Arnaud verlässt die Jugendstrafanstalt und macht sich auf die Suche nach bedingungsloser Freiheit. Er zieht von Frankreich nach Spanien, wo er mit Armut und Einsamkeit kämpfen und sich auf der Straße durchschlagen muss. Arnaud gibt jedoch nicht auf und baut sich in kleinen langsamen Schritten seinen Weg in die Gesellschaft auf. Regisseurin Laurie Porter, Arnauds ältere Schwester, dokumentiert das Erwachsenwerden ihres Bruders über mehrere Jahre hindurch. Sie verpasst keine Etappe und schafft somit ein komplexes Bild eines jungen Menschen auf seiner Initiationsreise.

In seinem Vorhaben, das Publikum dazu zu bewegen, Menschenrechte zu achten, zu schützen und zu gewähren unternimmt der Verein OWR auch Bildungsprogramme für junge Leute und Erwachsene. So werden jährlich Jugendliche ausgewählt, in der Jugend-Jury des Festivals mitzumachen. Binnen mehrerer Tage schauen und besprechen sie Filme und deren Thematik, lernen über Gleichbehandlung und Solidarität. Kürzlich startete auch das Projekt „Dokumentarfilme in Bibliotheken“, das die Ausstrahlung non-fiktionaler Filme in Büchereien und Buchhandlungen in Rumänien vorsieht. Dort sollen Gemeinschaften entstehen, die bewusst über Menschenrechte sprechen und sich für deren Umsetzung und Anerkennung einsetzen.