Drei Jahrzehnte seit dem Mauerfall: Berlin hautnah in Temeswar

Interviewbericht mit Deutschlands Konsul in Temeswar, Ralf Krautkrämer

Konsul Ralf Krautkrämer. Im Hintergrund, die geschichtsträchtige Temeswarer Oper.

Das Konsulat hat in den letzten beiden Jahren seine Tore auch für Ausstellungen geöffnet. Fotos: Zoltán Pázmány

Drei Jahrzehnte sind seit dem Mauerfall, der Aufhebung des Eisernen Vorhangs bzw. der innerdeutschen Grenze verstrichen. In dieser Zeit haben sich in Europa tiefgreifende Veränderungen vollzogen. Diesen Wandel haben im neuen Kontext auch Deutschland und Rumänien durchlaufen. „Weil die Chemie zwischen Menschen stimmte, konnten ideologische Barrieren durchbrochen werden“, sagt heute Deutschlands Konsul in Temeswar, Ralf Krautkrämer. Der Tag der Deutschen Einheit wird heute Abend auch in der Temeswarer Oper begangen. Dazu hat das Deutsche Konsulat in Temeswar Landsleute, Freunde und Ansprechpartner eingeladen, um  traditionell den 3.Oktober zu feiern, den Tag, an dem die Deutsche Einheit im Einklang und mit Zustimmung Deutschlands europäischer Nachbarn und Partner offiziell vollendet wurde.

„Ob Jahreszahlen mit der Ziffer neun für historische Ereignisse eine besondere Rolle spielen, mögen die Statistiker beantworten.Für Deutschland ist 2019 mit Blick auf 30 Jahre seit dem Fall der Berliner Mauer und 70 Jahre nach Inkrafttreten des Grundgesetzes ein wichtiges Jahr. Der Fall der  Berliner Mauer am 9. November 1989 besiegelte den Untergang der Blockkonfrontation in Europa mit dem Willen, einen Raum des Rechts, des Friedens und der Freiheit zu schaffen,“ sagt Deutschlands Konsul in Temeswar, Ralf Krautkrämer. Der Diplomat setzt fort: „Naturgemäß wird die Zahl derjenigen größer, die dieses Datum nur aus den Geschichtsbüchern kennen. Diejenigen, die den Fall der Mauer, aber vielleicht auch  die Ereignisse auf dem Temeswarer Opernplatz Ende 1989 miterlebt haben, wissen, dass Freiheit und Frieden ein hohes Gut und nicht unbedingt Selbstverständlichkeit sind. Nachdenklichkeit, Gefühl und Freude sind Stichworte, die wir damit verbinden und die unser Kulturprogramm während der Feierlichkeiten in der Oper aufgreift“. Speziell für diesen Abend wurden eine eigene Choreografie und ein besonderes Bühnenbild entworfen.  „An diesem Abend werden Berlin und der Mauerfall in der Temeswarer Oper hautnah zu spüren sein.“Eine Reihe namhafter Künstler aus Temeswar werden auf der Bühne stehen, nicht zuletzt auch solche vom deutschen Staatstheater in Temeswar. „Vielleicht auch ein Zeichen, dass Temeswar mit seiner beeindruckenden Kulturszene den Titel europäische Kulturhauptstadt verdient. Ein Titel, mit dem der Reichtum, die Vielfalt und die Gemeinsamkeiten des kulturellen Erbes in Europa und ein besseres Verständnis der Bürger Europas füreinander verbunden sind“.

Die praktischen Vorteile eines gemeinsamen Europas „haben viele junge Menschen in Rumänien und Deutschland inzwischen kennen und schätzen gelernt. Ich denke an die vielen  Studierenden des Erasmusprogramms und dies ist erfreulicherweise keine Einbahnstraße“, so der Konsul. Europa entwickelt sich weiter. Themen wie Arbeit in einer digitalisierten Welt, Migration und Integration sind heute hochaktuell. „Die europäischen Werte wie Rechtstaatlichkeit, Schutz von Minderheiten, Rechenschaftspflicht der Politik gegenüber den Bürgern sind nicht nur Grundvoraussetzungen sondern auch Lackmus zur Befindlichkeit unseres europäischen Hauses. Nicht zuletzt aber auch der Ruf besonders von der jungen Generation nach einer sauberen und lebenswerten Umwelt  sollte aufmerksam gehört werden.“

Auf die schwierigen Fragen von heute werden den Populisten allzu oft Möglichkeiten zu einfachen Antworten überlassen. „Ermutigend finde ich aber, dazu fühle ich mich durch meine Reisen und Gespräche in diesem wunderschönen Amtsbezirk bestätigt, dass die jungen Menschen verstanden haben, dass es von ihnen abhängt, wie unser Europa und unsere Welt von morgen aussehen werden“, sagt der Konsul und er weist dabei auf die hohe Wahlbeteiligung bei den Europawahlen im Kreis Temesch von ca. 50 Prozent hin, die ein „weiterer schlagkräftiger Beleg dafür ist“. Dabei nahm der Diplomat auch die Gelegenheit wahr, „unserer Partnern und Freunden  für die hervorragende Zusammenarbeit zu danken“. Stellvertretend für viele andere, erwähnte er Termine wie z.B. den Besuch der Partnerstadt Gera mit der Thüringer Philharmonie Ende Oktober, oder die 150-Jahr-Feier des Lenau-Lyzeums, die „Grund zur Vorfreude auf weitere erfolgreiche Zusammenarbeit geben“.

Vor dem Hintergrund von Internationalisierung und Globalisierung stellt sich unweigerlich die Frage, ob die Brückenfunktion der deutschen Minderheit in Rumänien zu Deutschland bestehen bleibt. „Vor 100 Jahren, als Rumänien geboren wurde, haben die Banater Deutschen  ihre Wahl getroffen: Aus dem Banat, in dem sie in Frieden mit der Mehrheitsbevölkerung und den anderen Ethnien gelebt hatten, sollte ein Land des Verständnisses, ein Beispiel der Modernität, ein Folgebeispiel werden. Das Demokratische Forum der Deutschen im Banat, das ebenfalls 30 Jahre seit seiner Gründung feiert, hat, glaube ich, durch all sein Tun auch überzeugt- und wünscht, eine Brückenfunktion zwischen Rumänien und Deutschland zum beiderseitigen Vorteil der Länder auszuüben“. Konsul Krautkrämer erwähnte dabei das Stichwort „gelebte Vielfalt“, das er sozusagen als Markenzeichen des Banats erkennt. „Die Kulturangebote  der deutschen Minderheit werden besonders auch von der Mehrheitsbevölkerung nachgefragt. Die enorme Zahl der deutschen Sprachdiplome, die wir jedes Jahr vergeben, ist immer noch im Wachsen und erfreut sich großer Beliebtheit.“ Die deutsche Minderheit ist zahlenmäßig nicht mehr vergleichbar, mit jener von vor 30 Jahren, sie zeichne sich aber durch „großes Engagement und viele Aktivitäten aus. Wichtige Pfeiler dieser Brücke sind auch die starken Bindungen zwischen den Ausgewanderten und Gebliebenen“. Ralf Krautkrämer erwähnte dabei vor allem die Banater Heimattage, die Arbeit der Adam-Müller-Guttenbrunn-Stiftung bzw. des Hauses, zahlreiche Besuche der deutschen Landespolitik und nicht zuletzt die Rekordabiturergebnisse des Lenau-Lyzeums.

Was hat Rumänien in 30 Jahren erreicht und was verpasst?„Vielleicht darf ich diese Frage mit meiner Banater/Temeswarer Brille betrachten: Vor 30 Jahren ging - wie es von Skorpions gesungen wird - der „Wind of Change“ von Temeswar aus. In einer Region, die von friedlichem Miteinander, Mut und Toleranz geprägt ist, haben mutige Menschen das Schicksal in ihre Hände genommen. Danach kamen Veränderungen, Aufbau, EU-Beitritt  und vielleicht als Bestätigung, aber auch Herausforderung der Titel ´Europäische Kulturhauptstadt 2021´“. Von da ausgehend, „haben viele deutsche Investoren das Potential der hochqualifizierten und engagierten Arbeitskräfte erkannt und sich hier niedergelassen. Bekanntermaßen sind gewisse Grenzen erreicht. Aus meiner Sicht hätten die Möglichkeiten des Systems der Dualen Ausbildung noch stärker genutzt werden können. Gute Ansätze sind aber vorhanden und es ist ja nicht zu spät, sich hier noch stärker zu engagieren.“ Nicht zuletzt täte ein Direktflug aus der deutschen Hauptstadt, Berlin, in die künftige Kulturhauptstadt Europas, Temeswar, besonders gut.

Was erwartet (man von) Temeswar im Jahr der Kulturhauptstadt? Ersteinmal sei es ein Titel, mit dem der Reichtum, die Vielfalt und die Gemeinsamkeiten des kulturellen Erbes in Europa und ein besseres Verständnis der Bürger Europas füreinander verbunden sind. „In Brüssel hat man gesehen, dass diese Voraussetzungen in Temeswar gegeben sind. Wie es der Arbeitstitel bereits sagt ´Shineyour light´ sollte gerade dieses Licht der Hoffnung aus Temeswar scheinen, eben auch Hoffnung für ein Europa, das gerade einigen Herausforderungen gegenübersteht“. Relevant auf diesem Weg sei auch das gerade wachsende Interesse der deutschen Medien an Temeswar und der Region.„In nur kurzer Zeit waren  schon fast begeisternde Beiträge in Arte, NDR und dem Stern zu sehen.Auch junge Besucher aus Deutschland berichten über ihre vielen positiven Erfahrungen in der Region (z.B. die Stipendiaten des Programms „Kulturweit“).“Derzeit, aber auch nach dem Jahr der Kulturhauptstadt sei Nachhaltigkeit notwendig, damit nicht alles wie ein Strohfeuer erlischt, betont Krautkrämer. „Ich sehe gerade am Beispiel von Matera (der jetzigen europäischen Kulturhauptstadt, in Italien, wo ich bis 2017 im Kulturbereich gearbeitet habe), wie dieser Titel von dem ganzen Land als Chance begriffen wird. Eine einmalige Gelegenheit auch hier, sozusagen pars per toto, dieses wunderbare Land Rumänien auch im Ausland darzustellen.“