Eduard, Waldmenschen und Devisen - Teil II

Anmerkungen zum Dokumentenband über die Securitate und die Ausreise der Deutschen aus Rumänien (II)

Bericht-Note von Innenminister Tudor Postelnicu

Der Devisenhunger

Informationen über den „Kanal“ in der Familienzusammeführung gelangen 1964 in die deutsche Öffentlichkeit und der Handel wird vorübergehend gestoppt. 1966 wendet sich der Stuttgarter Anwalt Ewald Garlepp erneut an seinen „Anwaltspartner“ Porăstau und teilt mit, er sei befugt, über Rückzahlungen von Summen zu verhandeln, die Ausreisewillige an Schulden oder Ausbildungskosten dem rumänischen Staat gegenüber hätten. Für 40.000 Ausreisewillige stünden 60 Millionen DM zur Verfügung. Im Februar 1968 vereinbart Garlepp in Bukarest eine Abmachung („aranjament“), folgende Summen für die Ausreise von Rumäniendeutschen zu zahlen: 1700 DM für Personen ohne Studium und ohne besondere Probleme, 10.000 DM für Personen mit Hochschulstudium, 5000 DM für Studenten. Bei Problem- oder Notfällen werde von Fall zu Fall verhandelt.Tätigen wird die deutsche Seite Vorauszahlungen zu je 400.000 DM in bar (S. 110/111).

Die erste schriftliche Vereinbarung für die oben genannten „Tarife“ erfolgt nach mehrfachen Treffen am 7. März 1969 in Stockholm, so Dr. Heinz Günther Hüsch, der langjährige deutsche Unterhändler, im Interview mit Ernst Meinhardt (das auch in der ADZ erschien). Diese Urkunde fehlt aus dem Buch. Die Laufzeit der Vereinbarung war für die Zeitspanne März 1969 – März 1970 gültig. Im Dezember 1969 werden die Preise festgelegt, die für die ab dem März 1970 Ausreisenden gelten, und die der vormalige deutsche Botschafter in Bukarest, Erwin Wickert, in seinem 2002 erschienenen Buch „Die glücklichen Augen“ bekannt gab: 11.000 DM ein Hochschulabsolvent, 5500 DM ein Student, 2900 ein Techniker, 1800 DM Personen ohne höhere Ausbildung. In den folgenden knapp vier Jahren sollte Rumänien 20.000 Personen ausreisen lassen.

In Aussicht gestellt waren weitere 2 Millionen DM, wird diese Quote überboten. Die Zahlungen sollten alle drei Monate erfolgen, die Hälfte der Summe in bar, die andere in Schecks. Auf Seite 141 ist eine Tabelle abgedruckt mit den Preisen für den Verkauf von Juden und Deutschen und der Erfolgsmeldung, bei den Deutschen sei (im März 1970) eine 30-prozentige Erhöhung erzielt worden. Für einen jüdischen Hochschulabsolventen erhielt Rumänien 2500 US-Dollar, für einen deutschen 3000, für ein jüdisches „Element ohne Ausbildung, Kind, usw“ 410 Dollar, für ein deutsches 497. Dergleichen Vergleichstabellen sind im Quellenband auch aus späteren Jahren abgedruckt.

1970 setzt eine wahre Besessenheit der Securitate-Offiziere im Beschaffen von Devisen ein. Ab nun verwendet Rumänien das Erteilen von Ausreisegenehmigungen für Rumäniendeutsche als Druckmittel im Versuch, günstige Kredite und Geld auch aus anderen „Töpfen“ zu erhalten. Die Stellung der rumänischen Seite bei diesen Verhandlungen sei eine „privilegierte“ gewesen, schreiben Florica Dobre und Florian Banu, die Verfasser der Einleitung zur Quellenedition, da die deutsche Wirtschaft mit akutem Arbeitskräftemangel konfrontiert war. Sie übernehmen die Argumente der Securitate kritiklos: Arbeitskräfte konnte Deutschland aus anderen Staaten billiger, unkomplizierter und in höherer Anzahl holen.

An Devisen aus der Bundesrepublik versucht Rumänien in diesen Jahren auch über zwei weitere „Aktionen“ zu gelangen: „Recolta“ („die Ernte“) sollte 600 Millionen DM an Entschädigungen für Opfer des Nazi-Regimes erbringen (S. 170). In einem Gespräch im Dezember 1971 mit dem deutschen Botschafter Wickert sprach Ceauşescu das Junktim zwischen Familienzusammenführung und Widergutmachungsforderungen offen an (Akten zur Auswärtigen Politik der Bundesrepublik Deutschland, 1971, Bd. I, S. 1979). Die Aktion „Peregrinii“ („die Pilger“) begann 1970, wurde 1973 per Order eingestellt und lief dennoch weiter: Von vorher geprüften Securitate-Mitarbeitern sind Personen im Ausland „identifiziert“ worden, die bereit waren, Devisen zu zahlen für Personen, die in Rumänien im Gefängnis saßen und/oder ausreisen wollten oder die von einer Auslandsreise nicht zurückgekehrt waren und ihre Familie rausholen wollten.

Die Begründung lautete, man müsse die Ausbildungskosten „rückgewinnen“. Laut Erklärung eines an der Aktion beteiligten Securitate-Mitarbeiters, der dazu 1978 ausgefragt worden ist, wurden neben Geldsummen insgesamt 34 Pkws, 5 Kleinbusse, und ein Nutzfahrzeug durch „Schenkungen“ erhalten (S. 230/231). Dass Nicolae Ceauşescu hinter der Devisenjagd stand, geht aus der Erklärung eines in die Mangel genommenen Offiziers hervor, der aussagt, seine Vorgesetzten hätten mitgeteilt, die höchste Parteiführung habe die Anleitung erteilt, „Aktionen zum ins Land bringen von Devisen“ zu organisieren (S. 227ff). Dokument Nr. 125 vom 15. Mai 1975 beinhaltet einen Bericht über das Erfüllen des Maßnahmenplans der Aktion „Delfinul“ („der Delphin“) betreffend das Erhalten von günstigen Krediten.

Darin wird mitgeteilt, der Vorgang erfolge auf Order des „Obersten Befehlshabers der Armee der Sozialistischen Republik Rumänien“. Über den Gang der Gespräche der Unterhändler war Ceauşescu stets genauestens informiert. Die „Note“ vom 13. Juli 1982, in der der berühmt-berüchtigte Securitate-Chef (seit 1978, ab 1987 dann Innenminister) Tudor Postelnicu mitteilt, der „westdeutsche Berater“ habe die Bereitschaft signalisiert, auf Grund einer Bestätigung einen Bonus und die Summe für zirka 8500 Personen als Vorauszahlung in das Sonderkonto zu überweisen, in dem sich aus dergleichen Aktionen die Summe von 42 Millionen DM befindet, hätte laut Vermerk von Ceau{escu zerstört werden sollen – und wurde aufbewahrt (S. 354 ff). Als Einleitungsformel bat Postelnicu in seinen Berichten um die Erlaubnis zu rapportieren („cerem permisiunea să raportăm“). Ein Beispiel ist das Faksimile auf Seite 923.

Das Feilschen

Einen sehr günstigen Kredit über 200 Millionen DM hat Rumänien 1973 von einer bundesdeutschen Bank erhalten: Rumänien zahlte einen 4-Prozent-Zinssatz. Es war das erste Darlehen in einer Reihe von weiteren. Die deutsche Seite in der Frage der Familienzusammenführung hatte sich um das Zustandebringen bemüht – und zahlte, unter der Voraussetzung der Erfüllung der Vereinbarung über die Familienzusammenführung eine Zinssubvention. Ab Juli 1973 sollten innerhalb der nächsten 5 Jahre jeweils 8000 Rumäniendeutsche ausreisen dürfen. Da Rumänien dieser Verpflichtung nicht nachkam, kündete die deutsche Seite an, sie werde die Zinsdifferenz nicht zahlen.

Zu Ausreisestopps kam es stets, wenn Rumänien mehr Devisen erpressen wollte. Das aufsehenderregendste Bemühen war Dekret 402 vom 1. November 1982 über die Verpflichtung der Personen, die ihren ständigen Wohnsitz ins Ausland verlegen wollen, die „Schulden gegenüber dem Staat, sozialistischen Organisationen und Privatpersonen“ sowie die staatlichen Ausbildungskosten  zu begleichen (S. 367 ff). Dies musste in Devisen in der Zeitspanne nach Erhalten der Ausreisegenehmigung bis zur Ausreise geschehen (Art. 4) – wobei der Devisenbesitz verboten war. Nach der Verabschiedung dieses Dekrets folgten die wohl zähesten Verhandlungen in der Geschichte dieser „vertraulichen Konventionen“. Die deutsche Seite teilte mit, sie sei nicht bereit, diese Zusatzsummen zu zahlen und wertete das Dekret als „unfreundschaftlichen Akt der Bundesrepublik gegenüber“, mit negativem Einfluss auf die bilateralen Beziehungen.

Bei anderer Gelegenheit wurde das Dekret als eine „schwerwiegende Übertretung“ der Vereinbarung von 1978 (auf die unten noch eingegangen wird) bezeichnet. Die rumänische Seite motivierte die Verordnung als Gegenmaßnahme zum „Abwerben“ der Fachleute. Auch wurde mitgeteilt, sie habe bereits vor einem Jahr darauf hingewiesen, dass die Vereinbarung den gegenwärtigen Gegebenheiten nicht mehr entspreche. Im Mai 1983 ist schließlich die neue „Confidentielle Konvention“ zwischen den  „bevollmächtigten Fachleuten“ der beiden Seiten unterzeichnet worden, mit einer Gültigkeitsdauer vom 1. Juli 1983 bis 30. Juni 1988. Sie ist als Faksimile in deutscher Sprache auf den Seiten 904 bis 906 einzusehen. In der angegebenen Zeitspanne sollten jedes Jahr 11.000 rumänische Staatsbürger deutscher Volkszugehörigkeit ausreisen und die deutsche Seite für jede Person eine Gesamtentschädigung in Höhe von 7800 DM zahlen.

Am 7. Juli 1983 kam eine „Spezielle Vereinbarung“ hinzu: die deutsche Seite verpflichtete sich „zum vollständigen Ausgleichen der Ausgaben, die mit dem endgültigen Ausreisen … verbunden sind“ für jede Person zuzüglich 350 DM Reisekosten zu zahlen. Diese Summen landen in einem anderen Konto, die Securitate nennt die Aktion „Feroviarul“ („der Eisenbahner“). In einem 22. Mai 1982 datierten Bericht der Securitate an die Partei- und Staatsführung über die Verhandlungen und schließlich das Unterzeichnen der Konvention wird angegeben, dass pro Auswanderndem 8100 – 8200 DM erhalten werden. Wenn jährlich 11.000 Personen legal ausreisen dürfen, wird man um zirka 14 Millionen DM mehr einnehmen als auf Grund der Verfügungen von Dekret 402, ohne die Transport-, Zoll- und sonstigen Kosten, die weitere zirka 4,4 Millionen DM betragen.

Grünes Licht zur Neuverhandlung der „vertraulichen Konventionen“ mit Deutschland und Israel als Folge der Verabschiedung von Dekret 402/1982 hatte die Kanzlei des ZK der RKP am 25. Januar 1983 George Homoştean, dem damaligen Innenminister, erteilt. Die Note enthält auch die festzulegenden Ziffern: 4500 Dollar pro Kopf und 13.000 Personen pro Jahr (S. 382 ff). Dem rumänischen Unterhändler Stelian Andronic hatte Postelnicu für die Verhandlungen vom Februar 1983 die Order erteilt: „Führen wir die Verhandlungen fort bis wir einen Durchschnitt erhalten, der über dem Durchschnitt liegt, der durch Anwenden des Dekrets 402/1982 erzielt würde. Dann wird eine Note an die Oberste Führung gesandt, um die Genehmigung zu erhalten, pro Person eine geringere Summe anzusetzen. Verlangen wir, sie sollen uns für 1983 auch den Rest der 7,2 Millionen zahlen“ (S. 393).

Das Schmidt-Ceauşescu-Abkommen

Die Herausgeber des Dokumentenbandes schreiben in ihrer Einleitung, „ab dem Jahr 1978 war die Ausreise-Aktion besser organisiert, weil die Regelung aufgrund der Anleitungen von höchster Stelle erfolgten, sowohl von rumänischer als auch deutscher Seite“. Die als Abkommen zwischen Bundeskanzler Helmut Schmidt und Ceauşescu – fälschlicherweise – bekanntgewordene Vereinbarung war ein „Aide Memoire“, das Staatssekretär im Auswärtigen Amt, Günther van Well, und Vasile Pungan, der Leiter des Beraterstabs von Ceau{escu, am 7. Januar 1978 unterzeichnet haben. Darin ist festgehalten, dass das am 30. Juli 1978 auslaufende „Understanding“ für weitere fünf Jahre fortgesetzt wird. Ein Vermerk zu dieser Übereinkunft ist als Faksimile in deutscher Sprache auf S. 896 des Bandes abgedruckt. „Die Ausgleichszahlung für wirtschaftliche Nachteile, die der rumänischen Seite durch die Ausreisen erwachsen, wird auf DM 4000 pro Person festgesetzt“, heißt es darin.

Die differenzierte Zahlung je nach Ausbildung hörte auf. Vereinbart worden war ferner, dass die Zahl der Ausreisenden zumindest das Ergebnis von 1977 erreichen soll. Laut Bericht von Securitate-General Gheorghe Marcu, der die technischen Verhandlungen betreffend Familienzusammenführung mit Ministerialrat im BMI von Wieterheim geführt hatte, seien das ca 9500 Personen, van Well habe im Gespräch mit Pungan die Zahl 12.000 genannt. In seinem Bericht (S. 218-220) teilt der Securitate-General ferner mit, dass die Bundesregierung Rumänien „im Tausch“ zum Abkommen in der Frage der Familienzusammenführung einen Kredit in Höhe von 700 Millionen DM für eine Dauer von 8 Jahren zur Verfügung stellt und einen Teil der Zinszahlungen tätigt, so dass die rumänische Seite einen Jahreszins von nur zirka 3 Prozent zu zahlen hat. (Es handelte sich nicht um einen Kredit, sondern um die Verbürgung von 700 Mio Hermes Bürgschaften für Lieferungen aus der Bundesrepublik – wie der ehemalige Außenminister Stefan Andrei in einem Interview mitteilte und Dr. Hüsch bestätigt.)

Das im Januar 1978 geschlossene Abkommen betreffend Familienzusammenführung war bis Juni 1983 gültig, bereits im Dezember 1980 jedoch begann die rumänische Seite das Feilschen zwecks Erhöhen des Kopfgeldes auf 5000 DM. Als Gründe werden die Inflation und Geldentwertung angeführt. Im März 1981 wird das Protokoll unterzeichnet demzufolge ab dem 1. Januar 1981 für jede ausreisende Person 5000 DM bezahlt werden, wobei die deutsche Seite erwartet, dass die „Mediumzahl der ausreisenden Personen, einschließlich die legalisierten (d. h. jene, die in Deutschland gebliebenen oder illegal hin gelangten – Anm. HB) mindestens so hoch wie das im Jahr 1980 erreichte Niveau ist“ (S. 312, S. 897 Faksimile). Laut Angaben der Securitate waren es insgesamt 13.529 Personen „im Wert“ von 30,7 Millionen US-Dollar gewesen (S. 306).

In den 1980er-Jahren werden keine „Geschenke“ mehr angenommen, sondern ein Teil des Geldes zum Ankauf von Waren am deutschen Markt verbraucht. Dazu gehörte operative Technik (zur Bespitzelung der Bürger) – wie dies in einem Bericht über die Abrechnungen für das Jahr 1980 und erste Halbjahr 1981 hervorgeht. Entgangen ist den Herausgebern des Bandes die Perfidie, mit der die Rumäniendeutschen von der  Securitate nicht nur zu stets höheren Preisen verkauft, sondern auch manipuliert und zu propagandistischen Zwecken missbraucht worden sind. Nach der Unterzeichnung des sogenannten Schmidt-Ceauşescu-Abkommens wurde ein hochrangiger Vertreter der deutschen Minderheit nach Bonn gesandt, um bei van Well dagegen zu protestieren.