Eduard, Waldmenschen und Devisen - Teil III

Anmerkungen zum Dokumentenband über die Securitate und die Ausreise der Deutschen aus Rumänien (III)

Die „Vertrauliche Konvention“ von 1983

Die „Vertrauliche Konvention“ von 1983

Die Aktion „Recuperarea“ galt ursprünglich – und zwar seit 1976 – dem ins Land Zurückholen der Sozialversicherungssummen, die rumänische Staatsbürger während der in Deutschland geleisteten Arbeitszeit gezahlt hatten – und ist dann auf die gesamten Bemühen der rumänischen Regierung ausgeweitet worden, „Entschädigungen“ in Form von Geld für die ausgereisten Rumäniendeutschen zu erhalten, so Florica Dobre, Florian Banu, Lumini]a Banu und Laura Stancu, die Herausgeber der Quellenedition „Acţiunea ‚Recuperarea’. Securitatea şi emigrarea germanilor din România (1962-1989)“. Einen eigenständigen Vorgang eröffnet die Abteilung AVS (Ac]iuni Valutare Speciale – Devisen-Sonderaktionen) des Außenspionagedienstes erst am 8. April 1986, unter dem die Unterlagen von Gesprächen und der Abwicklung der „vertraulichen Konvention“ mit der Bundesrepublik im Zusammenhang mit der Ausreise von Rumäniendeutschen zusammengefasst sind.

Die Sachsen und Schwaben werden in verschlüsselten Telegrammen und Berichten der Securitate-Mitarbeiter in den 1970er Jahren mit dem Decknamen „pădureni“ (Waldbewohner) geführt.
Begonnen hat der Unwille Ceau{escus angesichts des Wunsches von immer mehr Rumäniendeutschen auszureisen Anfang der 1970er und nicht, wie die Herausgeber schreiben, 1976-1977. Das Thema der Zahlung hoher Summen für Verwandte, die nach Deutschland ausreisen sollten, war in der Beratung von Ceauşescu mit den Wissenschaftlern und Kulturschaffenden der Rumäniendeutschen am 3. Juli 1968 offen angesprochen worden und wurde danach zu einem der propagandistischen Dauerbrenner in den Sitzungen des Rats der Werktätigen deutscher Nationalität. Angekreidet wird die Ausreise selbstverständlich der Bundesrepublik.

Diese sei bemüht, stabile Arbeitskräfte in ihr Land zu holen, um seine Wirtschaftsinteressen aber zu vertuschen hätte man die Losungen „Familienzusammenführung“ oder „humanitäre Gründe“ lanciert. Laut Ceau{escu sei die Zusammenführung auch in Rumänien möglich, verkündete die Propaganda-Abteilung der KP. Um den Ausreisetendenzen entgegenzuwirken, startete die Securitate 1976 die Aktion „Riposta II“, in deren Rahmen eine strenge Kontrolle aller Ausländer erfolgte, die nach Rumänien einreisten. Ab 1975 wird der Ausreisewille als „Ausreisepsychose“ und „Ausreisehysterie“ von den Securitate-Diensten bezeichnet (was sie mancherorts und in einigen Phasen auch tatsächlich war), worauf die Offiziere mit Paranoia reagierten. Die „Gegenmaßnahmen“ – wie zum Beispiel das „positive Beeinflussen“ von Persönlichkeiten zugunsten von Rumänien – geschah aber oft so stümperhaft, dass genau das Gegenteil erzielt wurde.

Auch dem deutschen Verhandlungspartner sind – so die Protokolle der Gespräche – bei den Neuverhandlungen der „Preise“ für die Auszureisenden Propaganda-Vorträge über die Politik des rumänischen Staates in der Frage der deutschen Minderheit und ihren historischen Beitrag zu den Verwirklichungen des rumänischen Volkes gehalten worden, wie aus manchen der veröffentlichten Dokumente ersichtlich ist. Dass man sich des „Wertes“ der Rumäniendeutschen bewusst war, zeigen die Tabellen mit den Summen, die für die ausgereisten Personen „rückgeholt“ werden müssen (S. 376-379, 842). Die „Preise“ wurden selbst aufgrund einer Wechselkurs-Veränderung DM – US-Dollar in die Höhe geschraubt.

Auf das Thema Familienzusammenführung und Eheschließungen ist Ceauşescu (und seine Außenminister) bei sozusagen allen Treffen mit deutschen Politikern angesprochen worden, und meist bekamen die Begleiter Listen mit Härtefällen überreicht. In einem Gespräch mit Bundesaußenminister Hans Dietrich Genscher im Dezember 1975 sagt Ceauşescu, die „deutsche Minderheit in Rumänien müsse für beide Seiten ein positives Faktum bleiben“. Er gibt Genscher zu verstehen, beide Seiten sollten sich um eine „praktische Lösung“ bemühen. „Die Frage der Familienzusammenführung müsse wie ein Bach betrachtet werden, ein Bach, der manchmal etwas stärker anschwelle bei starken Regenfällen und bei Trockenheit dann wieder etwas weniger Wasser führe.“ Genscher verstand den Wink und erklärte, die deutsche Seite werde den Inhalt des Baches genau beobachten (Akten zur Auswärtigen Politik der Bundesrepublik Deutschland, 1975, Bd.2, S. 1750-1751).

Die Zusatzzahlungen

Immer wieder sprechen die deutschen Politiker und Vertreter in den Gesprächen mit der rumänischen Seite die illegalen Zahlungen bzw. Bestechungsgelder an, die von den Ausreisewilligen gefordert werden. Das tat Außenminister Genscher im Gespräch mit Ceauşescu und dem rumänischen Außenminister Stefan Andrei, im August 1983 und im November desselben Jahres gab es eine Anhörung dazu im Bundestag. In einer Note, die Martin Grüner (FDP) dem mittlerweile zum Außenhandelsminister ernannten Vasile Pungan bei den Gesprächen der 11. Tagung der gemischten Regierungskommission für wirtschaftliche Zusammenarbeit im Dezember 1983 überreichte, teilte er mit, der deutsche Botschafter in Bukarest habe den „Kassier“ identifiziert und man erwarte, dass dieser zur Verantwortung gezogen wird (S. 485). (In derselben Note wird desgleichen festgestellt, dass Rumänien die Schlussakte der Konferenz von Madrid nicht beherzigt, die eine soziale Benachteiligung von Personen, die ihren Wohnsitz in einen anderen Staat verlegen wollen, verbietet, d. h. in Rumänien verlieren ausreisewillige Personen weiterhin ihre Arbeitsstelle, und es wird Druck auf sie ausgeübt, davon abzusehen. Auch durften noch nicht alle der am 1. September 1981 entlassenen Lehrer ausreisen.)

Im Februar 1984 hatte der deutsche Unterhändler Dr. Heinz-Günther Hüsch der rumänischen Seite mitgeteilt, die deutschen Behörden haben 94 Fälle dokumentiert, in denen verschiedene rumänische Vermittler Devisen in Höhe von über 2 Millionen DM gefordert haben, wobei die deutsche Seite zur Schlussfolgerung gekommen sei, dies geschehe mit dem Einverständnis der Passämter. Stelian Andronic, der damalige rumänische Unterhändler, entgegnet „wie vorher festgelegt worden waren“, dass über 50 „Elemente mit dergleichen strafbarer Beschäftigung“ verhaftet und verurteilt wurden und es sich dabei um Personen handelt, die auch andere Straftaten begangen hätten. Auch teilt er mit, dass westdeutsche Touristen Devisen ins Land bringen, ohne sie beim Grenzübergang zu erklären. „Was aber stellen schon diese 97 Fälle dar, angesichts der 12.242 Personen, die 1983 ausgereist sind?“, minimalisiert Andronic (S. 493ff).

Die rumänische Seite spricht ihren Unwillen über jene aus, die aus Verzweiflung, den Pass nicht schnell genug zu erhalten, Denkschriften verfassen. Diese würden den „Hochstaplern“ in die Arme fallen.
Für die Verhandlungen im Juni 1987 hatte der rumänische Unterhändler das Mandat erhalten, eine Liste mit Namen von rumänischen Staatsbürgern vorzubereiten, die wegen Straftaten im Zusammenhang mit der Beeinflussung von Ausreiseverfahren verhaftet worden waren, und eine Liste von westdeutschen Staatsbürgern, die bekannt dafür waren, Geld zu kassieren für das Beschleunigen der Ausreise oder das illegale Rausbringen von Personen aus dem Land (S. 662). Es waren die Anhänge 7 und 8, vermutlich vorbereitet, falls es hart auf hart kommen werde zu diesem Thema. Laut Mandat sollten dem deutschen Unterhändler nur die Anhänge 1 bis 5 überreicht werden. Dieses umfangreiche Kapitel der illegalen Zahlungen und Bestechungen wird wohl schwer aufzuklären sein.

Das Ende vor der Wende

Ab 1980 werden die rumänischen Unterhändler genau unterwiesen, was sie in den Gesprächen mit dem deutschen Partnern zu sagen haben. Diese „Mandate“ sind genauso wie der jeweilige Bericht (Rapport) nach dem Gespräch abgedruckt. Hinzu kommen dann ab Mitte der 1980er-Jahre auch Noten betreffend „einige Aspekte der Spionageabwehr“. Die Paranoia der rumänischen Seite hatte so sehr zugenommen, dass jedwelche Freundlichkeit des deutschen Gesprächspartners abgelehnt wurde und Misstrauen erweckte. Ab 1986 werden dann auch die Niederschriften der Gesprächsabhörungen beigefügt. Abgehört wurden nicht bloß die Gespräche über die Abwicklung der „vertraulichen Konvention“, sondern auch jene, die Dr. Hüsch mit Vertretern der deutschen Botschaft in verschiedenen Lokalen in Bukarest geführt hat.

Nach langwierigen Verhandlungen unterzeichnen die beiden Unterhändler Dr. Heinz Günther Hüsch und Ministerialrat Dr. Constantin Anghelache am 8. November 1988 die Weiterführung der Vertraulichen Konvention über die Zurückzahlung von Ausgaben, die durch die Ausreise rumänischer Staatsbürger deutscher Nationalität entstehen, sowie die Sondervereinbarung über das Aufkommen für die Transportkosten. Im Falle einer begründeten Familienzusammenführung oder Heirat sollte die deutsche Seite in der Zeitspanne 1. Juli 1988 bis 30. Juni 1993 pro Kopf jeweils 8950 DM zahlen plus 390 DM Transportkosten. Punkt 13 der insgesamt 15 vereinbarten beinhaltet die strenge Geheimhaltung des Abkommens (S. 764 ff).

Im November 1989 werden Tabellen angefertigt mit den „Einnahmen“ aus der Aktion „Recuperarea“ für die Zeitspanne 1. Januar bis 31. Oktober 1989 und das waren insgesamt 126.937.100 DM. Das Saldo im Konto der Aktion „Feroviarul“ (der Fahrkartenkosten) aus der Zeitspanne 1. Januar 1988 – 31. Oktober 1989 betrug über 4 Millionen DM (S. 841ff). Für das Gespräch mit dem deutschen Unterhändler vom 4. Dezember 1989 erhält der rumänische Leiter der Abteilung Devisen-Sonderaktion das Mandat, die Vertrauliche Konvention einseitig und unwiderrufbar zu annulieren. Die rumänische Seite habe wiederholt die deutsche Seite darauf hingewiesen, dass Personen aus Westdeutschland rumänischen Staatsbürgern zur Landesflucht verholfen haben, beziehungsweise dieses versuchen, und Deutschland habe dagegen keine Maßnahmen getroffen, heißt es in dem Statement der rumänischen Seite.

Auch habe die deutsche Seite wiederholt politisches Kapital aus dergleichen Aktionen geschlagen und das auch aus der als vertraulich vereinbarten Konvention. Die Verpflichtung der deutschen Seite, für Personen zu zahlen, die nach Deutschland ausreisen möchten, werde künftig entfallen. Diesbezügliche Gesuche der rumänischen Staatsbürger deutscher Nationalität werde man „wie auch bisher, je nach Gesuch und den bilateralen Beziehungen, im Geist der humanistischen Politik unseres Landes“ lösen, welches die Emigration zwar nicht ermutige, dennoch aber jeden Fall mit Wohlwollen untersuchen werde, „ohne dass die deutsche Seite verpflichtet ist, weiterhin das System der finanziellen Kompensationen für diese Ausreisen zu nutzen“ (S. 843 ff).

Auf den Bericht des rumänischen Unterhändlers vom letzten Treffen mit „Eduard“ (dem deutschen Unterhändler), setzt Innenminister Postelnicu (am 8. Dezember 1989) hinzu: Der Genosse Generalsekretär ist persönlich unterrichtet worden und hat die Art, in der vorgegangen wurde, als gut betrachtet. In Zukunft werden wir dahingehend agieren, dass sich ja kein Gauner getraut, Geld (Devisen, usw.) von jenen zu verlangen, die die Ausreise unter Respektierung der Gesetze beantragen (S. 849).
Laut rumänischer Seite hatten Anfang Dezember noch 10.973 Personen die Ausreisegenehmigung erhalten, für 6100 von ihnen waren auch die Transporttalons bereits ausgestellt. Die letzte Zahlung sollte am 20. Dezember erfolgen, dazu aber kam es nicht mehr.  

Ein mögliches Fazit

In den obigen Ausführung wurden nur einige Beispiele von den in diesem Quellenband veröffentlichten 468 Urkunden erwähnt, die bei Weitem nicht alle sind, die es zum Thema in dem Archiv von CNSAS gibt. Etwas Licht wurde in diesen „Handel“ gebracht, viele Fragen aber bleiben weiterhin offen. Von den Herausgebern des Dokumentenbandes erfährt man leider nichts über die anderen im Kontext der Aktion „Recuperarea“ getätigten Vorgänge wie „Banatul“ und „Aradul“ (1981), oder „Expoziţia“, „Mediaş“, „Crişul“, u. a. Auch stimmen manche der in diesen Urkunden enthaltenen und nun bekannt gegebenen Informationen, Aussagen und Zahlen nicht ganz mit jenen überein, die der deutsche Unterhändler Dr. Heinz-Günther Hüsch im Verlauf der Jahre notiert und in seinen Interviews mit Ernst Meinhardt mitgeteilt hat. Wenig ausgewertet wurden bislang die politischen Archive zum Thema.

Im vorliegenden Buch sind zahlreiche Summen abgedruckt, die Rumänien aus offiziellen Zahlungen in der Aktion „Recuperarea“ kassiert hat. Hätte man die Gewissheit, dass es alle sind, die von deutscher Seite überwiesen wurden, könnte man zusammenrechnen, wie viele Milliarden die Bundesregierung dem rumänischen Staat für die Ausreise von Sachsen und Schwaben gezahlt hat. Was mit dem Geld geschehen ist? Stelian Octavian Andronic, Anfang der 1980er der Leiter des Departements für Devisen-Sonderaktionen (AVS), schreibt in seinen Memoiren („Secretul trandafirului“, Bukarest, 2010, S.153), dass ausschließlich Ceau{escu das Verfügungsrecht über diese Sonderkonten bei der Außenhandelsbank hatte. 1,5 Milliarden US-Dollar seien aufgrund von Präsidialdekreten für das Löschen von Auslandsschulden verwendet worden. Wie in mehreren Urkunden im Band nachzulesen, floss ein Teil der „rückgewonnenen Bildungskosten“ in Spezialkonten in der Bundesrepublik und wurde zum Ankauf von Bespitzelungstechnik und sonstiger Ausstattung für die Geheimdienste verwendet.