Ein Palimpsest im Atlas der Zeiten

Auf den Spuren der Griechen: von Tomis über Küstendje nach Konstanza

Christliches Gotteshaus, im osmanischen Küstendje erbaut Fotos: George Dumitriu

Fortuna mit dem Füllhorn

Im Archäologiemuseum wimmelt es vor Zeitzeugen der alten Griechen.

Stradela Vântului – Sträßchen des Windes im griechischen Viertel

Die griechisch-orthodoxe Kirche Metamorfosis

Als der römische Dichter Ovid vor gut 2000 Jahren durch die Festung von Tomis streifte, bemerkte er indigniert: „Hier wird eine schwere, uns fremde Sprache gesprochen.“ Kein Wunder, war Tomis doch eine Gründung der Griechen, die dort im 6. Jh. vor Christus auf dem Weg von und nach Histria, dem damaligen Dreh- und Angelpunkt ihrer Handelsaktivitäten, gelegentlich eine Rast einlegten. Selbst als sich einige fest in Tomis niederließen und den Handel mit den einheimischen Geten aufnahmen, Werkzeuge herstellten, Getreide oder Wein anbauten, stand es noch lange im Schatten von Histria. Bis eine Laune der Natur das Schicksal der beiden Städte umkehrte: Als der Hafen von Histria versandete, begann der Stern von Tomis zu steigen...

Tomis – woher kommt eigentlich der Name? Und woher der des heutigen Konstanza/Constanța? Cristian Chelera, der unsere Gruppe auf der sechsten Journalistenreise des Departements für interethnische Beziehungen an der Rumänischen Regierung (DRI) durch das Ärchäologiemuseum führte, erklärte, es käme von „tomeos“ - Klinge auf Griechisch. Denn wie eine solche stach die Festung an der Küste mitten ins Schwarze Meer hinein. Der Name Konstanza hingegen leitet sich von einem Stadtteil von Tomis ab, den Kaiser Konstantin im 4. Jh. erbaut und nach seiner Halbschwester Julia Flavia Konstantia benannt hat. 

Als die Osmanen im 15. Jh. das Gebiet eroberten, wurde aus Konstantia Küstendje. In den folgenden vier Jahrhunderten unter osmanischer Herrschaft büßte die Stadt ihren Glanz völlig ein. Die Dobrudscha wurde ein ewiges Schlachtfeld, zerrissen zwischen den Soldaten des Sultans und des russischen Zaren, die Bevölkerung ständig auf der Flucht. Die Städte verfielen. Bald war auch Küstendje nur noch ein vergessener Hafen griechischer Fischer am Rande des Osmanischen Reichs.

Wo waren die Zeiten geblieben, in denen Fortuna das Füllhorn über Pontos ausgeschüttet hatte? Als Hekate ihre drei zaubernden Armpaare schwang? Die Götter hatten Konstanza verlassen... Erst 1962 kamen sie wieder ans Licht, zusammen mit ihren 24 anderen himmlichen Gefährten der griechisch-römischen Antike, die man heute in der Schatzkammer im Archäologiemuseum bewundern kann.

Von der Vielgötterei zum Christentum

Schon immer war die Stadt eine Melange aus verschiedenen ethnischen Gruppen gewesen. Und schon immer hatten dort Griechen gelebt. Im ersten Jahrhundert begann der heilige Apostel Andreas mit der Missionierung der Dobrudscha, um der griechisch-römischen Vielgötterei ein Ende zu bereiten. Man vermutet, dass er damals in Tomis ein Bistum einrichtete. Bereits im 4. Jahrhundert gab es dort ein gut organisiertes christliches Leben. Dennoch kam es in dieser Zeit immer wieder zu brutalen Christenverfolgungen. Ein Kalkblock mit griechischer Inschrift benennt als Opfer unter Diokletian (284-305) Kyrill, Kindeas, Tassios und Euprasis. Aus dem 4. Jh. sind als Märtyrer bekannt: Zotikos, Attalos, Kamasis und Filippos, bestattet in Niculițel (Tulcea). Opfer von Diokletian sind auch die Märtyrer von Halmyris (Tulcea): 17 Jahre lang mussten sich der Priester Epictet und der junge Mönch Astion in der Festung der nördlichen Dobrudscha verstecken. Sie sollen an die 1000 Menschen zum Christentum bekehrt haben. Durch Verrat wurden sie schließlich entdeckt, gefoltert und hingerichtet. 2001 wurde die Krypta mit den Gebeinen der ältesten Märtyrer Rumäniens gefunden und 2011 freigelegt. Sie befinden sich heute im neuen Kloster Halmyris. Eine kleine Reliquie wird in der Kathedrale des Erzbischofs von Tomis in Konstanza aufbewahrt. 

Erleichterung für die ersten Christen brachte die „Konstantinische Wende“ (313): Zwischen den römischen Kaisern Konstantin I., Kaiser des Westens, und Licinius, Kaiser des Ostens, wurde eine Vereinbarung getroffen, die den Menschen das Recht gewährte, „der Religion anzuhängen, die ein jeder für sich wählt“. Danach gewann das Christentum an Einfluss im Römischen Reich. 380 wurde es sogar zur Staatsreligion erhoben.

Turbulente Zwischenzeit

Während Tomis 447 von Hunnenkönig Attila ausgeraubt und teilweise zerstört wurde, dann wieder aufgebaut und unter Justinian (527-565) eine neue Blüte erlebte, verlieren sich die Spuren der Griechen. Doch kann man davon ausgehen, dass um 1000, als die Genovesen, die auf dem Schwarzen Meer Handel trieben, an Bedeutung gewannen, auch wieder Griechen anwesend waren. In den folgenden Jahrhunderten gilt die Existenz kleinerer griechischer Gemeinschaften in der Dobrudscha als gesichert. Ioan Gninski beschrieb Isaccea 1677-1678 als einen „Ort, wo viele Griechen, Armenier, Bulgaren und Türken leben.“ 1709 erwähnte der schwedische Pastor Michel Enesman griechische Juden in Babadag. Über Konstanza berichtete 1780 der polnische Agent an der Hohen Pforte, W. Czrzanowski, dort läge einer der bedeutendsten Häfen „voller griechischer Schiffe“.  Im 18. Jh. bemerkt Baron d‘Hogguer über Konstanza: „Das griechische Element des Händlers dominiert auch hier.“ 

Massive Einwanderungswellen

Die meisten Griechen wanderten nach dem Pariser Frieden (1856) ein, der den Krimkrieg zwischen dem Osmanischen Reich und Russland beendete. Gab es 1840 in Konstanza nur 40 griechische Familien, drei Lebensmittelläden, zwei Metzger, einen Brotbäcker, einen Schuhmacher und zwei Wirtshäuser, werden 1859 bereits 500 Familien erwähnt. In Tulcea und Sulina sollten die Griechen bald dominieren. 

Auch für den Bau der Straße zwischen Rahova und Konstanza durch die französische Mission kamen viele Griechen, ebenso für die Verlegung der Eisenbahn zwischen Cernavoda und Konstanza durch eine britische Gesellschaft und für den Bau des Hafens. Die meisten Arbeiter wanderten aus Anchialos, Mesembria (heute Nessebar, Bulgarien) und Vasiliko (heute Tsarevo, Bulgarien) ein. 1879 bildeten die Griechen in Konstanza bereits die größte ethnische Gruppe. 1877, bevor die Dobrudscha Rumänien zugeschlagen wurde, war ein Grieche namens Nicola Papadopol Bürgermeister. Er wurde später der erste rumänische Staatsbürger Konstanzas. Aber auch nach dem Anschluss der Dobrudscha an Rumänien hatte Konstanza noch mehrere griechische Bürgermeister. 

Bis 1913 wanderten kontinuierlich Griechen aus Regionen ein, die bis zu den Balkankriegen unter osmanischer Hoheit standen - Thrakien, Makedonien, Epirus, die Inseln Lesbos und Chios. Im Sommer 1922 flüchteten viele nach der desaströsen Niederlage der griechischen Streitkräfte in Kleinasien in die Dobrudscha. 

Vor dem Zweiten Weltkrieg lebten zwischen 6000 und 8000 Griechen in Konstanza, verrät die Webseite der Vereinigung der Griechen in Rumänien, Elpis, auf Griechisch Hoffnung (www.elpis.ro). Um 1800 herum gegründet, wurde sie im Kommunismus aufgelöst und nach der Revolution erneut  ins Leben gerufen. Heute zählt sie ca. 2500 Mitglieder, die versuchen, die Kultur und Traditionen ihrer Vorfahren hochzuhalten. In den letzten vier Jahren hielten sie in Konstanza über 1000 kulturelle Veranstaltungen ab. Jeden Oktober wird wechselseitig dort oder in Athen ein griechisches Festival organisiert, mit Tanzgruppen und Kulturbeiträgen aus beiden Ländern.  Aber auch Kurse für griechischen Tanz oder die griechische Sprache werden angeboten, wobei auch andere Ethnien willkommen sind. 

Streifzug durch das griechische Viertel

Was ist von den Griechen geblieben, deren Wohnviertel sich um die heutige Straße Karatzali, einem erhöhten Ort mit Zugang zum Meer, konzentrierten? 
Der Palast des berühmten Numismatikers Mihai Su]u, errichtet von Architekt Grigore Cerchez im maurischen Stil, kann nur von außen bewundert werden.
Zuflucht vor einem Platzregen bietet uns die griechisch-orthodoxe Kirche Metamorfosis (Verklärung Christi), 1865 bis 1867 noch von den Griechen Küstendjes erbaut: Sie benötigten hierfür die Genehmigung des Sultans Abdul Aziz, der ihnen 1863 schriftlich erlaubte „an dem Ort in meinem Reich, den die Griechen bereits als Stätte des Gebets pflegen, eine Kirche, ein Spital und eine Schule zu errichten.“ Freilich mit der Auflage, der Kirchturm dürfe nicht höher als das Minarett der Moschee sein. Dank Spenden von Griechen aus aller Welt, dank der Steuern, die die Griechen in Konstanza den Getreideexporteuren auferlegen durften, dank der Hilfe des Archimandriten Filippos Tzoulatis aus Kefalonia und des Direktors der britischen Eisenbahngesellschaft gelang es den  Griechen in Konstanza, das heute älteste christliche Gotteshaus der Stadt zu errichten. Zehn Jahre war die griechische Kirche zudem die einzige und wurde daher auch von Katholiken und rumänischen Orthodoxen besucht. 

Besonderheiten sind der Lüster aus Murano-Glas, 1862 von einem griechischen Kaufmann gespendet, sowie der 1947 angefügte, bis heute funktionale Glockenturm. Die Kirche ist dem griechischen Heiligen Fanurie geweiht, der zu den wundertätigen Heiligen zählt. Neben Ikonen beherbergt sie auch dessen Reliquie. 

Gleich gegenüber liegt die griechische Schule, 1867 fertiggestellt, heute ein Zweig des Kollegs „Mihai Eminescu“. Das erste Theater der Griechen, Elpis, ein  rosa Gebäude, entstand 1897.

Wer auf der Tour auf den Spuren der Griechen nun Lust auf Gyros, Calamares oder gefüllte Weinblätter bekommt, kann sich auf der Webseite von Elpis an der Liste der griechischen Restaurants inspirieren. Und wenn der erste Tropfen Ouzo die Kehle benetzt und aus dem Radio mit warmer Stimme ein Sirtaki ertönt, dann spürt man es ganz deutlich: Konstanza ist ein riesiges griechisches Palimpsest! Eine Seite im Atlas der Geschichte, immer wieder gelöscht und neu beschrieben. Tomis - Küstendje - Konstanza. Nur das Schwarze Meer erinnert sich  geduldig an alle Geschichten...