„Ein starker Kultur- und Bildungsbereich wird dazu beitragen, das Land zu entwickeln“

Gespräch mit Corina Gîrla, Leiterin des Goethe-Zentrums in Chișinău

Corina Gîrla gründete das Goethe-Zentrum in Chișinău. | Foto: Aurelia Brecht

Seit 2013 leitet Corina Gîrla das Goethe-Zentrum in Chișinău. Von Beruf Deutschlehrerin, absolvierte sie den Studiengang „Deutsch als Fremdsprache“ an der Pädagogischen Universität in Chișinău und studierte anschließend „Medien und interkulturelle Kommunikation“ an der Europauniversität Viadrina, Frankfurt/Oder. Unsere Redakteurin Aurelia Brecht sprach mit ihr über ihre Motivation, die Schwierigkeiten, deutsche Kultur in der Republik Moldau zu vermitteln, und die Rolle, die der deutschen Sprache in der Republik Moldau zukommt.

Wie kommt es, dass Sie Deutsch gelernt haben?
Mein Interesse an Deutsch ergab sich eher zufällig. Ich wollte unbedingt Fremdsprachen studieren. In der Schule habe ich Englisch und Französisch gelernt, aber die Konkurrenz in beiden Fremdsprachen war groß. Da ich mich um ein Stipendium bewerben wollte, musste ich mir etwas Schwierigeres aussuchen, um meine Chancen zu steigern. So fiel die Entscheidung darauf, Deutsch zu lernen.

Seit wann existiert das deutsche Kulturzentrum „Akzente“?
Wir existieren seit 2007 – im Jahr 2022 feierten wir fünfzehn Jahre unserer Tätigkeit. Ziel war es von Beginn an, die deutsche Sprache und Kultur in der Republik Moldau zu fördern. In Rumänien gab es damals das Robert Bosch-Programm, in dessen Rahmen in vielen rumänischen Städten, in denen es eine deutsche Minderheit gab, Lektoren eingesetzt wurden. Manche von ihnen haben damals dazu beigetragen, deutsche Kulturzentren in Rumänien zu gründen. Dadurch inspiriert haben wir uns noch an der Uni mit ein paar Kolleginnen zusammengefunden und das deutsche Kulturzentrum in Chișinău gegründet. Im Jahr 2020 ist dann im Laufe mehrerer Akkreditierungen durch das Goethe-Institut das „Akzente“-Zentrum auch „Goethe-Zentrum“ geworden.

Gab es zu Beginn Schwierigkeiten bei der Gründung?
Bei der Gründung selbst nicht. Damals war die moldauische Gesetzgebung für den nichtkommerziellen Bereich in Moldau günstig, was uns vieles erleichterte. Trotzdem war der Beginn nicht einfach – auch deshalb, weil die Finanzierung fehlte. 
Wir haben schließlich Extra-Sprachkurse angeboten, um damit die kulturelle Tätigkeit zu finanzieren. Am Anfang war die deutsche Botschaft unterstützend dabei und hat unsere Projekte einige Jahre gefördert. Seit 2010 hat diese Rolle das Goethe-Institut Bukarest übernommen.

Können Sie einen Einblick geben in die Projekte, die bei ihnen stattfinden?
Wir konzentrieren uns sehr auf zeitgenössische Kunst. Dabei ist uns insbesondere die Arbeit mit lokalen Partnern wichtig. Es existiert sogar ein eigenes Programm, das in Zusammenarbeit mit dem Goethe-Institut Bukarest entwickelt wurde. Dessen Ziel es ist, die lokale moldauische freie Szene zu unterstützen und zu fördern.
Darüber hinaus bieten wir Lesungen, Konzerte, Ausstellungen, Diskussionen und Treffen mit Künstlerinnen und Künstlern. Aber wir tragen auch unseren Teil zu bereits etablierten Events bei; so unterstützen wir die Veranstaltung „Jazz in Chișinău“ oder das „Bachfestival“. 
Und es gibt Veranstaltungen, die von uns alleine getragen werden: Beispielsweise die Deutschen Filmtage, Lehrerfortbildungen und Workshops. Insgesamt haben wir eine breite Palette an Veranstaltungen in den Bereichen Film, Theater, Literatur, Fotografie, bildende Künste, Musik…

Welche Rolle spielt die deutsche Kultur in der Republik Moldau?
Deutschland wird heute in unserer Gesellschaft sehr positiv gesehen und angenommen – vor allem als Wirtschaftsmacht und wegen seiner Rolle in der EU. Wir sind hier in einer ehemaligen Sowjetrepublik: Die Vorurteile, die es nach dem 2. Weltkrieg gegenüber Deutschland gab, gibt es so nicht mehr. Sie wurden in den letzten dreißig Jahren abgebaut – durch die guten Beziehungen zu Deutschland, durch die Migration und das positive Bild, das Deutschland nach außen vermittelt. 
Was die deutsche Kultur und die Zusammenarbeit mit Künstlern aus Deutschland betrifft: Es ist nicht immer einfach, aus dem reichen Angebot auszuwählen; wir bekommen sehr viele Anfragen und da wir ein kleines Institut sind, sind unsere finanziellen und personellen Ressourcen begrenzt. 

Welche Rolle spielt die deutsche Sprache?
Deutsch nimmt nach dem Englischen und Französischen den dritten Platz an den Schulen ein. Das Russische hat hier nicht den Status einer Fremdsprache; es gilt als Sprache interethnischer Kommunikation. Vor allem in den letzten fünf Jahren ist die Nachfrage nach dem Deutschunterricht gestiegen – aber leider fehlen in der Republik Moldau die qualifizierten Lehrkräfte.
 Auch an Lehrwerken mangelt es. Aus diesem Grund gab es über mehrere Jahre ein Projekt zur Förderung der deutschen Sprache an den Schulen: Im Rahmen dieses Projekts haben wir Lehrmittel für das Schulfach Deutsch gespendet. Dieses Projekt werden wir voraussichtlich erneut durchführen, denn der Bedarf ist weiterhin groß.

Wer lernt bei Ihnen überhaupt Deutsch?
Wir bieten Deutschkurse sowohl für Kinder und Jugendliche als auch für Erwachsene an. Die Kinder und Jugendlichen lernen Deutsch, um später in einem der deutschsprachigen Länder zu studieren. Und  im Vergleich mit Frankreich oder Großbritannien scheint Deutschland ein günstiges Land für ein Studium zu sein. Oder die Sprachkenntnisse werden für die Familienzusammenführung benötigt, weil sich bereits ein Elternteil in Deutschland befindet.
Dann gibt es noch den Fall, dass Schülerinnen und Schüler der 11. Klasse das B2-Zertifikat bei uns machen, um von der Abiturprüfung im Fach Deutsch befreit zu werden. Das wird durch einen Erlass des moldauischen Bildungsministeriums ermöglicht.
Bei den Erwachsenen sind es Ärzte, IT-Leute, Menschen aus dem Pflegebereich, Krankenschwestern, Ingenieure oder Architekten, die nach Deutschland wollen – qualifizierte Arbeitskräfte, die sich für ein Leben in Deutschland entschieden haben. Für diese Entscheidung brauchen sie die entsprechenden Sprachkenntnisse, eben ein Goethe-Zertifikat, und das bekommen sie bei uns.

Gibt es Kooperationen mit bessarabiendeutschen Vereinen?
Derzeit noch nicht. Unser Hauptziel war es von Anfang an, im Schwerpunkt die zeitgenössische Kunst und Kultur zu unterstützen. In Chișinău gibt es aber einen Verein, „Haus der Hoffnung“, der sich um die Pflege der Kultur und Traditionen der Bessarabiendeutschen kümmert. Wir hatten bisher noch kein Projekt in diese Richtung, es ist aber eines in Arbeit: Es soll eine interaktive Karte der Ortschaften entstehen, in denen Bessarbiendeutsche in der Moldau gelebt haben. Diese Karte wird animierte Informationen zu Geographie und zur ethnokulturellen Zusammensetzung früher und heute anbieten.

Wie unterscheidet sich Ihre Kulturinstitution von anderen Kulturinstitutionen in Chișinău?
Für uns ist es sehr wichtig, einen unabhängigen Kulturbereich zu schaffen und diesen zu stärken. Denn dadurch kann ein kritischer Diskurs in der Gesellschaft gefördert werden. Das moldauische Kulturministerium beispielsweise unterstützt eigene Partner und arbeitet ausschließlich mit staatlichen Institutionen. 
Dann gibt es noch den kommerziellen Sektor, die sogenannten „Kreativindustrien“. Deren Ziel ist es aber, Gewinn zu erzeugen. Die, die tatsächlich etwas voranbringen können, kommen aus der unabhängigen freien Szene. Diese Kulturszene unterstützen wir sehr aktiv. Aus diesem Grund haben wir das Projekt „alternative Kunsträume“ gefördert; dabei sind unabhängige Kunsträume entstanden. Zudem unterstützen wir NGOs im Kulturbereich, die ansonsten keine Finanzierung vom Staat bekommen. Hier geben wir sowohl inhaltliche als auch finanzielle Unterstützung. Ich glaube, das unterscheidet uns von anderen Kulturinstitutionen.

Wie haben die Covid-19-Pandemie und der Krieg in der Ukraine ihre Arbeit verändert?
Wir waren durch beides sehr stark betroffen. Während der Pandemie haben wir zweieinhalb Jahre versucht sowohl in der Sprachabteilung als auch im Kulturprogramm verschiedene Formate auszuprobieren. In der Sprachabteilung arbeiten wir teilweise immer noch im Hybridformat. Wir merkten schnell: Auf der einen Seite spart man sich Reise- oder die Unterkunftskosten, auf der anderen Seite fehlt der soziale Aspekt. Ideen entstehen insbesondere, wenn man im direkten Kontakt mit den Kulturschaffenden ist. So entwickelt man Ideen. Und das fehlt. 
Nach dem Angriff auf die Ukraine am 24. Februar mussten wir viele unserer Pläne aufgeben. Alle Projekte, die für Frühjahr geplant waren, wie das „Bachfestival“ oder unsere Jubiläumsfeier, wurden verschoben. Der Luftraum in der Republik Moldau war zu diesem Zeitpunkt gesperrt und es gab das Risiko, dass auch die Republik Moldau angegriffen wird. Die Unsicherheit war groß. Einige Projekte haben nicht mehr stattgefunden, weil auch die Künstler Angst hatten, hierher zu kommen. Mit einigen konnten wir online einen „Artist-Talk“ durchführen – immerhin eine Zwischenlösung. 
Auch sind nach Kriegsausbruch einige Lehrkräfte nach einer Woche direkt nach Rumänien ausgewandert. Sie unterrichten nur noch online. Und wir haben uns seitdem nur einmal gesehen. Das ändert auch die Arbeitsweise insgesamt. 

Welchen Problemen begegnen Sie hier in ihrer Arbeit als Kulturvermittler-Institution?
Der kulturelle Bereich müsste besser finanziert werden. Ich merke das besonders an den Kulturschaffenden, die unterbezahlt sind. Es fehlt ihnen an Räumlichkeiten, um Proben durchzuführen oder Werkstätten zu organisieren. Auf dem Lande ist die Situation noch dramatischer. Die Instabilität der letzten Jahre führt auch dazu, dass Künstler weggehen. Sie geben ihre Begabungen und Pläne auf und nehmen andere Jobs an. Die jungen Künstler sind schon fast alle weg – durch Stipendien oder weil sie den Eltern ins Ausland folgen. Das bedeutet für uns, dass wir fast jedes Jahr neu beginnen. Wir unterstützen insbesondere junge Künstler, die am Anfang ihrer Laufbahn stehen. Sie brauchen meist nicht so viele Mittel, um ihre Idee zu verwirklichen. Aber sie brauchen organisatorische Unterstützung, inhaltliche Betreuung. Wir unterstützen sie bei ihren Vorhaben, damit sie den Mut bekommen, weiter zu machen. Aber nach drei oder vier Jahren geben sie meist auf und sind dann weg. Personalwechsel und Fluktuation haben wir auch bei uns im Team – das ganze Land ist sehr stark von der Abwanderung betroffen.

Was treibt Sie in Ihrer Arbeit an?
Die Überzeugung, dass ein starker Kultur- und Bildungsbereich dazu beitragen wird, das Land zu entwickeln. Nicht nur die Wirtschaft. Das ist die feste Überzeugung von uns im Kulturprogramm – aber auch unseres gesamten Teams.

Gibt es etwas, von dem Sie sich wünschen, dass es sich verändert?
Für uns als Institution wünsche mir mehr Lehrkräfte. Ich wünsche mir, dass wir es schaffen, die jungen Menschen, die zu uns kommen, zu qualifizieren und anschließend zu überzeugen, bei uns zu bleiben. Für das Land wünsche ich mir, dass die Entwicklungen der letzten zwei Jahre weitergeführt werden. Im Moment haben wir eine gute Kombination an der Führungsspitze – sowohl in der Regierung als auch im Parlament. Alles entwickelt sich langsam, aber ich bin überzeugt, dass der derzeitige Weg ein guter ist. Und der neue Status des Landes als Beitrittskandidat der EU macht Hoffnung, dass es das Land bald schafft, tatsächlich Mitglied zu werden.

Danke für das Interview!