Eine Oase der Hoffnung für Roma-Kinder

Der Klub für Alternativpädagogik im Bukarester Stadtteil Ferentari

Ungefähr 50 Kinder im Alter von fünf bis 16 Jahren besuchen die Kurse des Klubs für Alternativpädagogik in Ferentari. Weitere solche Klubs gibt es in den Schulen Nr. 2 und Nr. 148.

Der Klub ist von Montag bis Samstag (9 – 17 Uhr) geöffnet. Gearbeitet wurde seit der Gründung mit mehr als 250 Kindern.

Wichtig ist, dass die Kinder möglichst viel Zeit nicht sich selbst

Müllberge, Drogenabhängige, benutzte Spritzen auf Schritt und Tritt, Armut, Gewalt und Prostitution: Das ist die Visitenkarte des Bukarester Stadtviertels Ferentari, das vorwiegend von Roma bewohnt wird. Es ist wohl einer der berüchtigtsten Stadtteile Bukarests. „Das hier ist ein Getto und die Kinder sind nicht in Sicherheit“, das sind die Worte einer Mutter aus der Roma-Gemeinde in Ferentari, die sich zusammen mit anderen für die Sicherheit ihrer Kleinen einsetzen will. Jene Eltern, die ihre Kinder in diese Schule schicken, leisten sich nicht, den Sicherheitsdienst der Institution zu bezahlen. „In einer Nachbarschule wurde dieser Dienst kostenlos eingeführt, nachdem dort eine schlimme Sache geschehen ist. Doch darauf wollen wir nicht warten“, erklärt sie. Das ist nur eines der Probleme, mit dem die Bewohner von Ferentari täglich konfrontiert werden. Nicht alle Menschen im fünften Stadtbezirk befinden sich in einer völlig ausweglosen Lage: Seit drei Jahren gibt es für die hiesigen benachteiligten Kinder eine Alternative zum Spielen auf den gefährlichen Straßen. Diese Möglichkeit können die Kinder hier im Klub für Alternative Pädagogik finden. Der Klub ist ein Projekt der Bukarester NGO Policy Center for Roma and Minorities (PCRM), das 2008 von Valeriu Nicolae begonnen wurde.

Olguţa und Ileana vom Policy Center haben vorgeschlagen, dass wir zusammen zum Klub fahren, weil er relativ schwer zu finden ist. Dass wir uns an der U-Bahnstation Eroii Revoluţiei treffen, um den Bus zu nehmen, ist eine Nachricht, die Erleichterung bringt: Auch der gewöhnliche Bukarester, der in diesem Stadtteil noch nie war, weiß nicht, was ihn in Ferentari erwartet. Ein paar Bushaltestellen weiter erscheint die Schule 136: Nicht mehr und nicht weniger als ein typisches, quadratisches Gebäude, hinter einem typischen viereckigen Drahtzaun. Hier befindet sich der Klub für Alternative Pädagogik, auf einer Straße, die durch nichts Besonders auffällt, genauso wie viele anderen staubigen, ungepflegten Straßen in Bukarest. Von außen scheint das Gebäude der Schule  vor nicht allzu langer Zeit renoviert worden zu sein, vorne wird gerade an den Treppen gearbeitet. Der Klub im dritten Stock hat als Ziel, den Kindern des Stadtteils Förderunterricht anzubieten. Abgehalten werden hier verschiedenste Kurse, von Sport und Tanzen bis zu Mathe, Musik oder Kunst.

Minus sehr gut und ein Kuss

Es ist kurz vor fünf. Im Raum des Klubs herrscht ein ständiges, strukturiertes Hin und Her, denn mehrere Gruppen arbeiten zur gleichen Zeit, ohne dass die anderen gestört werden: Der große Saal mit bemalten Wänden ist modern ausgestattet, aufgeteilt durch mehrere Regale mit Ordnern, Spielzeug oder Musikinstrumenten: Es gibt Werkstätten für Kunst, Mathe, Lesen und Spielen. In zwei Ecken wurden die Schreibtische der Angestellten, die die Kinder betreuen, aufgestellt. Der Raum ist sehr belebt: In einer Ecke spielen mehrere kleine Kinder, Koordinatorin Mădălina hilft einem Jungen bei Mathe und die Englischlehrerin Hannah hält den Fremdsprachenkurs mit einer zwölfköpfigen Gruppe: Sie schreibt gerade Namen verschiedener Tiere an die Tafel. In demselben Raum warten brav eine Großmutter mit tiefen, dunklen Augenringen und eine Mutter, eine ärmlich gekleidete Frau, die sanft lächelt. Eine energische Assistentin passt auf die Kinder auf. Der Kurs geht gerade zu Ende. Ein Mädchen mit strahlenden Augen stürmt zu Olguţa und umarmt sie. Stolz hält sie der jungen Frau ihren neuesten Test in Französisch vor die Nase: Ein Blatt Papier, auf dem deutlich eine Bewertung mit rotem Stift steht - „Minus FB“ (dt. minus sehr gut). Olguţa gibt dem Mädchen einen mütterlichen Kuss auf die Stirn.

Ein Mann kniet vor ihnen

... In Bukarest gibt es insgesamt drei solche Klubs für Alternativpädagogik: Überall in diesen Einrichtungen der Policy Center for Roma and Minorities ist der Streetdance-Kurs das beliebteste Angebot. Darauf folgt Englisch. Auch Gitarre oder Theater fehlen nicht, aber da gibt es wesentlich weniger Kandidaten als bei den sportlichen Aktivitäten. Dabei gibt es einen Haken: Am Anfang sammelten sich die Kinder zum Fußball- oder Basketballspielen. Allein der Sport hat sie ursprünglich angezogen. „Geht ihr nicht in die Schule?“ fragte sie eines Tages Valeriu, der Gründer der NGO und des Klubs. Manche Kinder gingen gar nicht in die Schule, deshalb nahm sich Valeriu Nicolae vor, diese Lücke zu füllen. Er entwickelte eine Strategie: Wollen die Kinder weiter im Rahmen des Klubs Sport treiben dürfen, so müssen sie auch an den anderen Kursen des Klubs teilnehmen.

Gerade kniet ein Mann, umgeben von Kindern und mehreren Paaren Schuhen mit Etiketten. Er hilft den Kindern dabei, diese Schuhe anzuziehen. Es gibt aber heute keinen Sportkurs, denn mehrere Kurse finden nicht gleichzeitig statt. Der schlanke Mann im Sportanzug ist Valeriu, der gerade eine Spende von neuen Winterjacken und Schuhen an die Kinder verteilt. Mit den Kindern spricht Valeriu, als ob sie seine dicken Freunde seien. Inmitten der Kinderschar scheint er selber ein Junge zu sein, mit dem es sich leicht scherzen lässt. Die Kinder werden dabei schweigsam, ihre Augen glänzen aber. Im Hintergrund hört man die fröhlichen Stimmen der Kleinen, mit denen die geduldige Hannah gerade die Namen der Tiere auf Englisch wiederholt. Hannah ist Valerius Ehefrau, sie bringt den Kindern ein rotes Säckchen mit Plastikfiguren. Jedes Kind soll eines nehmen und das Tier auf Englisch nennen. Ein schlaues Mädchen schleicht zu Olguţa und flüstert ihr etwas ins Ohr. Dann geht sie siegesfroh zu Hannah und benennt das Tier, das sie vorher wohl nicht kannte. Nach der zweiten Unterrichtsstunde mit einer neuen Kindergruppe ist Hannah für heute fertig. Sorgfältig stellen die Kinder ihre Unterlagen  in das Regal und bereiten den Saal für den nächsten Kurs vor.

Der unterentwickelte Streetdance-Sieger

Es ist kurz vor sechs Uhr, der Streetdance-Kurs soll in ein paar Minuten beginnen. Die Kinder verschwinden in den Umkleideraum. Zu Weihnachten werden sie auf der Bühne auftreten, also müssen sie für diesen wichtigen Auftritt üben. Noch bevor der Lehrer eintritt, beginnen sie, komplizierte Bewegungen zu üben. „Wir müssen uns aufwärmen“, hört man eine Kinderstimme rufen. Es ist Toto, der sich gerade wie ein Roboter bewegt. Toto liebt das Tanzen und ist 14 Jahre alt, auch wenn sein Aussehen sein wahres Alter nicht verrät: Sein Körper ist unterentwickelt. Das liege an der mangelhaften Ernährung, aber dasselbe Problem haben viele anderen Kinder hier, erklärt Olguţa.

Als Valeriu Toto vor ungefähr drei Jahren auf der Straße in Ferentari begegnet ist, konnte das Kind weder lesen noch schreiben. Erst als Teenie hat Toto begonnen, in die Schule zu gehen, damals war er elf. Jetzt ist er in der 6. Klasse. „Er ist ein sehr intuitiver und guter Mensch. Er trennt die anderen Kinder, wenn sie streiten“, erklärt Olguţa, die ihn oft umarmt. Toto hat letztes Jahr an dem Wettbewerb Hip-Hop International teilgenommen: Qualifiziert hat er sich für das Halbfinale in Las Vegas, konnte aber aus finanziellen Gründen nicht hinfliegen. Das spielt aber keine Rolle, Toto besucht eifrig alle Kurse des Klubs für Alternativpädagogik. Unlängst bewarb er sich wieder – für eine Sendung eines rumänischen TV-Senders, wer weiß, wie seine Zukunft aussehen wird. Als der junge Tanzlehrer den Raum betritt, tanzen die Kinder schon seit einer Weile. Er stellt sie für die Tanzvorstellung auf und erklärt jedem, was es zu tun gibt. Der Streetdance-Kurs wird mehr als die geplante Stunde dauern, an der Tanzvorstellung muss noch gearbeitet werden. Die anderen Angestellten gehen alle weg, ihr Arbeitstag ist zu Ende und in Ferentari wurde es schon dunkel. Die Kinder haben anscheinend keine Angst, nachts nach Hause zu gehen. Es ist ihr Zuhause.

 

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Bessere Noten,  weniger Abwesenheiten

Die Kinder bekommen Unterstützung, damit sie besser auf Rumänisch und Englisch schreiben und lesen. Ziel des Policy Center ist es, dass diese Kinder das Niveau der Schüler erreichen, die regelmäßig die Schule besuchen. Sport spielt eine wichtige Rolle für die Disziplinierung der Kinder und ihre Entwicklung: Diejenigen, die im Rahmen des Klubs Sport treiben, lernen einander  zu achten.
Der Klub für Alternativpädagogik bietet sowohl sportliche, als auch künstlerische und kulturelle Aktivitäten an. Ein Mentor-Programm sorgt für die persönliche Entwicklung der Kinder. Die Resultate der dreijährigen Aktivität des Klubs zeigen, wie sich die Situation der Kinder gebessert hat: Die Kinder haben wesentlich bessere Noten in der Schule bekommen und weniger geschwänzt.  Die Mehrheit der Eltern konnte feststellen, dass das Verhalten ihrer Kinder sich verändert hat.