Einmal Feinschmecker und zurück?

Wie das Speisen auf Rädern in Rumänien verkommt

Einst waren die Speisewagen der CFR begehrte Orte: Als vor der Wende die Nahrungsmittelknappheit im ganzen Land zu spüren war, gab es in den rollenden Restaurants stets gutes Essen und Bier. Von Bukarest bis Temeswar wurden Gäste in fünf Schüben bedient, erzählte der Zeitung „Gândul“ Bogdan Nãstãsescu, Direktor bei CFR Gevaro, der Gesellschaft der Eisenbahn, der Speise-, Schlaf- und Liegewagen unterstehen. Nach 50 Minuten mussten die Tische geräumt werden und die Reisenden wurden hinauskomplimentiert – denn an der Tür des Bordrestaurants standen bereits die nächsten Kunden Schlange. 

Die Wirklichkeit des Speisens auf Rädern sieht über zwei Jahrzehnte nach der Ceausescu-Zeit derweil düster aus. Gerade mal vier Fernzüge (ein Intercity-Zug von Bukarest nach Temeswar, ein Intercity-Zug von Bukarest nach Klausenburg sowie die internationalen Züge von Bukarest nach Budapest bzw. Wien) verfügen noch über vollwertige Speisewagen der CFR, wo trotz drastischer Einsparungen beim Personal eine Mahlzeit immer noch zum Leckerbissen werden kann. 

Im Bordrestaurant des Euronights „Ister“, der täglich zwischen Bukarest und Budapest pendelt, zitiert Lucian, seit einigen Jahrzehnten Restaurantwagen-Mitarbeiter, das Menü: Schwein, Huhn, Rind, dazu Salat. Eine reichliche Auswahl an Getränken steht auch zur Verfügung, von Bier bis zum Wodka ist alles dabei. Während sich der Wagen mit Reisenden füllt, die auf ein Abendbrot oder auch nur auf ein Getränk Lust haben, kontrolliert der Zugchef höflichst die Fahrkarten und wünscht eine gute Fahrt. Den Gästen dürften auch die Preise zusagen, denn der CFR-Speisewagen ist keine teure Bude: Knapp 9 Lei kostet ein Schweinebraten, ein Kaffee ist sogar für fast lächerliche 3 Lei zu bekommen – weniger, als in jeder Bukarester Kneipe. Die vorbeiziehende Landschaft dient dabei als kostenlose Beilage. 

Doch die Illusion der Eisenbahnromantik ist schnell vorbei, sobald sich der Reisende für einen der Fernzüge entscheidet, die mit Barwagen ausgestattet worden sind und etwa von Bukarest bis Sathmar oder von Bukarest bis Suceava verkehren. Hinter einer Theke bietet sich dem Fahrgast ein tristes Bild. Die privat bewirtschafteten Wagen führen überteuerte Getränke, deren Preis auf keiner Liste – sichtbar – festgehalten ist. 

Im vergangenen Jahr kostete vor Ostern im Schnellzug von Bukarest nach Kronstadt ein Kaffee auf der Hinfahrt 4 Lei, auf der Rückfahrt 7 Lei. Dass die Betreuer dieser Kneipen auf Rädern mitverdienen, geben selbst ihre Kollegen zu. Einige würden zum Beispiel Miniatur-Flaschen für harte Getränke nicht ganz verkaufen, wie die Firma es vorschreibt, sondern pro Glas anbieten, erzählte Alin, einer der wenigen Barkeeper, der sich sichtlich bemüht, den Reisenden den Aufenthalt im rollenden Lokal mit sechs Barstühlen angenehm zu gestalten: Sogar Bücher zum Lesen hat er in der Vitrine über der Theke aufgestellt. Doch selbst dies hilft nicht darüber hinweg, dass das Angebot karg ist: Zu essen gibt es so gut wie nichts außer Chips, Schokolade oder Fertig-Sandwiches. 

In den Barwagen wird der ahnungslose Fahrgast auch sonst kräftig zur Kasse gebeten: 9 Lei waren im vergangenen Januar für eine Büchse Haselnüsse fällig, eine kleine Flasche Weißwein (0,25 Liter) war für 12 Lei zu bekommen. Dass bei der Bezahlung letzterer der Mensch hinter der Theke ein Trinkgeld von 3 Lei wie selbstverständlich für sich behielt, gehört wohl zur neuen Service-Kultur.
Doch es geht noch schlechter, denn „privat bewirtschaftet“ muss nicht unbedingt bedeuten, dass eine Privatfirma die Bar im Zug bedient, sondern auch Privatpersonen, wie am Montag der vergangenen Woche die Fahrgäste des R832 von Kronstadt nach Bukarest selbst erleben durften.

Zwei Herrschaften mit Reisetaschen und Plastikbeuteln breiteten Chipstüten hinter der Theke aus, der eine wanderte mit einem Korb durch den Zug und verkaufte dazu noch Bierdosen, Wasser und Süßigkeiten. Aber nicht auf der ganzen Strecke: In Comarnic war mit dem „Service“ an Bord Schluss. Die zwei „Geschäftsmänner“ packten ihre sieben Sachen und stiegen aus – und um: in den R827 von Bukarest nach Hermannstadt, der ebenfalls angeblich über einen vollwertigen Barwagen verfügen soll. Wer noch vor Bukarest ein letztes Bier trinken wollte, hatte eben Pech. 

Derweil verfügen immer noch die meisten rumänischen Fernzüge über keine Speise- oder Barwagen. Dies betrifft unter anderem sämtliche Verbindungen, die nicht in Bukarest beginnen oder enden. Auch im 21. Jahrhundert müssen Reisende im berühmt berüchtigten „Zug des Hungers“ von Jassy nach Temeswar (Fahrzeit: 17 Stunden) reichlich Proviant mitbringen. Dass selbst im Urlauberzug von Sathmar nach Mangalia (Fahrzeit: 21 Stunden) kein Service vorhanden ist, dürfte sogar an Verletzung der Menschenwürde grenzen. 

Ein Grund hierfür ist die Tatsache, dass im stark zentralisierten Rumänien das entsprechende Personal nur in Bukarest beheimatet ist. Ein anderer aber auch wohl, dass angeblich immer weniger Fahrgäste die Dienstleistungen von Speisewagen in Anspruch nehmen. Früher habe es fünf bis sechs Mitarbeiter pro Wagen gegeben, erinnerte sich Nãstãsescu, jetzt sind es nur noch zwei. „Und dennoch gibt es weniger Arbeit“, wie er gegenüber „Gândul“ zugab.

Auch die Angebote ausländischer Eisenbahnverwaltungen, die in internationalen Zügen auf rumänischem Gebiet Kulinarisches anbieten, haben mit Genuss wohl wenig gemein. In einem zur Hälfte aus Schlafabteilen und zur Hälfte aus einer Bartheke, zwei Stehtischen und einer engen Bordküche bestehenden Wagen des von den Moldauischen Eisenbahnen bedienten Zuges von Bukarest nach Chisinãu hat Mascha, die meistens mit ihrem Mann Vasile die Reisenden versorgt, reichlich wenig zu tun. Sie sehnt sich nach der Zeit zurück, als sie im Zug von Chisinãu nach Sankt-Petersburg gearbeitet hat. In dem Nachtzug, der die zwei Schwesterländer Rumänien und die Republik Moldau verbindet, zieht es hingegen wenige Menschen in den tristen Barwagen, obwohl es da (guten) Wein und (schlechten) moldauischen Wodka gibt. Und billiges Essen, etwa Würste mit Eiern zum Frühstück, die aber im Stehen konsumiert werden müssen, zusammen mit Instant-Kaffee. 

Die Russischen Eisenbahnen haben zwar im ähnlich aussehenden Barwagen auch Stühle platziert, doch was oft fehlt, ist der Betreuer selbst. „Er wurde krank“, verkündete der Schlafwagenschaffner, ebenfalls aus Russland, im vergangenen Herbst. Im Klartext: Zwei Tage und zwei Nächte von Bukarest bis Moskau haben sich die Reisenden selbst zu versorgen, was die meisten in bester russischer Tradition auch tun. Doch bereits vormittags wurde der Speiseraum lebendig. Zwei fliegende Händler – der eine aus Ploiesti, der andere aus Buz²u – boten ukrainischen Wodka und Trainingsanzüge an. Nebenbei trank man ein Gläschen mit den Schaffnern und aß Speck aus deren Privatbesitz, im Hintergrund die geschlossene Theke des Restaurants. Insider erzählen, dass es öfters passiert, dass die Bewirtschaftung im „Bulgaria-Express“ von Sofia nach Moskau gänzlich ausfällt. 

Für den Eisenbahnromantiker bleibt jedoch auch außerhalb Rumäniens die Freude auf eine Mahlzeit auf Rädern wohl nur ein Traum. Denn während hierzulande die Anzahl der Speisewagen drastisch reduziert wurde, hat man andernorts eine andere Art der Umstrukturierung des Bordrestaurant-Betriebs längst umgesetzt. In den Intercity Express-Zügen der Deutschen Bahn wird kein Gericht mehr vor Ort gekocht, Warmes wird in der Mikrowelle zubereitet, selbst wenn im Bordmenü sogar von Bio-Kost geschwärmt wird. Wer gut essen will, muss sich wohl darauf einstellen, dass fester Boden unter seinen Füßen zur Voraussetzung geworden ist.