Entdeckungsreise in höhere Klangdimensionen

Zehn Jahre bastelte Erfinder Arion Pascal an einer Neuheit, die bald die Musikwelt revolutionieren könnte

Die Syntharp-Twins wandeln Gitarre und Stimme in Harfenklänge im Stereo-Effekt um. Gleichzeitig spielt Cantemir Coşnean direkt über das Keyboard ein.

Kleine Spulen erzeugen über elektronisch eingespeiste Impulse Magnetfelder zur Auslenkung der stählernen Saiten.

Arion Pascal erklärt die Funktionsweise der aktiv als Instrument oder passiv als Wiedergabegerät verwendbaren Syntharp.
Fotos: George Dumitriu

George Dumitriu (Mitte) bringt zwei Talente zusammen: Vielleicht wird Jazzmusiker Harry Tavitian (rechts) einer der ersten sein, der Syntharp in einem richtigen Konzert vorführt?
Foto: die Verfasserin

Leise knarrend öffnet sich die schwere Tür. Mit verhaltenen Schritten schleichen wir in den Saal, finden Platz in der hintersten Reihe. Was sind das nur für wunderbare Sphärenklänge? Auf der Bühne des verdunkelten Konzertsaals im Rosenauer Kulturhaus erstrahlen zwei futuristische Lichtsäulen in hellgelbem Schein. Am Keyboard sitzt ein junger Mann, der Hobbykomponist Cantemir Co{nean aus Honigberg/Hărman. Neben ihm improvisiert der Schweizer Arion Pascal auf seiner Gitarre und singt ins Mikrofon. Von den Originaltönen kommt wenig beim Publikum an, stattdessen lösen sich aus den Lichtsäulen satte Harfenklänge, die den gesamten Raum einzunehmen scheinen und einem sofort das Gefühl verleihen, in höhere Dimensionen zu entschweben... Gebannt lauschen wir dem ungewöhnlichen Konzert, das eigentlich keines ist, sondern die Präsentation einer Weltneuheit, die bald den Musikmarkt revolutionieren könnte.

Satte Klangfarbe und erhebende Gefühle

Anschließend steht Arion Pascal, der Erfinder des Instruments, bescheiden Rede und Antwort. Er ist ganz baff über die Aufmerksamkeit, die ihm in Rumänien zuteil wird – über hundert Journalisten und fünf Fernsehteams interessierten sich bereits für das hier erstmals vorgestellte Gerät mit dem klangvollen Namen Syntharp. In der Schweiz lief die Premiere bei Weitem nicht so erfolgreich, denn obwohl sie spektakulär auf einem Berggipfel inszeniert wurde, entschuldigte sich die Presse aus Zeitmangel. Dabei ist Syntharp tatsächlich eine Weltneuheit:  Einerseits handelt es sich um ein aktiv bespielbares Instrument, andererseits um ein Wiedergabegerät, das elektronisch eingespeiste Töne mithilfe einer Software in Saitenschwingungen übersetzt und dabei über 5000 Obertöne erzeugen kann. Letzteren verdankt es die außergewöhnlich satte Klangfarbe, aber auch die als seelisch erhebend empfundene Wirkung, für die Obertöne bekannt sind und deshalb auch immer mehr im psychotherapeutischen Bereich eingesetzt werden.

Seit jeher ein kreatives Multitalent

Was aber hat den Schweizer, der zehn lange Jahre im stillen Kämmerchen an seiner Erfindung getüftelt hat – wenn auch zuletzt mit staatlicher Unterstützung der Schweizerischen Kommission für Technologie und Innovation (KTI) und einem Entwicklungsprojekt mit der Interstaatlichen Hochschule für Technik (NTB) in Buchs – nach Rumänien verschlagen? Die Geschichte von Arion Pascal ist spannend, sein Leben voller Ecken und Kanten. Schon als Kind bastelte der musikbegeisterte Teufener mit seinem Bruder zusammen Verstärker, Lichtanlagen für Bühnenbeleuchtung und Gehäuse, die zu kaufen sich die Buben damals niemals hätten leisten können. So entstand aus der Not ein Talent, das ihm später immer wieder von Nutzen war. Parallel zur Bastelei, die ihn auch als Erwachsener nie losgelassen hat,  befasste sich der heutige Profi-Gitarrist mit solider Maschinenbauausbildung später auch intensiv mit Clownerei, organisierte Kulturveranstaltungen, unterrichtete in der Schule Musik und schrieb Gedichte. Außerdem gibt es da noch die Familie mit vier Kindern.

„Ich wollte etwas Neues schaffen“

Eines Tages sinnierte der vielseitige Musiker darüber nach, dass Streich- und Zupfinstrumente das volle Potenzial ihrer Saiten gar nicht ausnutzen. Eine einzige Saite hat etwa 200 Obertöne – also Teilschwingungen ihrer Gesamtlänge – die sich selbst bis in den nicht mehr hörbaren Bereich fortsetzen. Zunächst interessierten sie ihn nur deswegen, weil ein reiches Obertonspektrum für eine gute Klangfarbe sorgt. Wie könnte man dieses Spektrum gezielt entfesseln, fragte er sich.
Arion Pascal zeigt auf die vor uns aufgebaute Syntharp Säule: Hinter jeder metallenen Saite sitzen kleine, gewickelte Kupferspulen, die aus elektrischen Impulsen ein Magnetfeld erzeugen, welches die Saite auf der Basis des Induktionsprinzips auslenkt und so zum Schwingen bringt. Der Mechanismus klingt einfach, und doch steckt unendlich viel Entwicklungsarbeit hinter der technischen Umsetzung dieser Anfangsidee. Irgendwann musste sich Arion entscheiden, welchen Weg er denn nun ernsthaft weiterverfolgen würde. Schweren Herzens gab er die Clownerei auf, die ihm zwar am meisten Spaß machte, und entschied sich für die konkrete Entwicklung von Syntharp. „Gute Clowns gibt es viele und ich wäre nur einer davon gewesen“, motiviert er seinen Entschluss, „aber Syntharp, das wusste ich, würde etwas völlig Neues sein!“

Einsatzspektrum nach oben hin offen

Nachdem der erste Prototyp entstanden war, ergab sich die Kooperation mit der Schweizer Fachhochschule. Ein Programmierer schrieb die Software „Celerina”, mit der Eigenkompositionen entwickelt und akustisch wiedergegeben werden können. Dann wurde landesweit ein Wettbewerb ausgeschrieben, bei dem die Teilnehmer per Internet ihre Kompositionen einsenden konnten und per E-Mail die Syntharp-Wiedergabe des Stücks zugesandt bekamen. Die beste Komposition wurde prämiert und bei der ersten öffentlichen Vorführung von Syntharp präsentiert. „Noch ist das volle Potenzial von Syntharp noch lange nicht erschöpft, die Entwicklungsmöglichkeiten noch nicht einmal absehbar!“ meint Arion Pascal und fügt hinzu, dass dies nun Aufgabe der Musiker und Kunden sei, die sich für den Erwerb dieses Instrumentes entschieden. Er könne sich vorstellen, dass es sowohl in Konzerten, als auch als Wiedergabeinstrument im Wellnessbereich oder bei New Age Seminaren - etwa zur Unterstützung von Meditationen - Anwendung findet.

Obertöne und Bewusstseinszustände

Auch Musiktherapie könnte ein Einsatzfeld sein, gerade wegen des Obertonspektrums. Auf einer Musikmesse in Frankfurt sei allein aufgrund des Klangs ein Obertonsänger auf seinen Stand zugekommen. Obertonsingen – also das gezielte Erzeugen von höheren Schwingungen der Stimmbänder – wird von Schamanen in der Mongolei bei Heilungszeremonien eingesetzt. Tibeter Mönche nutzen die Technik hingegen zum Erlangen tiefer meditativer Zustände. Seit einiger Zeit ist der Einsatz von Obertonmusik auch im Westen in der Therapie von Angstzuständen bekannt. Obertöne – möglicherweise nicht nur die hörbaren, sondern auch diejenigen, die über das wahrnehmbare Spektrum hinausgehen – können die Synchronisation der beiden Gehirnhemispären bewirken und damit bestimmte Bewusstseinszustände auslösen. Zum Beispiel der  hochkreative  Zustand des  „Flow“, in dem das Erfassen verschiedener Wissensdisziplinen im Kontext besonders leicht fällt. Viele Erfindungen  verdanken wir der Existenz dieses Inspirationszustandes.

Beginn einer neuen Musikrichtung?

Auch was die Art von Musik betrifft, die durch Syntharp am besten zur Geltung kommen könnte, ist noch lange nicht das letzte Wort gesprochen. In Kürze, verrät Arion Pascal, sollen Dämpfer an den Saiten angebracht werden, die dann auch das Spielen von rhythmischen Stücken von Klassik bis Jazz besser ermöglichen. Aber auch Resonanzeffekte der Saiten  oder Hintergrundgeräusche könnten interessante Wirkungen haben. „Vielleicht entsteht ja mit der Zeit eine ganz neue Musikrichtung?“ spekuliert der Erfinder.

Durststrecke bis zur ersten Produktionsserie

Vom Bau eines Prototypen zur kommerziellen Herstellung ist es ein weiter Weg, und Arion Pascal befindet sich immer noch auf halber Strecke. Die beiden Säulen auf der Bühne in Rosenau sind Teil einer ersten kleinen Serie von 14 Instrumenten, die in der Honigberger Werkstatt, geleitet von Orgelbaumeister Ferdinand Stemmer und Orgelbauerin Barbara Dutli, in Rumänien gebaut wurden. Für die Produktion von Syntharp zeichnet der ehemalige Schüler und Mitarbeiter des Ateliers, Filip [erbu, verantwortlich. Auf die Orgelbauer stieß Arion Pascal zufällig, als er nach einer günstigen Produktionsmöglichkeit im Ausland suchte: „Zuerst dachte ich an Tschechien, doch da hätten sich billigere Produktionskosten und Zusatzaufwand wegen der Entfernung ziemlich aufgehoben. Dann kam ich auf die Idee, in China produzieren zu lassen, doch dort lohnen sich nur große Serien. Dann suchte ich gezielt in Osteuropa und stieß dabei auf die Schweizer Orgelbauwerkstatt, die mit eigens ausgebildeten rumänischen Fachkräften vor Ort produziert“. Zuerst hatte er Bedenken, ob man traditionsbewusste Orgelbauer für so ein modernes Projekt gewinnen könne, doch als er Ferdinand Stemmer in der Schweiz kontaktierte, rannte er offene Türen ein.

Syntharp philosophisch betrachtet

Am Abend saßen wir lange mit Arion Pascal und seinem jungen Präsentationsteam zusammen, diskutierten über Syntharp, Gott und die Welt. Hatten uns die eben gehörten Sphärenklänge zu solch philosophischen Gedankengängen beflügelt? Oder waren einfach zufällig die richtigen Leute am richtigen Ort? „Wenn Obertöne sich vom Hörbaren ins Unhörbare fortsetzen, und dabei selbst den Schwingungsbereich verlassen, der unsere materielle Welt hervorbringt, dann landen wir in der spirituellen Dimension – und irgendwann bei Gott“, versuchte ich, mein quantenphysikalisches Weltbild für einen Musiker verständlich zusammenzufassen. Ein paar Tage später erhielt ich eine E-Mail aus der Schweiz:

Die Säulen - Ende und Übergang
Säule 1: Die Syntharp
Säule 2: Die Obertonsäule
Säule 3: Die Spiritualität
Säule 4: Die Unendlichkeit