Erika Isacs „Macarena“

Harte Worte über harte Wahrheiten und eine Debatte

Erika Isac sorgte mit ihrem Lied „Macarena“ für heftige Debatten. Momentaufnahme aus dem Video dazu Quelle: YouTube

Wer in Rumänien lebt, weiß, dass zwischen dem 14. Februar und dem 8. März eines jeden Jahres die Liebe und die Frauen besonders gewürdigt werden soll(t)en. Valentinstag, Dragobete, 1. und 8. März. Herzchen in unterschiedlichen Formen und Größen fliegen jedem von überall entgegen. An den Blumenständen werden die besten Umsätze des Jahres verbucht. In Restaurants, Bars und Clubs gibt es Sonderangebote mit Menüs und Partys, die nicht nur die Krönung der Liebe darstellen sollen, sondern auch den ultimativen Liebesbeweis an sich – und so ein Garant der Ewigkeit des er- und gelebten Glücksgefühls. Die Welt wirkt plötzlich so rosarot, als wenn man durch Edith Piafs Brille blicken würde. In dieser auf Cupidons Schwingen fliegenden rumänischen Gesellschaft bringt die Sängerin Erika Isac ihr Lied: „Macarena“ auf den Markt, wirft etliche Klischees über den Haufen, stellt den rumänischen Machismo an den Pranger und entfacht eine heftige Debatte. 

Auf der Seite des öffentlichen Gesundheitsamtes (Institutul Na]ional de Sănătate Publică) wird die Definition der Gewalt gegen Frauen aus der entsprechenden Erklärung der Generalversammlung der Vereinigten Nationen zitiert, als „jede geschlechtsspezifische Gewalttat, die Frauen körperlichen, sexuellen oder psychischen Schaden zufügt oder zufügen kann, einschließlich der Androhung solcher Handlungen, der Nötigung oder der willkürlichen Freiheitsberaubung, unabhängig davon, ob sie im öffentlichen oder privaten Bereich erfolgt“. Man stelle dieser Definition die noch in vielen Bevölkerungsschichten vorhandenen, zitierten und gelebten rumänischen „Volksweisheiten“ gegenüber: „Femeia nebătută e ca moara neferecat²“ (die Frau die nicht geschlagen wird, ist wie eine offen gelassene Mühle) oder „Nunta fără lăutari și cearta fără bătaie nu are haz.“ (Die Hochzeit ohne Musiker und der Streit ohne Prügel machen keinen Spaß), um nur zwei aus einer langen Liste anzuführen. Dem gleichen Internetportal des Gesundheitsamtes können wir weiter entnehmen, dass (laut Eurobarometer 449 von 2017) eine von vier Frauen in Rumänien von ihrem Partner oder Ex-Partner körperliche oder sexuelle Übergriffe erlebt hat, dass 55 Prozent der Rumänen in gewissen Situationen eine Vergewaltigung als verständlich betrachten und dass im Jahr 2022 nicht weniger als 42 Frauen und 4 Kinder in Rumänien als Folge häuslicher Gewalt zu Tode gekommen sind und weitere  40.000 Frauen und 9000 Kinder Opfer von Gewalttaten waren. 

Ähnliche besorgniserregende Zahlen kann man dem von Ionela Băluță und Claudiu Tufiș veröffentlichten Barometer der geschlechtsspezifischen Gewalt 2022 („Barometrul violen]ei de gen 2022. Violența împotriva femeilor din România: reprezentări, percepții“, Dota-Verlag, 2022) entnehmen. Die auf 130 Seiten angelegte Studie zeichnet ein kritisches Bild. Es wird nicht die Gewalt gegenüber Frauen und ihre gesellschaftliche Wirkung untersucht, sondern es wird nachgewiesen, dass eine ganz klare Verbindung zwischen dem noch weit verbreitetem patriarchalischen Wertesystem und der Akzeptanz von geschlechtsspezifischer Gewalt in der rumänischen Gesellschaft vorhanden ist. 

Machismo aus dem Mund einer Frau

In diesen Kontext hinein meldet sich Erika Isac mit ihrem Lied „Macarena“ zu Wort. Symbolisch schutzlos – in dem dazugehörenden, von Erika Isac selbst konzipierten Video erscheint die Sängerin nackt, doch mit unscharfen Körperteilen, wobei sie an ihren langen Zöpfen festgebunden ist –, aber in einer der Musikgattung Trap typischen freizügigen und kräftigen Sprache trifft sie mit ihrem Lied gleich mehrere Nägel auf´s Köpfchen – und polarisiert. Die derbe Sprache wird ihr zum Vorwurf gemacht, obwohl derartige, sehr oft gewaltverherrlichende Texte im Bereich von Musikgenres wie Rap, Trap, aber nicht nur, bei männlichen Sängern zum Standard gehören und so gut wie niemand daran Anstoß nimmt. Als Beispiel eine Gegenüberstellung: Zu den Klassikern des rumänischen Rap gehört die Band Paraziții. In ihrem Lied „Violent“ findet man folgende Zeilen: „Getarnt, bekämpfe ich jedes getürkte Spiel/ so wie ich jede Nutte im Bett verprügele, für alles was ich tue/ dieselbe Entschuldigung auf den Lippen: ‚Ich bin betrunken!‘“. Wie anders kann Erika darauf antworten als mit: „Eine Frau flucht nicht, prügelt nicht, f***t nicht / Die Frau muss bügeln und waschen und helfen.“ Was diese kleine Gegenüberstellung zeigt und worauf auch die 24-jährige Sängerin anspielt, sind die in der rumänischen Gesellschaft verbreiteten und akzeptierten doppelten Standards. 

Wenn Sänger oder Bands wie Ombladon, Mafia, Paraziții u.a. in viel derberen Worten von Frauen sprechen, wenn sie sogar detailliert Gewalttaten (bis hin zur Vergewaltigung) gegen Frauen beschreiben, um dadurch ihre „Männlichkeit“ zur Schau zu stellen, werden sie schnell zu Antisystemhelden hochstilisiert. Sie sind diejenigen, die mit beiden Füßen in der Realität des rumänischen Alltags verankert sind und die Sprache der Jugend und der Straße sprechen. Auf der anderen Seite gehört sich so etwas für eine Frau nicht. „Wie sollst du garstig reden? Erika, du bist ein Fräulein!“ bringt es die Sängerin in ihrem Lied auf den Punkt. Hätte sie die harte Problematik der geschlechtsspezifischen Gewalt in einer gehobenen von Metaphern durchsetzten Sprache musikalisch verarbeiten sollen? Sollte sie in der ihr zugeschriebenen Rolle als „Fräulein“ in einer romantischen Gefühlsduselei alles schön verpacken? Oder doch lieber in der derben Sprache ihrer männlichen Gegenüber diesen mal den Spiegel vorhalten? 

Dass sie mit Unverständnis rechnet, kann man gleich dem Refrain entnehmen. Für ihr männliches Gegenüber steht stellvertretend ein gewisser „Mirel“ aus Târgu Măgurele, der allen Frauen erklärt, dass sie ein Problem haben und er sie erziehen muss, da sie ihre eigenen Probleme nicht verstehen. Natürlich lässt die Sängerin dieses nicht einfach so im Raum stehen und kontert in der zweiten Strophe, dass die Frau ein Kind hat, welches erzogen werden muss „und mit ‚Kind‘ mein ich den Mann an deiner Seite“. 

Auch der Polizist sagt: das Opfer ist schuld

Natürlich könnte man von keinem wichtigen Problem der rumänischen Gesellschaft sprechen, wenn in die ganze Debatte nicht der allwissende Polizist und Internet-Star Marian Godin² eingegriffen hätte. Obwohl man von einem Polizisten, der in seiner Laufbahn sicher öfters Opfern der geschlechtsspezifischen Gewalt (in ihrer verbalen Form, in ihrer psychischen und physischen Form) gegenüber gestanden hat, etwas mehr Empathie erwarten könnte, brennt auch mit ihm das moralisierende und belehrende Selbstbild durch. Stellvertretend für alle ähnlichen Äußerungen zu dem Lied sei hier ein Zitat von Godin² angeführt. Er antwortet auf eine Zeile des Lieds, in der gesagt wird, dass zur Sicherheit der Live-Standort mit einer Freundin geteilt wird. „Jetzt sitze ich hier und frage mich, liebe Mädels, liebe Frauen, mit wem zum Teufel trefft ihr euch und vor allem wo, so dass ihr den Live-Standort teilen müsst? Ich bin ein eher altmodischer Typ und ich denke, es ist nur natürlich, dass die ersten Treffen zwischen einem Mann und einer Frau an einem öffentlichen Ort (Restaurant, Bar, Kaffeehaus) stattfinden sollten, ohne dass man in ein fremdes Auto steigen muss. Es sollte eine Phase folgen, in der man den Mann kennenlernt, um genau zu wissen, was er beruflich macht, möglicherweise um es zu überprüfen, es gibt heutzutage viele Instrumente, einschließlich Facebook, um ihn persönlich so gut wie möglich kennenzulernen, um zu sehen, was für ein Mensch er ist, welche Familie er hat, warum er Single ist usw. Es ist ein langer Weg, bevor man mit ihm in ein Ferienhaus, ans Meer oder an einen anderen nicht öffentlichen Ort geht. Das heißt, wenn Sie sich selbst als Frau respektieren. Wenn Sie Männer auf Tinder oder auf Facebook kennenlernen, nach einem kurzen Nachrichtenaustausch treffen und dann zustimmen, sich von ihnen abholen zu lassen, um wer weiß wohin zu gehen, dann ja, dann müssten Sie jemandem die Autonummer und den Aufenthaltsort schicken, und der Zustand der Angst vor dem Unerwarteten wäre normal. Aber es wäre nicht normal, das überhaupt zu tun, und Sie müssten sich fragen, warum Sie das tun. Wenn Sie das Bedürfnis haben, jemandem Ihren Aufenthaltsort mitzuteilen, bedeutet das, dass Sie sich nicht mit diesem Mann treffen sollten“. Mann kann nur sagen: tief aus dem Brunnen der Weisheit geschöpft oder aber mit den Worten des Liedes geantwortet: „Ihr gebt immer den Opfern die Schuld, gleich Idioten…“. Es hätte nur noch gefehlt, dass besagter Polizist noch was zu den zu kurzen Röcken, der provokativen Schminke, Frisur und Figur der Frauen schreibt und er hätte alle gängigen Klischees bedient. Natürlich ist er sich in seinem Post bewusst, dass er, indem er darüber schreibt, nur zu dem Bekanntheitsgrad des Liedes beiträgt, welches aber sicher keine Veränderung bei „Mirel“ hervorrufen wird. 

„Würde es die Männer nicht geben?“

Geschlechtsspezifische Gewalt gehört (leider) zum rumänischen Alltag. Zahlen und Informationen dazu stehen jeder interessierten Person mit nur zwei Klicks im Internet zur Verfügung. Die Dunkelziffer liegt aber bekanntlich viel höher, weil einerseits die Akzeptanz noch sehr hoch ist und andrerseits, weil die Opfer gewöhnlich alleine gelassen werden, der Stigmatisierung ausgesetzt sind und in keinem realen Schutzsystem Zuflucht finden.  Rechtfertigungen der Art: Rumänien ist noch eine patriarchale Gesellschaft, 45 Jahre Kommunismus haben das Wertesystem zerstört, die staatlichen Behörden sind unfähig, unterbesetzt usw. sollten schnellstmöglich auch der Vergangenheit angehören. Vielleicht war es an der Zeit, dieses gesellschaftliche Problem mal mit der ganzen Gewalt der harten Sprache des Traps auszusprechen. Vielleicht wird auf diese Weise jungen Frauen mehr Mut zugesprochen als durch Workshops, Tagungen und akademische Analysen, die viel zu oft in engen und sehr engen Kreisen gefangen bleiben. Vielleicht fällt auch so bei manchem Mann der berühmte Groschen und er beginnt, sein eigenes Verhalten zu reflektieren. Die Breitenwirkung ist auf jeden Fall eine viel größere, wie es die letzten Tage gezeigt haben. 

Eine tiefgehende systemische Änderung ist mit diesem Lied nicht zu bewirken, sowie auch die Erwartung auf eine plötzliche und breitgefächerte Änderung von Mentalitäten utopisch wäre. In wenigen Tagen werden sich die Fluten um das Thema legen. Wir befinden uns nicht in der Gegenwart einer Simone de Beauvoir und ihrem „anderen Geschlecht“. Aber vielleicht bahnt sich hier etwas an, was in einem Winkel des rumänischen Kollektivbewusstseins verankert bleiben wird und doch größere Wellen schlagen wird als es jetzt abzusehen ist. Harte Wahrheiten bedürfen manchmal harter Worte. Und harte Worte brauchen auch harte Frauen, die sich nicht scheuen, diese in den Mund zu nehmen. Vielleicht musste es endlich auch so klar formuliert werden wie es Erika Isac tut: „Wenn es die Männer nicht geben würde, wer würde euch noch beschützen? Beschützen, vor wem denn?“