Erinnerungen an intensive Gebete in einer säkularisierten Synagoge

Nadia Badrus (Bildmitte) erklärte nicht-jüdischen Hermannstädtern den Umgang mit den Tora-Rollen in der Synagoge zu einer Zeit, als sie noch für Gottesdienste genutzt wurden. Foto: Klaus Philippi

Hermannstadt – „Sie sind bei uns zuhause, aber auch bei Ihnen daheim.“ Anda Reuben, Jüdin und aus Bukarest stammend, wohnt, lebt und arbeitet seit bald zehn Jahren freiberuflich als Graphikerin in Hermannstadt/Sibiu und begrüßte am Sonntagnachmittag, dem 3. September, etwa zwei Dutzend Einheimische zum Europäischen Tag des Jüdischen Kulturerbes in der 1889/99 gebauten Synagoge vor Ort, die schon seit bis zu vier Jahrzehnten nicht mehr länger für gemeinschaftliche Gebetsrituale nach alttestamentarischer Ordnung genutzt wird. Trotzdem legte Anda Reuben den Gästen nahe, ihren Synagogen-Besuch „nicht einfach nur als eine Visite“ geschehen zu lassen, sondern „mit diesem Raum in ein Gespräch zu treten.“ Ihr und der kleinen, doch aufmerksamen Jüdischen Gemeinschaft von Hermannstadt ging es darum, dem Kulturerbe-Motto „Erinnerung“ für das laufende Jahr so eindrücklich wie nur möglich gerecht zu werden. Denn „in dieser Synagoge ist früher einmal zu gewisser Zeit sehr intensiv gelebt worden“. Erzählungen, Aufklärung und Beschreibungen aus erster Hand zwei Wochen vor dem jüdischen Neujahrsfest Rosch ha-Schana sollten helfen, eine Wissens- und Erfahrungslücke betreffend manche Nuancen des 20. Jahrhunderts in Hermannstadt nachträglich auszubessern. Hoch angesetzt war der Wunsch der Gastgeber und nicht zu verkennen das Interesse des kleinen Publikums. Als wortlosen Auftakt bot auf Einladung Cellist Makcim Fernandez Samodaiev von der Empore das helle „Prélude“ aus Johann Sebastian Bachs Suite Nr. 1 in G-Dur BWV 1007.

Auch der Schofar, dessen Klang das Ende der 25 Stunden Fastenzeit zu Jom Kippur verkündet, ist in Hermannstadts Synagoge vor etwa 35 Jahren zum letzten Mal stoßartig geblasen worden. Unlängst am Tag des Jüdischen Kulturerbes aber lagen vorne im weitestgehend säkularisierten Tempel zwei Exemplare des tierischen Naturhorns zum respektvollen Anfassen bereit, und Literatin Adriana Moscicki berichtete als Mitglied der Jüdischen Stadtgemeinschaft ergreifend vom Gefühl endlicher Befreiung, das Gläubige beim lang ersehnten Hören des Schofars mit sofortiger Wirkung körperlich wie seelisch ganz tief durchfahre. Und zum schulterlangen Tallit aus Seide oder Leinen mit blauen Horizontal-Streifen an zwei Tuchenden, den sich männliche Mitglieder jüdischer Gemeinschaften ab der Bar-Mitzwa im Alter von 13 Jahren zum Gebet über das Haupt streifen dürfen, meinte Adriana Moscicki im Vorfeld von Rosch ha-Schana packend, er wäre „das intimste Stück Stoff eines jeden Juden.“ Ihre Spitze in der Synagoge erreichte die Veranstaltung im Auftreten von Arzt Dr. Gyuri Frank aus Tel Aviv, der – zufällig oder doch nicht? – in Hermannstadt auf Besuch war und den Tränen nahe ausführlich von Eindrücken und Erlebnissen seiner Kindheit im rumänischen Sibiu der frühen Nachkriegszeit erzählte. Die Sonate für Violoncello solo op. 25/3 von Paul Hindemith, 1922 komponiert und wiederum am Europäischen Tag des Jüdischen Kulturerbes 2023 von Makcim Fer-nandez Samodaiev in Hermannstadt aufgeführt, passte bestens zur schwarzweißen Foto-Ausstellung auf der Synagogen-Empore, die von einer wahrhaft historischen Epoche spricht, als Plätze wie der Kleine Ring/Piața Mică noch „Prinz-Karls-Ring“ und der Große Ring/Piața Mare „König-Ferdinand-Platz“ hießen.