„Es bleibt eine große Aufgabe, auf unsere Geschichte und Kultur aufmerksam zu machen“

Jahresrückblick mit dem Bundesvorsitzenden der Landsmannschaft Banater Schwaben, Peter-Dietmar Leber

Der Bundesvorsitzende der Landsmannschaft Banater Schwaben, Peter-Dietmar Leber Foto: privat

Es war ein Aufatmen, ein Sich-Wiederfinden, das Jahr 2022. Auch bei den Gliederungen der Landsmannschaft Banater Schwaben in Deutschland teilten sich die Gemüter hinsichtlich der Risiken, die es mit sich bringt,  wieder Veranstaltungen mit mehreren Teilnehmern zu planen. Aber letztendlich gilt es nun doch, auf ein ereignisreiches (fast) vergangenes Jahr und neue Entwicklungsschwerpunkte zurückzublicken. So auch im vorliegenden  Gespräch, das ADZ-Redakteurin Astrid Weisz mit dem Bundesvorsitzenden der Landsmannschaft Banater Schwaben, Peter-Dietmar Leber, in der Adventszeit führen konnte.

Herr Leber, wie fühlen Sie sich jetzt, dem Jahresende zu?


Ausgeglichen. Ich schaue entspannt und voller Vorfreude auf das kommende Jahr, auf Termine und Veranstaltungen in Deutschland oder im Banat. Und im Rückblick auf 2022 sage ich: Auch wenn noch nicht alles erreicht ist, es wurde zumindest begonnen, es wurde versucht.

Was waren denn auf Bundesebene die Höhepunkte der Vereinstätigkeit bei der Landsmannschaft Banater Schwaben 2022?

Unsere Landsmannschaft ist ja auf verschiedenen Ebenen organisiert, wir reden hier von mehr als 150 Gliederungen und Vereinen mit eigenen Vorständen, die alle in der einen oder anderen Form zu unserem landsmannschaftlichen Wirken beitragen. Diese Aktivitäten sind für uns genauso wichtig wie die großen publikumswirksamen Veranstaltungen des Bundesverbandes oder der Landesverbände.

Für uns als Bundesverband war der Heimattag in Ulm wieder die bedeutendste Veranstaltung. Wir haben mit einem Festakt 70 Jahre Landsmannschaft coronabedingt nachgefeiert, sind mit der Veranstaltung vom Messegelände in das Zentrum der Stadt gerückt und hatten mit dem Stellvertretenden Ministerpräsidenten und Innenminister unseres Patenlandes Baden-Württemberg einen prominenten Festredner, der unser Wirken gewürdigt hat. Es war uns ein Anliegen, den Abgeordneten des Demokratischen Forums der Deutschen im rumänischen Parlament, Ovidiu Gan], und den Präsidenten des Bundes der Vertriebenen, Dr. Bernd Fabritius, für ihr jeweiliges Engagement, dem stets auch gemeinsame Schnittmengen zugrun-de liegen, zu ehren.

Und, ebenso wichtig: Wir sind mit unserem Brauchtum, unserem kulturellen Erbe wieder vermehrt in der Öffentlichkeit aufgetreten. Es ist ein Teil der deutschen Kultur, welcher in einer bestimmten Zeit unter bestimmten Bedingungen in einem bestimmten Teil Europas entstanden ist und von uns hier gepflegt und vermittelt wird. Dafür finden wir sowohl in unserer Patenstadt Ulm wie auch in anderen süddeutschen Städten ein gutes Pflaster vor.

Weitere erfolgreiche Projekte waren sicher die Seminare und Freizeitveranstaltungen unseres Jugendverbandes DBJT (Deutsche Banater Jugend und Trachtengruppen), einige Buchprojekte, wie das Mitmachbuch von Helga Ritter, ein Studienband von Prof. Dr. Anton Sterbling, eine zweite, erweiterte Auflage des Bandes mit Erinnerungen von Kindern ehemaliger Russlanddeportierter, Konzerte von Dr. Franz Metz in Deutschland und im Banat, die Eröffnung eines Büros des Hilfswerks und der Landsmannschaft in Temeswar.

Sie waren in diesem Jahr öfters im Banat und haben auch hier an zahlreichen Ereignissen und Veranstaltungen teilgenommen. Welchen Eindruck erweckt bei Ihnen Temeswar, das seit zwei Jahren einen deutschen Bürgermeister hat?

Die Aufenthalte im Banat sind immer mit Sitzungsterminen und langen Gesprächen mit den Kooperationspartnern unseres Verbandes verbunden. Man bewegt sich da schon in einer Blase. Aber natürlich gehe ich mit offenen Augen und Ohren durch die Stadt, freue mich über ein saniertes historisches Gebäude und schüttele den Kopf darüber, dass gleich daneben ein anderes Bauwerk darniederliegt.

Die Stadt dehnt sich immer weiter aus, der Verkehr hat enorm zugenommen, die Wirtschaft investiert, es ändert sich schon sehr viel. Eine effizientere Öffentlichkeitsarbeit sollte die Stadt als „Treffpunkt der Völker, Kulturen und Religionen“, ich zitiere sinngemäß Professor Rudolf Gräf (Anm. d. Red. emeritierter Prorektor der Klausenburger Babe{-Bolyai-Universität), besser herausstellen. Denn letztlich sieht man nur, was man weiß. Am liebsten ist mir die Stadt, wenn ich mit Freunden in Temeswar unterwegs bin, letztlich sind die Menschen entscheidend.

Es gab in den letzten Monaten zahlreiche Treffen der Heimatortsgemeinschaften, Kreis- und Landesverbände mit Neuwahlen. Wie beeinflussen diese neuen Vorstände das Gemeinschaftsleben der Banater Landsleute?

Wichtig ist, dass Versammlungen und Wahlen abgehalten, Strukturen erhalten bleiben. Das hat sich gerade in dieser schwierigen Zeit wieder gezeigt, wo Pandemien, Krieg und Energiekrisen die wichtigsten Themen für die Menschen sind.

Das bleibt auch für ein landsmannschaftlich geprägtes Verbandsleben nicht ohne Folgen. Erfreulicherweise gibt es in einigen Vorständen auch neue Gesichter. Diejenigen, die jetzt für ein Amt kandidieren, kommen oft mit konkreten Vorstellungen für bestimmte Projekte. Da kommt auch eine neue Qualität in manche Vorstände.

Wie stand es in diesem Jahr um die Finanzierung der Projekte im Rahmen der Landsmannschaft?

Wie allgemein bekannt, wird unsere Kulturarbeit seit dem Jahr  2021 auch vom Freistaat Bayern substanziell gefördert. Aufgrund dessen konnten eine Kulturreferentenstelle geschaffen und Mittel für die Kulturarbeit sowohl in Bayern als auch  im Banat bereitgestellt werden.

Darüber hinaus wird unsere Kultur- und Brauchtumsarbeit in Baden-Württemberg von diesem Bundesland gefördert, Projekte werden von der Kulturreferentin für den Donauraum am Do-nauschwäbischen Zentralmuseum in Ulm, von der dj – Deutsche Jugend in Europa, von der Stadt Ulm gefördert, um die für uns wichtigsten Fördereinrichtungen zu nennen.

Früher mussten kulturelle Projekte gelegentlich an gesellige Veranstaltungen angedockt werden, um sie so zu finanzieren. Das ist jetzt zum Glück nicht mehr nötig, was auch ein Umdenken im Verband erfordert. Es müssen nicht unbedingt 300 Teilnehmer zugegen sein, um eine erfolgreiche Veranstaltung abzuhalten.

Das Jahr 2022 hat auch den Verlust manch wertvoller Forscher und Wissenschaftler im Bereich der Geschichte und Sprache der Banater Schwaben mit sich gebracht. Wie ist es um den Nachwuchs bestellt? Gibt es in Deutschland noch junge Forscher mit Banater Wurzeln, die sich in Geisteswissenschaften einen Namen machen?

Mit dem Sprachwissenschaftler Dr. Hans Gehl, dem Künstler Ingo Glass, sowie dem Lokalhistoriker Heinrich Lay haben uns in diesem Jahr prägende Wissenschaftler, Künstler und Pädagogen für immer verlassen. Sie waren nicht nur Mitglieder unserer Landsmannschaft, sondern sie haben sich auch in unsere Arbeit eingebracht, haben mitgearbeitet – öffentlich oder nichtöffentlich. Dr. Gehl hatte unsere Arbeit immer interessiert begleitet, einmal im Monat erhielt ich eine lange E-Mail von ihm zu Fragen der Zeit und unserer Gemeinschaft. Alle drei genannten Persönlichkeiten hinterlassen auf ihrem Gebiet eine Lücke, denn wir haben zwar tüchtige Ingenieure, Informatiker, Lehrer, Ärzte und Facharbeiter in unserem Verband, aber nur wenige Geisteswissenschaftler der jüngeren Generation.

Es bleibt eine große Aufgabe, auf Themen unserer Geschichte und Kultur aufmerksam zu machen. Und dabei ist es letztlich nicht wichtig, welcher Herkunft sie sind. Denn zunehmend werden auch bei uns die Themen das Interesse bestimmen. Und da bin ich der festen Überzeugung, dass diese wechselvolle dreihundertjährige Geschichte der Banater Schwaben mit ihren vielen Brüchen und Wechselwirkungen einiges zu bieten hat.

Was plant der Bundesverband der Landsmannschaft in Bezug auf das Temeswarer Kulturhauptstadtjahr 2023?

Unsere Landsmannschaft wird sich im kommenden Jahr in größerer Zahl als bisher an den Heimattagen der Deutschen im Banat beteiligen, einige Heimatortsgemeinschaften wie Bakowa, Birda, Jahrmarkt, Lenauheim, Nitzkydorf, Ulmbach-Neupetsch werden darüber hinaus Veranstaltungen in ihren Heimatorten abhalten, andere planen solche noch. Als Kooperationsprojekt mit unserer Landsmannschaft wird das Demokratische Forum der Deutschen im Banat im Januar den Band mit Berichten von Kindern ehemaliger Russlanddeportierter in rumänischer Sprache herausbringen. Wir werden darüber hinaus als Bundesverband mit weiteren Veranstaltungen auftreten bzw. solche fördern.

Was ist Ihrer Meinung nach in naher und mittelfristiger Zukunft die Rolle der Landsmannschaft Banater Schwaben in Deutschland?

In Deutschland haben nach dem Krieg 15 Millionen deutsche Vertriebene und Flüchtlinge, Aus- und Spätaussiedler Zuflucht und eine neue Heimat gefunden. Vital und in der Öffentlichkeit präsent geblieben sind jene Landsmannschaften, die einen Bezug zu ihrem Heimatgebiet bewahrt haben, auch für und mit ihren Jugendgruppen. Das ist auch ein Weg für uns. Es gibt neben der dreihundertjährigen Geschichte der Banater Schwaben im Banat eine siebzigjährige Geschichte der Banater Schwaben in Deutschland. Natürlich bedingt die eine Geschichte auch die andere, es gibt Wechselwirkungen, es gibt große Schnittmengen. Wir sind Teil, wir sind Träger dieser Geschichte. Wir wollen sie interessant aufbereiten, wir wollen sie weitergeben und uns dadurch auch öffnen. Ich komme zurück auf meine Aussage, dass in Zukunft die Themen und nicht die Herkunft ein Interesse dafür bedingen werden. Vieles gehört noch dokumentiert und in die Öffentlichkeit gebracht. Da haben wir einen Nachholbedarf. Mit unserer Bundesgeschäftsstelle und unserer Verbandszeitung „Banater Post“, mit unserem Internetauftritt und in den sozialen Medien blieben wir Anlaufstelle für Zehntausende Bana-ter oder am Banat Interessierte.

Wir sollten in Deutschland auch politisch stärker in Erscheinung treten, nicht nur auf kommunaler Ebene, mit Persönlichkeiten, die sich mit uns identifizieren. Wir hatten schon einen Minister aus unseren Reihen und Abgeordnete, aber kaum einer wusste, dass sie Banater Schwaben waren. Das sagt viel aus, das müssen wir ändern.

Danke für das Gespräch!