„Es ist an uns zu hören und zu wissen, wann wir gemeint sind“

Pfarrerin Bettina Friederike Kenst im Gespräch zum Anlass des Jubiläums der 30 Jahre Ordination der Frauen in der EKR

Pfarrerin Bettina Kenst

Mit der Tochter auf der Schaukel | Fotos: privat

Beschwingt tritt Bettina ein. Sie trägt ihr neues Krepelkleid, es steht ihr gut. Sie begrüßt die Gäste, die ihre Feier im Elimheim begehen, in dem kirchlichen Haus, das sie leitet. Sie stellt die Flüchtlinge aus der Ukraine vor, die hier einen Unterschlupf gefunden haben. Dann auch die Produkte, die Bettina zusammen mit ihnen herstellt, handgemachte Gadgets, Seife und dergleichen, in ansprechender Aufmachung. Sie stimmt einen Choral an und beginnt mit der Andacht. 

Später dann setzt sie sich zu mir an den Tisch. Sie richtet das Krepelkleid zurecht. Schönes Gewand, Frau Pfarrerin, sage ich. „Weißt du,“ sagt sie, „in einem völlig anderen Zusammenhang, wo es unter anderem auch um Äußerlichkeiten ging, um eine gewisse Kleidung, hörte ich  den Satz ´nicht das Gewand an sich gibt eine Rolle vor, sondern der, der es trägt gibt ihm seine Rolle, seinen Sinn.‘ Das war es! Das war der Schlüssel, nach dem ich lange Zeit gesucht hatte: Ich gebe dem Talar oder jetzt dem Krepelkleid die Rolle, den Sinn;  mein eigenes authentisches Sein ist das, worauf es ankommt!“ Das habe sie als Pfarrerin im Umgang mit den Menschen in der Kirche oft gespürt. Diese wollen authentische Antworten auf ihre Fragen, und sie wollen den Menschen hinter dem Gewand erkennen und die Antwort auf ihre ungestellte Frage: Wie lebt dieser Mensch das, was er predigt?

Nach dem inneren folgte auch der äußere Ruf

Wie hat sie sich entschieden, Pfarrerin zu werden, frage ich sie. Ihr Blick geht nach innen, sie lacht. Sie sei gerademal 24 Jahre alt gewesen, als sie die Ausbildung abgeschlossen hatte. Sie fühlte sich schlicht zu jung, um Mitmenschen auf ihrem „Seelenweg zu Gott hin“ zu begleiten, zu stärken oder zu ermutigen. „Damals war es für mich eine Verantwortung, derer ich mich nicht gewachsen fühlte. Des Propheten Jeremias Worte sprachen mir aus der Seele: ´Ach Herr, ich tauge nicht zu predigen; denn ich bin zu jung´“ (Jeremia 1, 6)

So kam es, dass Bettina eine Stelle im  Blumenauer Altenheim von Kronstadt/Brașov antrat. Während dieser Zeit, wie es sich dann doch so fügte, gab es in den umliegenden Gemeinden eine Pfarrvakanz und sie half aus – mit Predigtdiensten. Und da geschah es, dass ihr klar wurde, dass sie genau dieses tun wolle: Gottes Gegenwart, sein Wort den Menschen in ihrer Umgebung und in dieser Zeit nahezubringen. Mit dem Predigen selbst und in den Gesprächen mit den Menschen reifte ihr Entschluss, ins Pfarramt zu gehen. Denn dies, so ihre Erkenntnis, ist der Ort, an dem sie das Gelernte am Besten umsetzen konnte. Der „innere Ruf“ war da! So wie Gott Jeremia antwortete auf dessen Ausrede: „Sage nicht: Ich bin zu jung, sondern du sollst gehen, wohin ich dich sende, und predigen alles, was ich dir gebiete. Fürchte dich nicht vor ihnen, denn ich bin bei dir und will dich eretten.“ (Jeremia 1, 7) Es folgte der „äußere Ruf“ – in Mediasch wurde jemand gebraucht mit dem Schwerpunkt Religionsunterricht. 

Das Gottvertrauen der Großmutter als Vorbild

Am 12. November 2005 wurde Bettina Kenst in der Mediascher Margarethenkirche ordiniert. Ihr Thema zum Ordinationsgespräch war „Die Bedeutung der Heiligen in der Evangelischen Kirche“, „… und es ist, als wäre es gestern gewesen, wo ich einfach dachte: „wie passend für mich!“– nach unserem evangelischen Verständnis sind Heilige Vorbilder im Glauben und ich fragte mich damals, schon wer eigentlich mein Vorbild ist. 

Als erstes fiel mir meine Grossmutter, Adele Kenst, ein. Sie war es, von der ich als Kind mein erstes Gebet lernte, „Ich bin klein, mein Herz ist rein. Niemand soll drin wohnen als Jesus allein“. Von ihr hörte ich erste biblische Geschichten. Sie gab mir das Vertrauen zu Gott, dem Vater, mit auf meinen Lebensweg. Sie tat es durch einfache Sätze wie z. B. „was auch immer geschieht, Gott ist da für dich, wie ein Vater, dem du alles erzählen kannst, der dir zuhört und der alles zu deinem Besten fügt.“ Sie sprach aus ihrer eigenen Lebenserfahrung, oft aus den Jahren der Russlanddeportation und danach aus den Erfahrungen der Enteignung, des Verhaltens der rumänischen Bevölkerung ihr gegenüber – dass sie, obwohl bestens ausgebildet, nicht ihren Beruf als Säuglingskrankenschwester ausüben durfte und kein einfaches Dasein erlebte. Ich hörte immer fasziniert zu. Ihre Standhaftigkeit und Klarheit, ihr selbstverständliches Vertrauen und nicht Hinterfragen von göttlicher Führung waren für mich sehr authentisch. 

All das hat sie sicherlich auch meinem Vater, Gerhard Kenst, auf den Lebensweg mitgegeben. Für mich war er der Mensch, der mich auf meinem Glaubens- und Lebensweg am meisten bestärkt und ermutigt hat. Er war derjenige, der mich am besten kannte. Auch ohne viele Worte wusste er meistens wie es in mir aussieht und gerade aus diesem Grund hat er wohl etwas erkannt, das ich selber nicht sehen konnte, vielleicht auch nicht sehen wollte, wovor ich suchte mich zu drücken … „du hast alles, was du brauchst und was nötig ist, um den Weg im Amt einer Pfarrerin zu gehen.“ … den Weg, den ich dann 2005 begonnen habe, tatsächlich zu gehen. Die Ordination war für mich sozusagen die Befähigung nach außen hin, die offizielle Sendung und Segnung meines in mir bereits vorhandenen Willens, diesen Weg zu gehen. Und zugleich, für mich sehr wichtig, der Moment der offiziellen Bestätigung einer Kirchengemeinde, mit mir gemeinsam auf dem Glaubensweg unterwegs zu sein.“

Frau und Pfarrerin in der Gesellschaft

In der Gemeinde hat sie immer wieder Menschen getroffen, die ihr zu Vorbildern wurden, weil sie sie begleitet haben, geprägt, gestärkt, getragen und ertragen, und immer auch ermutigt. Das sei großartig gewesen, schwärmt sie. Denn da waren einige Hürden und Mühen im ordinierten Dienst, die es zu bewältigen galt. 

Beispielsweise als sich ihre eigene Lebenssituation von einer jungen, unverheirateten Frau hin zu einer Ehefrau und Mutter veränderte. Diesen Rollen gerecht zu werden, vor allem den eigenen Erwartungen zu entsprechen, und beides, sowohl den Beruf als auch das Familienleben vorbildhaft zu meistern, hat sie schlicht-weg überfordert. 

Dann war für Bettina eine große Frage, wie sie dieses Amt in unterschiedlichen Situationen würdevoll bekleiden kann und soll. „Ich erwähne in diesem Zusammenhang z. B. die Tatsache, dass  andere die Erwartung an mich haben, die Rolle der ´Frau in der Gesellschaft´  zu spielen, ich persönlich jedoch sehe mich in der Rolle als ´Pfarrerin in der Gesellschaft´ und muss jetzt eher die Hosen anhaben“. In solchen Situationen – sei es eine öffentliche Sitzung oder ein öffentliches Event –  die Frau in der Rolle der Pfarrerin zu sein, erfordert Mut, Ausdauer, Standhaftigkeit und eine gewisse Hartnäckigkeit. An dieser Stelle wünschte ich mir mehr Zutrauen und Unterstützung seitens männlicher Kollegen. Nicht nur, dass wir eine Minderheit sind als Kirche, als Volk, sondern innerhalb der Kirche sind Frauen im Amt eine Minderheit. Eine gewisse Sensibilität dafür wäre wünschenswert.“

Die Richterin Debora als biblische Leitfigur

Oft hat Bettina Ausrichtung und Bestärkung in ihren vielen Herausforderungen im ordinierten Amt ausgerechnet bei Debora gefunden, der Prophetin und Richterin. Ihre Geschichte steht im Alten Testament im Buch Richter, Kapitel 4. Über sie erfährt man als Erstes, dass sie eine besondere Beziehung zu Gott hatte. Sie war von ihm berufen und beauftragt worden, in seinem Namen zu sprechen. 

„Ganz bestimmt war ihre Rolle untypisch für die patriarchalische Gesellschaft, in der sie lebte. Aber Debora macht deswegen keinen Rückzieher aus Sorge darüber, was wohl die anderen denken könnten. Sie hat erlebt, dass Gott zu ihr spricht und sie war bereit, sich dadurch in Bewegung zu setzen.

In Richter 5,4 heisst es: „sie wohnte bei der nach ihr benannten Debora-Palme zwischen Rama und Bethel im Gebirge Ephraim. Dorthin kamen die Israeliten, um sich von ihr Recht sprechen zu lassen.“ Sie hatte demnach die Führungsposition über die Stämme Israels. Hinzu kam auch, dass sie eine Prophetin war. Keiner der anderen Richter wurde so bezeichnet. Sie hat für mich somit eine Vorbildfunktion – sie war selbstbewusst und entschlossen. Aber auch bescheiden. Sie war bereit, Verantwortung abzugeben; es wird erzählt, dass sie den Heerführer Barak beauftragt, die Israeliten in die Schlacht zu führen. Sie war mutig genug, um aus dem Schatten herauszutreten, in dem viele Frauen ihrer Zeit lebten. Als jemand, der Verantwortung trägt, war sie fähig dazu und doch auch bereit, Aufgaben an begabte Mitmenschen zu übertragen. Das ist mir, als jemand, der eine geistliche Leitungsposition innehat, ein Vorbild: Die eigene Position und die Verantwortung zu erkennen, jedoch gleichzeitig die Stärken und Gaben der Mitarbeiter zu sehen und sie zu nutzen, delegieren zu können, wenn es erforderlich ist.

Debora war eine verheiratete Frau im Haushalt von Lappidot mit einem Auftrag von Gott. Das reichte aus, um ihr Gehör zu verschaffen; es scheint keinen grundsätzlichen Konflikt zu geben zwischen der Rolle einer Ehefrau und der einer geistlichen Leiterin. Wem Gott einen Auftrag gibt, den rüstet er auch entsprechend aus. Daran hat sich bis heute nichts geändert. Gleich, ob es dabei darum geht, Kinder zu erziehen oder eine öffentliche Führungsposition zu bekleiden. Es ist an uns, zu hören und zu wissen, wann wir gemeint sind und wann nicht. Darin ist Debora mir ein Vorbild.“

Bettina steht auf und lächelt. Sie setzt an, eine kleine Rede zu halten und beendet die Feier. Dann schlägt sie das Psalmenbuch auf und stimmt an: Sing, bet und geh auf Gottes Wegen, verricht das deine nur getreu und trau des Himmels reichem Segen, so wird er bei dir werden neu. Denn welcher seine Zuversicht auf Gott setzt, den verlässt er nicht.