„Es war nur eine Reihe Zufälle, die aber alles in die richtige Bahn gelenkt haben“

Wie der Nigerianer Kingsley Chibuzor Nwabia zum aufstrebenden Künstler in Rumänien wurde

Der Künstler posiert mit seinen Werken. Fotos: privat

Rumänisches Motiv

Gemälde für die königliche Familie Rumäniens

Gemälde für die königliche Familie Rumäniens

Nach seinem Mikrobiologie-Abschluss in Lagos entscheidet sich der damals 23-jährige Nigerianer für ein AIESEC-Stipendium als Englisch-Lehrer und kommt für einige Monate nach Europa, ohne zu wissen, dass er knapp 20 Jahre später einer der rasch aufstrebenden Künstler Rumäniens sein wird, dessen Gemälde sowohl von der königlichen Familie Rumäniens als auch sogar von Präsidenten persönlich entgegen genommen wurden. Seine Familie in Rumänien sind Hunderte von Kindern, denen er während der Jahre Englisch beigebracht hat, aber auch moralische und ethische Werte, die meisten über alte nigerianische und afrikanische Märchen vermittelt, die er im Nachhinein auch veröffentlicht hat.

Der imposante, knapp zwei Meter große Nigerianer ist von Weitem leicht zu erkennen – dies nicht nur wegen seiner Hautfarbe: Er schlendert über den Zebrastreifen, als ob er tanzen würde, entspannt, anscheinend sorgenlos, ständig mit einem leichten Lächeln im Gesicht und mit einer eingerahmten Malerei in der Hand. Er kommt gerade von seiner letzten Ausstellung. Vor siebzehn Jahren, als er erstmals in Rumänien landete, hätte er sich nicht vorstellen können, jemals so weit zu kommen. Er selbst beschreibt sein Leben als „Sitcom“ – als „komplett unglaubwürdige Aneinanderreihung von Zufällen, die aber alles in die richtige Bahn gedreht haben“.

Ankunft in Rumänien

Als Mitglied des Igbu-Stamms wächst Kingsley zusammen mit seinen beiden Schwestern und fünf Brüdern im südlichen Teil der nigerischen Stadt Lagos im britischen Teil Nigeriens auf, eine Region, die eigentlich Hunderte Kilometer von seinem Stamm weit weg ist und in der er sich einsam fühlt. Seine Zuflucht war bereits damals die Malerei. Gleich nach seinem Mikrobiologie-Abschluss bewirbt er sich für ein AIESEC-Stipendium in Polen, danach in Rumänien, und kommt endlich als 28-Jähriger, im Jahr 2005 in Klausenburg als Englischlehrer für die Mitarbeiter eines Pharmakonzerns an. Einer der wenigen Afrikaner damals in Klausenburg. Für seltsame Blicke oder Flüstern hinter seinem Rücken hat er keine Zeit – er ist daran gewöhnt, bereits seit seiner Kindheit, beim Aufwachsen in der Mitte eines fremden Stamms mit einer eigenen Sprache.

Kingsley, der Lehrer

Er verlängert sein Stipendium, jedoch nicht mehr, um mit Erwachsenen zu arbeiten, sondern mit Kindern. Hier entdeckt er seine wahre Neigung, seine Gabe. Er versucht, seinen Schülern nicht nur Englisch beizubringen, sondern sie tatsächlich fürs Leben vorzubereiten. Seine unkonventionellen Methoden lassen auch heute viele die Stirn runzeln, aber sie funktionieren. Kingsley benutzt nähmlich keine Unterlagen, kein klassisches Schulprogramm – alles muss für ihn so flüssig und natürlich wie möglich im Gespräch ablaufen, damit sich die Kleinen auch entspannen und frei sprechen können. „Natürlich weiß ich, welche Wörter ich den Kinder beibringen möchte oder welche Ideen ich in einer Stunde vermitteln will, aber das Gespräch darf nicht aufgezwungen sein“, meint er. „Wir sprechen über alles auf der Welt, ich fordere sie heraus, manchmal demütige ich sie und lehre sie damit, ihre Meinung zu verteidigen, ich fordere sie zum Nachdenken auf – ich kann mein System wirklich nicht beschreiben, man muss es einfach erleben“, fügt er hinzu.

Derzeit hat Kingsley immer noch keine eigene Familie in Rumänien gründen können, dafür aber hat er Hunderte ehemalige Schüler, denen er ans Herz gewachsen ist und die ihn auch heute noch besuchen oder um Rat fragen. Genau diese Schüler haben ihn während der Pandemie unterstützt, als die Schulen geschlossen waren und genau diese Schüler haben ihm auch vor kurzem geholfen, als er, mit stressbedingten inneren Blutungen, ins Krankenhaus eingeliefert wurde. „Ich fühle mich nicht mehr alleine in Rumänien“, erklärt nun Kingsley rückwirkend.

Kingsley, der Schriftsteller

Insbesondere die kleinen Kinder lieben Geschichten und Kingsley hat die Gabe, sie lebhaft zu erzählen. Aber mit den klassischen Märchen der Gebrüder Grimm konnte er die Kleinen nicht wirklich anregen – ganz im Gegenteil dazu aber mit Märchen aus seiner Heimat, aus Afrika. Diese waren neu und spannend, auch wenn sie etwas „grausamer“ schienen – denn bei afrikanischen Märchen geht es nicht um Prinzessinen, die gerettet werden, sondern um Lehren, um Bösewichte, die immer recht grausam bestraft werden. Zufällig waren die Eltern eines Schüler in einem Verlag tätig und haben Kingsley überzeugt, im Jahr 2010 zehn dieser Märchen samt eigenen dazugehörigen Zeichnungen zu veröffentlichen. Das war nur das erste der knapp zehn Kinderbücher, die er bisher veröffentlicht hat. Während der Pandemie hatte er Zeit, ein weiteres Buch vorzubereiten, welches er Anfang nächsten Jahres auf den Markt bringen will.

Kingsley, der Maler

Die Malerei bleibt aber Kingsleys größte Leidenschaft und hat sich während der Zeit vom Zufluchtsort zur Einkommensquelle mit Anerkennung entwickelt – wieder einmal aus reinem Zufall, meint Kingsley. Nicht lange nach seiner Ankunft in Bukarest wurde im UN-Haus in Bukarest eine afrikanische Ausstellung organisiert. Der Zufall wollte, dass die Mutter einer seiner Schülerinnen dort arbeitete und ihm vorschlug, mit seinen Werken auch dabei zu sein. Somit konnte Kingsley auch den Botschafter Nigeriens kennenlernen, mit dem er weiterhin gute Beziehungen pflegte und der ihm auch zu einigen seiner nächsten Ausstellungen verholfen hat. So wurde die Leidenschaft zum Beruf.

Bei einem weiteren „afrikanischen Abend“ durfte Kingsley dem damaligen Präsidenten Traian B²sescu ein Portrait persönlich aushändigen. Und auch durch puren Zufall durfte er kurz danach die rumänische königliche Familie kennenlernen, welche derzeit mehrere seiner Werke besitzt. Die Krankenhauskette „Regina Maria“ hatte ihn nämlich beauftragt, ein Portrait von Königin Maria zu erstellen, aber letzten Endes die Bestellung wieder abgesagt. Und so präsentierte Kingsley das Riesengemälde König Michael persönlich und durfte des öfteren im Elisabeth-Palast zu Gast sein.

Sein Lieblingsgemälde bleibt „Die Masken“, denn es widerspiegelt seine afrikanische Herkunft: „Masken sind so typisch für Afrika“, meint der Künstler.

Während der Pandemie hatte Kingsley lange Zeit, über die Masken der Menschen nachzudenken und über das, was die Menschen auf sozialen Medien präsentieren und verfolgen. So ist es zu seiner jüngsten Ausstellung gekommen: die „Selfie Serie“, eine Reihe von zwölf Topless Portraits von Frauen, mit je einem Vogel ihrer Wahl auf der Schulter, wobei die Gesichter der Frauen immer hinter dem Handy verborgen bleiben. Der Künstler fragt sich dabei einerseits, was die Menschen auf sozialen Medien darstellen möchten und inwieweit dieses Erscheinungsbild ihr wahres Ich darstellt, bzw. inwieweit die Besucher ihrer Profile das wahre Ich der Person im Bild wahrnehmen oder eher von einem Foto, von der Äußerlichkeit, geleitet werden. Dabei bleiben die unterschiedlichen Vögel das einzige Indiz für die Persönlichkeit. Kurz vor der Vernissage verstarb eines seiner Modelle an Brustkrebs und Kingsley entschied sich, die Ausstellung der Unterstützung von Brustkrebsforschung zu widmen. Zufall oder nicht, die Ausstellung wurde zum Hit, auch weil sie genau während des Brustkrebsmonats stattgefunden hat.

Zukunftsperspektiven

An die Zukunft möchte Kingsley überhaupt nicht denken, erst den heutigen Tag genießen. Er geht einem Projekt nach dem anderen nach. Sicherlich will er auch weiterhin mit Kindern arbeiten und auch weiterhin malen und schreiben. Sein letztes Projekt ist eine T-Shirt-Sammlung mit seinen einzigartigen Kunstwerken.

„Gott ist der einzige, der meinen Weg kennt und ich muss ihm vertrauen“, meint er. „Mein Leben macht auch für mich überhaupt keinen Sinn, aber ich lebe es trotzdem“, bemerkt Kingsley heiter, wie immer.