Europa – ein Zivilisationsprojekt

Die Podiumsdiskussion der Friedrich-Naumann-Stiftung zu Herausforderungen und Chancen der EU

Ramona Mănescu, Klaus Johannis, Dr. René Klaff und Dr. Wolfgang Gerhardt (v.l.) waren die Teilnehmer an der Podiumsdiskussion.
Foto: Andrey Kolobov

„Welche Zukunft hat Europa? Herausforderungen, Chancen und liberale Positionen“ lautete das  Thema der Podiumsdiskussion, die am 26. März im Spiegelsaal des Forumshauses stattgefunden hat. Veranstaltet wurde die Debatte anlässlich der Regionalfachtagung der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit, zu der Projektleiter der Stiftung aus Mittel-, Südost- und Osteuropa, Südkaukasus und Zentralasien nach Hermannstadt/Sibiu gekommen waren. Die Debatte war brandaktuell, wie dies auch Daniel Kaddik, der Projektberater für Südosteuropa der Friedrich-Naumann-Stiftung, in seiner Einführung sagte: Zum einen angesichts der anstehenden Wahlen für ein neues Europaparlament, zum anderen angesichts des Krisenherdes in der Ukraine. „Der Prozess der europäischen Einigung gehört zu den großen politischen Leistungen des 20. Jahrhunderts. Er hat den Europäern Freiheiten, Frieden und Wohlstand gebracht.“

Trotz des unbestreitbaren Erfolges sei die Europäische Union jedoch auf Reformen angewiesen. Auch würden in ganz Europa Isolationisten und Nationalisten an Einfluss gewinnen und die existierenden strukturellen Defizite der EU für ihre Zwecke nutzen, wodurch sie den Wohlstand der Bürger und die friedliche Koexistenz aufs Spiel setzen. Der Moderator der Debatte, Dr. René Klaff, Regionalbüroleiter für Mittel-, Südost- und Osteuropa, Südkaukasus und Zentralasien der Naumann-Stiftung, verknüpfte die Frage nach der Zukunft Europas und deren Institutionen folgerichtig mit der neue Ausgangslage durch die Entwicklung auf der Krim. Die Haltung der EU in dieser Problematik war einer der kontrovers diskutierten Schwerpunkte der Diskussion.

Die Krise in der Ukraine

„Europa ist ein Zivilisationsprojekt.“ Auf diese Aussage führte die Argumentation von Dr. Wolfgang Gerhardt, dem Vorstandsvorsitzenden der Naumann-Stiftung, hin, in der er die Entwicklung der EU mit Erfolgen und Rückschlägen präsentiert hatte. Weil es ein Zivilisationsprojekt ist, dürfe in Europa nicht nur mit Wachstumsraten argumentiert werden, sondern man müsse der Welt einen Kontinent vorführen, der in seinem zivilisatorischen Verständnis keine Konflikte mehr mit Gewalt lösen will. Lösungen müssen durch Kontakte, Gespräche und Diplomatie gefunden werden. „Manche betrachten das als schwach, ich finde, es ist die Stärke unseres Kontinents“, sagte der vormalige FDP-Bundestagsvorsitzende. Die Tatsache, dass wir auf einem Kontinent leben, auf dem die Menschen die Chance hatten, nach zwei Katastrophen neu anzufangen, sei Grund genug, der Diplomatie den Vorrang zu geben.

Klaus Johannis, der Erste Stellvertretende Vorsitzende der Nationalliberalen Partei (PNL), erneuerte in seinem Diskussionsbeitrag die Kritik an der europäischen Diplomatie in der Ukraine-Krise. Das Verhandeln „in der Ukraine mit der Ukraine über die Ukraine ohne Russland“ habe zum Misserfolg geführt. Die Reaktionen vom „Typus des Noneinverständnisses mit dem, was geschieht“, seien extrem schwach gewesen und hätten gezeigt, dass die europäische Diplomatie die Evolution in Russland ignoriert habe. Da nichts mehr vereint als ein gemeinsamer Feind, könne die derzeitige Situation aber möglicher-weise bei einer Konsolidierung der EU helfen. Bemängelt hatte Johannis zuvor das Fehlen eines europäischen Leaderships. Insgesamt habe es stets recht blasse Haltungen in den wenigen Situationen gegeben, in denen Europa zu einer Situation außerhalb von Europa hat Stellung beziehen müssen, und dann eher vom Typus: „Wie nett ihr seid, wir sind alle Freunde, lasst uns etwas Gutes tun“. An sich sei diese Vorgehensweise gut und humanistisch, aber seiner Ansicht nach etwas naiv, wenn man sieht, wie andere politischen Mächte die ausländischen Beziehungen angehen. Als deutlichstes Gegenbeispiel zur europäischen Herangehensweise führte er die USA an: Nach deren Ansicht sind alle Feinde, aber mit einigen versteht man sich besser, mit den anderen weniger gut.

Johannis vertrat die Meinung, die derzeitige Lage könne durch einen Paradigmenwechsel gelöst werden. Die EU muss sich als mehr betrachten als nur eine Staatenunion, in der alle ein ruhiges und angenehmes Leben führen wollen, und statt dessen in die Rolle als Weltmacht schlüpfen. Dies erfolgt aufgrund einer geopolitischen Vision und eines eben solchen Plans und einer weitaus stärker auf politischen und weniger auf wirtschaftlichen Beschlüssen fußenden Herangehensweise. Man müsse akzeptieren, dass es selbst in Europa Nachbarn gibt, deren Ansicht nach nicht alle gute Freunde sind und die die europäische Demokratie nicht als selbstverständlich und wünschenswert betrachten. Die europäische Außenpolitik müsse einsehen, dass viele Regierungen und Religionen das Funktionieren ihrer Staaten auf anderen Prinzipien aufbauen als den in Europa geltenden.

„Russland hat die Charta der Vereinten Nationen genauso unterschrieben wie Deutschland und wir finden, dass es unser gutes Recht ist, für eine Welt zu plädieren, die nach diesen Kriterien friedvoll zusammenlebt“, konterte Dr. Wolfgang Gerhardt. „Es gibt universelle Staatsbürgerrechte, die wir behaupten wollen.“ Ihn ärgere ebenfalls, dass in der Krim-Frage zum Beispiel nicht energischer vorgegangen wurde, fragte jedoch, ob es vernünftig sei, den Konflikt auf die Spitze treiben zu lassen. Seiner Ansicht nach müsse man der machtbewussten russischen Politik mit europäischen Stärken entgegentreten. Europas Stärke bestehe nicht in Armeen, sondern in Beitrittsersuchen. Wenn man sich die Konflikte auf allen Erdteilen ansieht, kann man feststellen, dass Europa besser ist als sein Ruf. „Putin glaubt, er hat einen Weg eingeschlagen, den die anderen respektieren müssen. Ich bin mir da nicht so sicher, denn er herrscht in einem Land mit vielen ethnischen Gruppen“, so Dr. Gerhardt. Die gegenwärtige EU halte er nicht für schwach, auch sei längst nicht beantwortet, wer am Ende in der geostrategischen Lage unserer Welt vorne sein wird. Er glaube nicht, dass es Russland sein wird, wenn es sich nicht modernisiert, seine Volkswirtschaft nicht zukunftsfähig macht, sondern ausschließlich Rohstoffe verkauft, und wenn es mit gewaltsamen Lösungen auftritt.

Auch Dr. Gerhardt sprach die fehlenden Persönlichkeitsstrukturen an, die Leadership ausstrahlen. Die Politiker müssten aber den Mut haben, ihren Gesellschaften auch die weniger angenehmen Seiten der EU nahezubringen. „Die einzelnen Staaten haben eine Menge Unarten“, so Dr. Gerhardt. Es werde noch eine Weile dauern, bis der Traum von einem europäischem Bundesstaat mit europäischer Regierung wahr werden kann. Hierfür müssten sich die Nationalstaaten mit ihren nationalen Politikern wetterfest machen, um sich in der Globalisierung als wettbewerbsfähige Gesellschaften zu behaupten.

Zu schwach oder zu stark

Die Frage des Moderators an Johannis hatte gelautet, an welchen Stellen es zu viel Europa/Brüssel und an welchen zu wenig gibt, bzw. was gemacht werden kann, dass Europa besser wird. In Betracht gezogen hatte Dr. Klaff das Statement von Ramona Mănescu, Kandidatin der PNL für die Europawahlen und derzeitiges Mitglied des Europäischen Parlaments. Sie hatte ein fehlendes „Wir-Gefühl“ als Europäer angesprochen, das ihrer Ansicht nach auf einer mangelhaften Förderung der Solidarität fußt. Das Schwergewicht werde auf wirtschaftliche Integrationsprojekte gelegt, die mitunter einen dramatischen Einfluss auf das soziale Leben haben und einer politischen Integration im Wege stehen.
„Zu viel Europa“ identifizierte Johannis in der europäischen Verwaltung. Aufgebaut worden sei eine extrem starke Technokratie in Brüssel, vernachlässigt wurde die Politik, sagte auch er. Die Politik Europas konzentriere sich zu sehr auf das Lösen von Wirtschaftsfragen und der allgemeinen Infrastruktur, aber viel zu wenig auf die gemeinsame europäische Außenpolitik oder das Entgegenkommen im Falle der Anliegen von Mitgliedsstaaten. Diese technokratische „Gleichmache“ könne nicht sehr weit führen, wie es die Praxis beweist.

Ob zu viel oder zu wenig, ob zu stark oder zu schwach, „es ist unser gemeinsames Europa“ versicherte Ulrich Niemann, Bereichsleiter Internationale Politik der Naumann-Stiftung im Schlusswort. Europa sei ein Demokratieprojekt, auf das man stolz sein kann, wenn man es mit dem vergleicht, was wenige Hundert Kilometer östlich geschieht. Europa macht auch mal einen Schritt zurück oder tritt auf der Stelle, angesichts der akuten Krise vielleicht aber wieder mal einen Schritt nach vor.