Europäische Union unterstützt Schwabenzugprojekt

Acht Museen gedenken des Beginns der Ostmigration der Schwaben vor 300 Jahren

Die Bega, von der Modoscher Brücke aus gesehen. Durch ihre Kanalisierung und den Verbindungskanal zur Temesch an ihrem Oberlauf wurde nicht nur der Wasserstand für die Trinkwasserversorgung der Stadt Temeswar geregelt, sie wurde auch schiffbar gemacht und erhielt eine wirtschaftlich bedeutende Rolle im Getreidehandel des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts über die Donau. Trotz langjähriger Diskussionen und kurzfristiger Ausbaggerungen auf dem Stadtgebiet von Temeswar und trotz der Versprechungen seitens der Königin der Niederlande, das Projekt der Wiederschiffbarmachung zu unterstützen, ist die Bega bis heute nicht wieder schiffbar und verkrautet zunehmend.
Foto: Zoltán Pázmány

Die Referentin der Exekutivagentur für Bildung, Audiovisuelles und Kultur der Europäischen Union (EACEA), Barbara Gessler, verständigte am 23. Februar 2012 Christian Glass, Leiter des Donauschwäbischen Zentralmuseums in Ulm und federführender Antragsteller des MI-DANU-Projekts, dass dieses ins Kulturprogramm der EU aufgenommen wurde und mit insgesamt 90.000 Euro (45,32 Prozent der Gesamtkosten) gefördert wird. Das Projekt „Migration im Donauraum. Die Kolonisation im 18. Jahrhundert und ihre Folgen“, das von acht europäischen Museen getragen wird, verspreche „einen hohen Mehrwert für den kulturellen Einigungsprozess in Europa“. 

Die Liste der 2012-2013 geförderten Kulturprojekte der EU wird am 28. Februar von EACEA veröffentlicht. Abgewickelt wird das Projekt zwischen dem 1. Mai 2012 und dem 31. Oktober 2013. Offiziell gelten das Museum aus Ulm sowie der Museumskomplex Arad und das Musej Vojvodine aus Serbien als Antragsteller, zusätzlich sind die Museen Baránya Megyei Múzeumok aus Pécs/Ungarn, das Banater Museum/Muzeul Banatului aus Temeswar, das Museum des Banater Montangebiets /Muzeul Banatului Montan aus Reschitza, das Museum des Banater Dorfes/Muzeul Satului Bănăţean aus Temeswar und das Kreismuseum Sathmar noch mit im Boot. Das Gesamtbudget des Projekts beläuft sich auf etwas weniger als 200.000 Euro, wobei das Land Baden-Württemberg und die Stadt Ulm den Hauptanteil zur Verfügung stellen. Aber auch die Museen aus Rumänien werden auf Vorschlag von Prof. Dr. Dumitru Şeicu, dem Leiter des Reschitzaer Museums, zur Verwirklichung des Projekts finanziell beitragen.

Hohe Punktebewertung von der EU

Das Projekt hat bei der EACEA in Brüssel eine hohe Punktebewertung durch die Experten/Juroren erhalten (86 von 100 möglichen Punkten), wobei das Kapitel Relevanz für die spezifischen Ziele des Programms höchstbewertet wurde, während das „hohe Niveau der Aktivitäten“ mit 18 von 20 möglichen Punkten bedacht wurde. Von 318 aus ganz Europa eingegangenen Anträgen sind 112 als förderungswürdig befunden worden und fanden im Kulturprogramm der EU Eingang. Projekte ab 76 Punkte werden EU-gefördert.
Das Projekt, auf das schon seit anderthalb Jahren in den mit einbezogenen Museen zugearbeitet wird (mit Gipfeltreffen der Beteiligten in Ulm, Arad und Temeswar, ADZ/BZ berichteten) hat seinen ersten Höhepunkt im Mai in Ulm, wo das „Migrationsjahr 2012“ (auch) mit einer Ausstellung über den Beginn der Ostmigration der Deutschen eröffnet wird, die 1712, also vor 300 Jahren, mittels der „Ulmer Schachteln“ begonnen hat.

Teil I des Projekts ist denn auch die Erarbeitung dieser Ausstellung, die anschließend als Wanderausstellung in allen beteiligten Museen gezeigt werden soll. Parallel dazu erarbeiten alle beteiligten Museen touristische Angebote zur Geschichte der deutschen Ostmigration, zu welchem Zweck den Nutzern Angebote für Halbtages- oder Tagestouren angeboten werden – jeweils in und um die sieben Städte (Ulm, Arad, Reschitza, Sathmar, Temeswar, Pécs, Neusatz/NoviSad), wo die Ausstellung gezeigt wird. Es wird auf die Denkmäler und Orte aufmerksam gemacht, die mit der vor 300 Jahren eingesetzten Ostmigration in den Donauraum in einem Zusammenhang stehen. Dazu gehören Aspekte der Architektur, der Landschaftsgestaltung (im Fall Banat die Entwässerung der Sümpfe, die Urbarmachung der Schwarzerde-Ebene und die Schiffbarmachung der Bega bis an die Donau), des interethnischen und interkonfessionellen Zusammenlebens, der häuslichen und Wohnkultur, der Koch- und Essgewohnheiten, der sprachlich-kulturellen gegenseitigen Beeinflussung usw. 

Die etwas andere Sicht der Schwabenzüge

Alles geschieht unter dem Titel „Routes to the Roots“, Routen zu den Wurzeln. Diese Angebote richten sich generell an Interessenten der gesamteuropäischen Migrationsbewegungen, aber auch an persönlich interessierte Nachkommen der mehr als 1,5 Millionen Donauschwaben, die heute in Deutschland, Österreich, den USA, Kanada, Brasilien oder Australien leben, nicht zuletzt aber auch an die trotz der brutalen Widrigkeiten des 20. Jahrhunderts heute noch in den Zielländern der Ostmigration lebenden Nachkommen früherer Migranten.

Die „Neoaquistica“, die neuaquirierten Gebiete des Habsburgerreichs nach der Befreiung weiter Teile des seinerzeitigen Ungarn von der ottomanischen Besetzung, wurden von privaten Grundherren und dem Aerar, der Schatzkammer des Wiener Hofes, aufgrund der wissenschaftlichen Erkenntnisse des mitteleuropäischen Merkantilismus, zwecks Rentabilisierung – ergo höhere Steuereinnahmen – ab dem Beginn des 18. Jahrhunderts mit Kolonisten aus Westeuropa besiedelt. Im 18. Jahrhundert sind mehr als 400.000 Siedler, hauptsächlich aus dem süddeutschen, elsaß-lothringischen Raum, aber auch aus anderen Gebieten des Habsburgerreichs – etwa den österreichischen Erblanden der Habsburger und von jenseits deren Grenzen – an die Mittlere Donau gezogen, „um gute Dienste zu thun“, wie es in einem Wiener Kanzleidokument heißt. Deshalb erstrecken sich die Siedlungsgebiete der späteren „Donauschwaben“ über das heutige Rumänien, Kroatien, Serbien und Ungarn.

Die Ausstellung, die zum 300. Jahrestag des Beginns der Ostmigration in den Donauraum zusammengestellt wird, beschäftigt sich mit den Auswirkungen dieser Kolonisation auf die besiedelten Räume, die sie zu „frühen Vorwegnahmen der heutigen EU-Ideale“ machten, als friedliche und leistungsfähige Vielvölkerregionen (Batschka, Banat, Schwäbische Türkei). Ulm als Ausgangsort der Ulmer Schachteln, mit denen die Migranten ab 1712 die Donau abwärts schifften, hat sich die Patenschaft über die Donauschwaben mit auf die Fahnen geschrieben und feiert ab Mai 2012 drei Jahrhunderte Ostmigration – die Ulmer Schachteln sind immer im Frühjahr losgefahren, wenn der Wasserstand der Donau entsprechend hoch war.

Über die Ausstellung hinausgedacht

Die Ausstellung fragt aber auch danach, wie mit dem gemeinsam geschaffenen Erbe der Zielräume der Migranten künftig umgegangen werden soll. Überhaupt will die Ausstellung vor allem Fragen aufwerfen: „Blühende Kultur oder barbarische Verwüstung?“ bezüglich der Türkenherrschaft, „Faulender Morast oder üppige Weiden?“ bezüglich der Landschaft, „Schwabenzüge als Legende“ bezüglich der Ansiedlung, „Gewinn oder Verlust?“ und für wen was, bezüglich der Ansiedlungsfolgen, „Mit einem Bündel gekommen?“ betreffs der Sicht der oft überrumpelten und brüskierten Alteingesessenen usw. Und nach einer achtteiligen Fragenfolge zur Ansiedlung folgt eine zehnteilige Problematikfolge bezüglich der Effekte der Ansiedlung bis heute, etwa in den Bereichen Weinbau, Bergbaukultur, Kirchenbau, Architektur und Urbanismus, Landschaftsgestaltung, Orgelbau, Festefeiern usw.

Dazu kommt ein ausführlicher wissenschaftlicher Studienkatalog und für jeden der acht Ausstellungsstandorte eigene Vernissagen mit eigenen Plakaten in der jeweiligen Landessprache, Katalogen, Flyern und sonstigen Bewerbungen des Events, museumspädagogischen Programmpunkten sowie den schon erwähnten kurzen touristischen Angeboten von „Routes to the Roots“, mit denen die Ausstellungsinhalte jeweils ortsspezifisch illustriert bzw. vertieft werden können.

Die Museen sind dabei angehalten, auch für entsprechende Reise- bzw. Städteführer, möglichst und wie landschaftsüblich: mehrsprachig, zu sorgen. Besuche in multiethnischen Dörfern werden ausdrücklich empfohlen, gelegentlich mit Weinproben oder Speisen und Spezialitäten der dort lebenden Völkerschaften. So soll u. a. auch die Fahrt „in die alte Heimat“ zu einer – zumindest teilweisen – Kultur- und Bildungsfahrt umgemodelt werden, wo selbst den Nachkommen der Donauschwaben Neues vermittelt oder eine Gegenwartssicht auf Altherkömmliches und vermeintlich allzu gut Bekanntes übermittelt werden kann.
Dieser Teil des Neuerschließens des Zielraums der 300-jährigen Migrationsgeschichte soll auch dazu beitragen, dass die Ausstellung über den Zeitraum, in dem sie geöffnet ist, hinauswirkt.