Fernweh, Heimweh und alle Zwischentöne

Zwei charmante Jugend-Kulturprojekte im Burzenland

Burzenland-Performance: Kann man Heimat tanzen?
Fotos: George Dumitriu

Märchen als Teil des Ethno-Puzzles

Zwei Sprachen, zwei Moderatorinnen: Heinke Fabritius und Petra Binder

Symbolische Schlussszene: Auf der Bühne sowie im Hintergrundfilm werden mit viel Elan die Berge gestürmt.

Kann man Heimat tanzen? Oder eine Bergtour? Oder „Nebel“, „Ruhe“, „gutes Essen“, „besonders Licht“, „Lächeln“, „Interkulturalität“? Ist Heimat ein Ort, ein Gefühl, ein Geruch, ein Gericht, eine Erinnerung, ein Puzzle aus allem? Kann man Heimat verlieren? Oder aufgeben, neu finden, wiederfinden, verraten, keine oder mehrere Heimaten haben?

Zwei Projekte nähern sich diesem Thema, das vor allem die deutsche Minderheit in und aus Rumänien seit der Wende und der großen Auswanderungswelle immer noch bewegt, auf unterschiedliche Art: das Jugendtheater „}ARABurzenLAND“ und der Doku-Film „DOR! Dor? Das Land, in dem ich geboren bin. HEIMATFREMDE.“

„Beide Projekte spielen in Kronstadt. Die Gegend ist multiethnisch. Das ist wichtig“, leitet Heinke Fabritius, Kulturreferentin für Siebenbürgen am Siebenbürgischen Museum in Gundelsheim, das gemeinsam mit Petra Antonia Binder vom Verein „Cu Timp Pentru Cultură“  durchgeführte, zweisprachig präsentierte Event ein. Der Film erlebt seine Rumänien-Premiere, vor wenigen Tagen wurde er erstmals in Gundelsheim gezeigt. Die Jugendtheater-Performance hat ihre Uraufführung an diesem 1. August im Bukarester Bauernmuseum. Im Vordergrund des Zwillingsprojekts steht die Wechselbeziehung zwischen Fernweh, Heimweh, Daheimsein und Fremdsein.  Willkommen geheißen werden die acht jugendlichen Hauptdarsteller,  Gäste und Organisatoren von Museumsdirektor Virgil Nițulescu. Ein Grußwort der Leiterin des Departements für Interethnische Beziehungen der Regierung Rumäniens (DRI), Enikö Lacziko, verliest stellvertretend Thomas Șindilariu.

Der Film: Jugendliche, Schüler und Schülerinnen aus Kronstädter Gymnasien, interviewen ältere Zeitzeugen oder fragen einander nach ihrem Verhältnis zur Heimat. Ist sie Vergangenheit, Zukunft, Flucht- oder Anziehungspunkt? Die Kamera führen zwei Berliner Studenten, die mit Siebenbürgen oder der deutschen Minderheit bislang keine Berührungspunkte hatten. Zwei Persönlichkeiten repräsentieren die ältere Generation: der nach Berlin ausgewanderte, aber im Sommer immer wieder für drei Monate nach Katzendorf zurückkehrende Regisseur Frieder Schuller, und Chorleiterin Ingeborg Acker aus Rosenau, die niemals weg wollte und sich in ihrer Entscheidung voll bestätigt sieht. Dazwischen die Stimmen der Schüler. Gedankenfragmente: Ist die Fremde wirklich fremd? Oder lockt sie mit dem Ausbruch aus dem Dorfgefängnis, der Abhängigkeit von den Eltern, mit neuen Chancen, Freiheit, Selbsterfahrung? Weggehen, um sich zu finden? Oder um dort das Glück zu suchen? Schuller sagt, früher war schon das Nachbardorf „fremd und weit weg“. Über die Traurigkeit des Fortgehens aus der Gemeinschaft wissen auch die Frauen des Handarbeitsclubs des Kronstädter Forums: Wenn die Jungvögel ausfliegen, bleiben die Eltern zurück im leeren Nest. „Dor“ umfasst all diese Nuancen aus Schmerz, Liebe und Melancholie - kann man das einfach mit Sehnsucht übersetzen, fragt Fabritius?

Die Performance: Hier steht das Burzenland im Mittelpunkt – ein Landstrich, „extrem pittoresk, an einem relativ kurzen Fluss, der auch nach dem Exodus der Siebenbürger Sachsen sein Parfüm bewahrt hat“, und das Flair multiethnischen Zusammenlebens, bemerkt Museumsdirektor Virgil Ni]ulescu. Doch wie ein Bühnenspiel um das Burzenland konzipieren, noch dazu in nur acht Tagen? Man muss es sich erstmal erfühlen, bevor man es darstellen kann. In den Museen Kronstadts, auf einer geführten Bergtour und durch Sagen und Märchen aus der Region. So beginnt auch der Tanz: Sieben Mädchen und ein Junge, schwarz gekleidet, kauern wie Berge reglos in sich zusammengesunken im Schatten des sonnengelben Scheinwerferlichts. Zaghaft erwacht eine Figur zum Leben. Wie ein Pflänzchen dreht und streckt sie ihre Glieder, erfühlt, berührt, erweckt der Reihe nach die anderen. Die Schatten beginnen zu tanzen, laufen, stampfen, zu psychedelischer Musik und Leinwand-Projektion: Ein Bilderregen aus Gemälden auf zerschlissener Leinwand, Landschaftsfotografien – Vergangenheit und Gegenwart. Füße stampfen Herztöne.  Hände flattern und berühren und vermengen sich im Schattenspiel. Münder rufen Worte, lesen, singen. Ein deutsches Schlaflied, eine Doina, ein Scherzlied vom Wauwau, dem Chow-Chow, in der Puszta. Märchen werden in mehreren Sprachen zu bunten Erzählteppichen gewoben. Schillernde Farbtupfen der Identität. Ein buntes Wirsinddieheimatpuzzle.
Das Licht geht an, der Saal leert sich und jeder presst ein Stück Burzenland an sein Herz und nimmt es mit nach Hause…