Für ein besseres Leben

Festival für Dokumentarfilm und Menschenrechte beginnt heute

Dieser junge Mann hat ein Vogelkrankenhaus eröffnet und setzt sich für Schwarzmilane ein. „All that breathes“ zeigt seine Geschichte.

Auszug aus Laura Poitras’ oscarnominiertem Dokumentarfilm „All the Beauty and the Bloodshed“

„Liebe, D-Mark und Tod“ bringt die Musik der türkischen Gastarbeiter in Deutschland auf die Leinwand.

In den letzten 16 Jahren hat das Festival für Dokumentarfilm und Menschenrechte „One World Romania” viele unangenehme Themen öffentlich behandelt und durch soziale und politische Debatten mit Experten, Filmemachern und Vertretern von Nichtregierungsorganisationen versucht, Zuschauer aus ihrer Komfortzone „herauszuziehen“. Bei jeder Auflage wird das Publikum eingeladen, durch den Ideenaustausch über die Probleme dieser Welt, über Menschenrechte und Würde nachzudenken und sich für ein besseres Leben – der anderen und somit für das eigene - einzusetzen. Filme über persönliche Geschichten weisen auf lokale, nationale oder sogar globale Probleme hin und bieten den Ausgangspunkt für Reflexion und Gründung von Gemeinschaften. Dutzende Filme – oscarnominierte, preisgekrönte oder Produktionen aufstrebender Regisseure – sind zwischen dem 31. März und dem 9. April in Bukarest zu sehen, ein Teil davon vom 10. bis zum 30. April online.

Das Hauptthema der Festspiele lautet diesmal „Für ein besseres Leben“ und wurde von den Kuratoren Anca Păunescu, mit einer reichen Erfahrung in der Vor-/Auswahl von Filmen für verschiedene internationale Dokumentarfilmfestivals in Europa und Andrei Tănăsescu, der u. a. mit Festivals wie der Berlinale, Venedig oder Toronto als Kurator mancher Sektionen zusammengearbeitet hat, erarbeitet. Sie haben Filme aus aller Welt und zu den unterschiedlichsten Themen, die anhand persönlicher Geschichten lokale, nationale oder sogar globale Probleme ansprechen, die uns aber alle angehen, ausgewählt. „Ein besseres Leben – das mag sich banal oder paradox anhören, ist es aber nicht. Bei der Auswahl der Filme hatten wir zwei Hauptideen: jeden beschäftigt das Thema eines besseren Lebens, unabhängig vom sozialen, historischen, kulturellen Kontext. Ohne solide Grundrechte und deren Einhaltung kann dieses bessere Leben allerdings nicht erreicht werden”, erklärt Păunescu. Freiheiten und Einschränkungen stören die harmonische Existenz, die der Mensch anstrebt, Wunden und Misshandlungen aller Art sind das Ergebnis. 

In fünf Sektionen wird der Widerstand unterschiedlicher Menschen oder Gruppen untersucht, die Narben der Geschichte in der Gegenwart und die Rolle der Arbeit im Alltag gezeigt. Aber auch der Beziehung zwischen Mensch und Natur wird viel Aufmerksamkeit geschenkt. Wie in den vergangenen Jahren werden Retrospektiven bedeutender Regisseure oder Institutionen angeboten. Heuer wird der Fokus auf ein persönliches, soziales Kino gelegt, das politisch engagiert ist. So wird das Werk des serbischen Regisseurs Želimir Žilnik behandelt, einem der bekanntesten Vertreter des jugoslawischen Schwarzen Films der 1960er und 1970er Jahre, sowie die Filme der libanesischen Filmemacherin Jocelyne Saab, eine der bedeutendsten Dokumentaristinnen der arabischen Welt. Auch die Tätigkeit der Bukarester Stiftung „Fundația Arte Vizuale“, die die turbulenten 90er Jahre des vergangenen Jahrhunderts in bewegten Bildern festgehalten hat, wird unter die Lupe genommen.

Oscarnominierte Filme

Die Filmfestspiele werden am Freitag, dem 31. März, um 20 Uhr, im Elvire Popesco-Kino, mit Laura Poitras’ neuester Dokumentation „All the Beauty and the Bloodshed” eröffnet. Der Streifen ist ein intimes Portrait der amerikanischen Fotografin Nan Goldin, eine der bedeutendsten des späten 20. Jahrhunderts. Er verfolgt den Kampf der Künstlerin und Aktivistin gegen die Milliardärsfamilie Sackler, deren Medikament Oxycontin als Auslöser der Opioidkrise in den USA gilt. „Die Familie Sackler hat sich mit ihrem Mäzenatentum in der Kunstwelt einen großen Namen gemacht, doch mit ihren Aktionen zwingt Nan Goldin die Universitätssammlungen und Museen wie den Louvre, die Tate Galerie, das Guggenheim und das Met, ihren Standpunkt zu überdenken“ steht in der Gesamtschau. Oscar-Preisträgerin Poitras gewann bei den Internationalen Filmfestspielen von Venedig den Hauptpreis des Festivals, den Goldenen Löwen, und wurde für den Oscar 2023 in der Kategorie Bester Dokumentarfilm nominiert.

Auch „All that Breathes“ ist im Rennen für den Oscar 2023 für die beste Dokumentation. Er wird in der OWR-Sparte „Alles, was atmet” gezeigt, die zur Reflexion über die Beziehung des Menschen zur Natur einlädt. Ohne ein gesundes Ökosystem kann das Leben nicht besser werden, unterstreichen die Kuratoren. Der Film, dessen Name die Benennung dieser Sektion inspirierte, zeigt die Geschichte zweier Brüder in Delhi, die ihr Leben dem Schutz des Schwarzmilans widmen, der von der rasanten Verschmutzung der indischen Hauptstadt bedroht ist. Der Konstanzer Kameramann Ben Bernhard nahm die suggestiven, poetischen Bilder im Vogelkrankenhaus in der indischen Hauptstadt für den  in Cannes und Sundance prämierten Streifen von Filmemacher Shaunak Sen auf. 

Abfälle überall

Der österreichische Filmemacher Nikolaus Geyrhalter hat die Kamera auf die Verbreitung menschlicher Abfälle bis in die entferntesten Winkel der Erde gerichtet und die verzweifelten Versuche, dem Problem Herr zu werden, beobachtet. Durch schöne Bilder von Stränden, Küsten, Bergen, Meeren, der Arktis oder aus dem Dschungel zeigt er, dass Mülltrennung und Recycling nicht die Lösung sind und konfrontiert uns in „Matter out of Place” eindringlich mit dem Müllproblem. Geyrhalter hat bereits die weltweite Nahrungsmittel-Verschwendung in „Unser Täglich Brot“ und die menschengemachten Bauschuttruinen in „Erde“ aufgezeigt.

Militarisierung der Polizei

Erschütternd ist auch Sierra Pettengills Dokumentarfilm „Riotsville”, ein Essay aus Archivmaterial, der der Geschichte der Militarisierung der US-Polizei nachgeht. Ende der 60er Jahre baute die US-Armee die Kulissenstadt Riotsville, um dort Einsätze gegen Demonstrierende zu trainieren. Gleichzeitig aber gab die Regierung an, dass das beste Mittel gegen Aufstände der Ausbau des Sozialstaats sei. Dieser Paradox ist hierzulande wenig bekannt und soll eben durch die Vorführung und Besprechung dieses Films die Augen öffnen helfen. 

Liebe, D-Mark und Tod

Die deutsche Produktion „Liebe, D-Mark und Tod” ist ein Dokument über die unabhängige, unbekannte Musikszene der türkischen Gastarbeiter in Deutschland ab den 1960er Jahren und über deren Enkelkinder. Ab den 1960er Jahren kamen Millionen Türken zur Arbeit nach Deutschland, sie arbeiteten am Fließband, hatten Heimweh und machten ihre eigenen Lieder. Cem Kayas Dokumentarfilmessay zeigt die türkische Populärkultur mit den wehmütigen Lieder der frühen Jahre und dem Hiphop der Nachwendezeit, die von der türkischen Gemeinschaft und deren Bedürfnissen getragen war. Der Film wurde bei mehreren Festivals zum Publikumsfavoriten.

Im Jahr 2008 hat die erste Auflage von One World Romania stattgefunden. Es war eine Replik des One World Festivals in Prag, das Vaclav Havel ins Leben gerufen hatte. Drei Jahre später gab es bereits Mini-Festivals in mehreren rumänischen Städten. Mittlerweile führt der OWR-Verein verschiedene Bildungsprogramme für Jugendliche und für Filmemacher durch und hat landesweit ein Netzwerk aufgebaut, in dessen Rahmen nicht-fiktionale Filme gezeigt und besprochen werden.

Alle Details zum Festival und den interessanten Filmen sind unter oneworld.ro zu finden.