Gemeinsam für ein soziales Europa

30-jähriges Jubiläum „Hilfe für Osteuropa“ in Hermannstadt gefeiert

Pfarrerin Christina Schnepel (Entwicklung und Partnerschaft Europa und USA – „Hoffnung für Osteuropa“) und Pétur Thorsteinsson (Diakonie Württemberg) | Foto: Sandor Patachi

Teilnehmer der Tagung

Eine bekannte Wirtschaftsweisheit besagt, dass man einem Menschen lieber das Fischen beibringen sollte, statt ihm zwei Fische zu geben, weil ihm dadurch mehr geholfen wäre. Was aber in dieser mit Sicherheit gültigen und wahren Überlegung fehlt, sind die nötigen Finanzen, die das Fischen erst ermöglichen. Umsonst weiß der Mensch, was er tun muss, wenn er sich weder Angelrute noch Schnur noch Köder leisten kann...

Vor 30 Jahren wurde von verschiedenen evangelischen Landeskirchen und diakonischen Werken in Deutschland das Aktionsprojekt „Hoffnung für Osteuropa“ ins Leben gerufen. „Die Aktion Hoffnung für Osteuropa unterstützt evangelische und ökumenische Partner in Ländern wie Bosnien-Herzegowina, Georgien, Griechenland, Polen, Rumänien, Russland, Serbien, der Slowakei und der Ukraine“, kann man der Zielsetzung des Hilfeprojekts entnehmen, dabei soll der „Einsatz für alte Menschen, Menschen mit Behinderungen, Roma, Flüchtlinge, Kinder aus Kriegsgebieten der Ukraine und Opfer von Menschenhandel“ ermöglicht werden.

Am 11. und 12. Oktober 2023 wurde von Vertretern des Hilfswerks, Vertretern der in Rumänien ansässigen Partner  sowie Experten aus dem Bereich der Sozialhilfe unter dem Motto: „Vom Hilfstransport zur Social Innovation?“ in der Evangelischen Akademie Siebenbürgen in Hermannstadt/Sibiu dieses 30-jährige Jubiläum gewürdigt. Dabei sollte der Blick nicht nur auf die Vergangenheit und die erfolgreichen Projekte gerichtet sein, sondern auch eine eventuelle Neuorientierung ausgehend von den Bedürfnissen vor Ort gewagt werden. Mit seiner 30-jährigen Aktivität ist „Hoffnung für Osteuropa“ Teil einer Landschaft mit sozial aktiven, kirchlich-diakonischen Trägern und Nichtregierungs-Organisationen. Durch Knowhow-Transfer, fachlichen Austausch, persönliche Begegnungen, finanzielle und materielle Förderung konnten zwischenzeitlich soziale, diakonische und institutionelle Strukturen entwickelt und etabliert werden. So konnten Heime für Menschen mit Behinderung, Senioren, Erwachsenenhospize sowie das erste Kinderhospiz  Rumäniens und mehrere Angebote für Schülerinnen und Schüler aus Roma-Vierteln ins Leben gerufen werden. Durch die Strahlkraft dieser Leuchtturmprojekte ist es gelungen,  auf allen staatlichen Ebenen ein erstes Bewusstsein für Verantwortung zur Übernahme dieser Aufgaben zu wecken, auch wenn die finanziellen Kapazitäten des Staates eine gelungene Umsetzung bisher nur ansatzweise ermöglichen.  

Einleitend bemerkte Bischof Reinhart Guib (Evangelische Kirche A.B. in Rumänien): „Wir haben erlebt, dass Gott uns hilft. Not wurde gelindert und ein menschenwürdiges Leben ermöglicht“, um mit Blick auf die Verantwortlichen der deutschen kirchlich-diakonischen Hilfsorganisation festzuhalten: „Sie haben Hoffnung in unser Herz gebracht und uns Hilfe zur Selbsthilfe gelehrt“.

Thomas Kraft (Evangelische Kirche im Rheinland) und Pétur Thorsteinsson (Diakonie Württemberg), Sprecher von „Hoffnung für Osteuropa“ auf Bundesebene, äußerten als Wunsch für die Zukunft, dass es darum gehe, auf dem Weg zu einem sozialen Europa Gemeinsamkeiten zu finden und Brücken zu bauen zwischen Ost und West, zwischen Süd und Nord. Hier sei es wichtig, sich gegenseitig wahrzunehmen, sich zu begegnen, gemeinsam unterwegs zu sein und gemeinsam zu lernen. 

Der Historiker Dr. Rudolf Gräf wies im Rahmen eines Vortrags mit Blick auf die Geschichte Rumäniens und die Versorgung von Menschen in sozialen Notlagen darauf hin, wie wichtig es ist, Vertrauen in eine gute Zukunft zu haben. „Man hat gesehen, wenn die Hoffnung nicht existiert, werden Menschen unwürdig behandelt“. Die nach der Diktatur wiedergewonnene Freiheit gelte es jetzt zu nutzen und sich der damit verbundenen Pflichten und Anstrengungen eines jeden zu erinnern. 

Henry von Bose, württembergischer evangelischer Pfarrer im Ruhestand und erster Geschäftsführer von „Hoffnung für Osteuropa“, bezeichnete den gemeinsamen europäischen Weg vor dem Hintergrund sozialer Ungleichheiten so: „Anders Sein ist auch ein Kennzeichen des Lebens, weil es darum geht, die Würde des anderen zu bewahren, auf ihn zu achten und so soziale Ausgrenzung zu bekämpfen“. Und das gehe eben nur miteinander und sei auch keine Einbahnstraße. 

Pfarrer Gerhard Wagner berichtete aus Perspektive der Diakonie Karlsburg/Alba-Iulia. „Als wir Diakonia als Verein gegründet haben, wussten wir nicht einmal, wie arm wir sind“. Entscheidend war dabei die Zusammenarbeit mit deutschen Sozialpartnern, die die Notwendigkeit des Handelns in Rumänien erkannt hatten: „Sie öffneten uns die Augen für Missstände, wir haben ja mit denen gelebt und sind oft unmenschlich mit den Betreuten umgegangen. Sie zeigten Lösungen und brachten Geld, Methoden und Wissen“. Auch Friedrich Gunesch, Hauptanwalt der Evangelischen Kirche A. B. in Rumänien, lobte die gute langjährige Verbindung zu „Hoffnung für Osteuropa“: „Wir setzen jetzt auf Innovation in der Projektarbeit und mehr Vernetzung mit lokalen Partnern. Diakonie und Kirche können die Zukunft nur gemeinsam gestalten.“

Am Nachmittag des ersten Tages stellten Projektverantwortliche aus Rumänien und ihre deutschen Partner anhand der Umsetzung sozialer Hilfen vor Ort neben praktischen Erfahrungen auch Visionen und Herausforderungen dar. Diese wurden in moderierten Gesprächsrunden von dem Hintergrund der aktuellen Sozialhilfe in Rumänien gemeinsam reflektiert. Am zweiten Tag ging es im Spiegel der reflektierten Erfahrungen in Workshops da-rum, wie Begegnungen in Zukunft aussehen können und welche Rollen die jeweiligen Partner dabei spielen. Man fragte sich, was Innovation für die zukünftige Zusammenarbeit heißen kann und wie bewährte Beteiligungsformen auch in der rumänischen Projektarbeit angewandt und wirksam werden können. Auch hier wurde deutlich, dass die Arbeit von „Hoffnung für Osteuropa“ ein wichtiger Baustein europäischer Völkerverständigung und Verbindung ist und jetzt die nachwachsenden Generationen eingebunden werden müssen, damit die Zusammenarbeit auch in dieser Hinsicht Zukunft hat.

Auf das Jubiläum zurückblickend kann man sagen, dass Sozialinitiativen in Rumänien inzwischen nicht nur selber „fischen“ können, sondern auch Mittel und Wege eruiert und implementiert haben, um dieses anderen zu ermöglichen und entsprechend den Bedürfnissen vor Ort zu gestalten, auch wenn manchmal „Angelschnur“ und „Köder“ vielleicht improvisiert werden müssen. Trotzdem bleibt eine Partnerschaft mit dem Hilfswerk „Hoffnung für Osteuropa“ dringend notwendig, um im Dialog zu bleiben und gemeinsam an dem Ideal eines sozialbewussten Europas zu arbeiten.