Hehrer Traum oder gemeinsamer Plan?

„Ein Plädoyer für Siebenbürgen“: Vortrag mit Debatte zum Thema Nachhaltigkeit  am 20. Juli im Forumshaus

Florierende Dörfer, intakte Natur: Mit vereinten Kräften könnte dieses Ziel erreicht werden. | Foto: Veronika Zwing

Siebenbürgen, Land des Segens – doch wie lange noch? Wird der Kampf gegen Armut auf dem Dorf, gegen die Abwanderung ins Ausland, für moderne Infrastruktur und erreichbare Arbeitsplätze auf Kosten der einzigartigen Landschaft, der beispiellosen Biodiversität und vielleicht sogar der siebenbürgisch-sächsischen Kultur, Gemeinschaft und Identität geführt werden müssen? Oder gibt es Alternativen, die alte und neue Bewohner, einschließlich der Siebenbürger Sachsen „hüben und drüben“, zusammen entwickeln können? Spinnerei, ein hehrer Traum – oder Zeit, endlich die Ärmel hochzukrempeln?

Alfred Theil, gebürtiger Schäßburger, Gründer und Vorsitzender des Vereins „Nachhaltig Handeln e.V.“ in Bubenreuth, Deutschland, wagt es, diesen Traum zu träumen: Am 4. Februar dieses Jahres hat er in der ADZ zur Gründung einer länderübergreifenden Diskussionsplattform zum Thema Nachhaltigkeit in Siebenbürgen aufgefordert und darin Mitstreiter und Gesprächspartner „drüben wie hüben“ eingeladen, gemeinsam konkrete Konzepte als Zukunftsperspektive zu entwickeln. Zuvor hatte er im Rahmen des Siebenbürgischen Kultursommers 2022 auf zwei Veranstaltungen in Schäßburg/Sighișoara und Hermannstadt/Sibiu Nachhaltigkeit als Handlungsprinzip vorgestellt, „das Aspekte von Naturschutz und Ökologie mit der Idee der sozialen Gerechtigkeit (Chancengleichheit, Generationengerechtigkeit) und der Wirtschaftlichkeit mit Bedacht auf die Regeneration natürlicher Ressourcen vereint“.

Nun geht das Vorhaben in die nächste Runde:  Am Donnerstag, den 20. Juli (18 Uhr) wird Theil im Spiegelsaal des Forumshauses Hermannstadt über Nachhaltigkeit in Siebenbürgen referieren. „Im Vortrag möchte ich das Thema etwas breiter betrachten und neben Ökologie, Soziales und Ökonomie auch die Zukunft der siebenbürgisch-sächsischen Kultur, Natur und Naturschutz, Nachbarschaftshilfe, Innovationen, Bildung und Ortsentwicklung in Siebenbürgen einbeziehen.“ Einen Fachvortrag zum Thema „Offene Landschaft –  Auswirkungen von industrieller Landwirtschaft auf die Kulturlandschaft im Harbachtal“ hält die Landschaftsarchitektin Viktoria Luft. Anschließend findet eine Diskussionsrunde statt, bei der auch Aspekte wie Identitätsformen, Gesellschaft, Sprache, Region, Religion, Beruf und Naturbewusstsein sowie Vorbilder aus der Kindheit einfließen können, motiviert Theil.

Kreative Herausforderung für alle

Zum Mitmachen oder Mitdiskutieren darf sich jeder angesprochen fühlen, denn nachhaltiges Handeln spielt überall eine Rolle: im Alltag, in der Waldwirtschaft, im Gemeindeleben, im Denkmalschutz, im Energieverbrauch, in der Mobilität, im Gartenbau, in der Bildung, im Tourismus, bei Innovationen und Unternehmensgründungen, so Theil. Und sie hat viele Gesichter: Von persönlichem Verhalten wie dem Kauf lokaler Produkte, dem kreativen Upcyceln alter Klamotten, Fahr- oder Nutzungsgemeinschaften, Kleider- und Büchertauschbörsen, über Initativen wie etwa das „Repair-Cafe“ des Forumsclubs, das kürzlich im Keller des Forumssitzes in Hermannstadt stattfand, um defekten Alltagsgeräten wieder neues Leben einzuhauchen (die ADZ hat berichtet)... 

Nachhaltiges Denken ist eine kreative Herausforderung für alle, wobei auch der Einzelne ziemlich viel tun kann. Und gemeinsam natürlich noch mehr! Wichtig ist die Vernetzung Gleichgesinnter zum Austausch von Ideen, zur gegenseitigen Motivation, zur Gründung lokaler Initiativen, als Anregung für andere zum Mitmachen – oder auch gegen das Gefühl, wie ein Dummer allein gegen Windmühlen zu kämpfen...

Warum Siebenbürgen?

„Siebenbürgen ist dank seiner Naturschönheit, seiner reichen Geschichte, des friedlichen Zusammenlebens in multikulturellen Dorfgemeinschaften und der starken authentischen Bindungen zwischen Mensch und Natur eine einzigartige Kulturlandschaft. Diese Gegend verdient eine Zukunft zum Vorteil von Mensch und Natur.“ Die Aussage stammt von den Autoren einer 2017 an der Leuphana Universität Lüneburg erstellten Studie, an die hier als Augenöffner und Diskussionsstoff erinnert werden soll (ADZ-Online, 14. Juli 2017: „Die Gemeinschaft macht den Unterschied“). Für die Studie wurden 17 Organisationen und Personen vor Ort – soziale und kirchliche Einrichtungen, NGOs, Förster, Lokalbehörden, Minderheitenvertretungen etc. – befragt. „Unser Ziel ist es, in Siebenbürgen Debatten anzustoßen“, motivierten Jörn Fischer, Andra Ioana Horcea-Milcu, Tibor Hartel, Jan Hanspach und Friederike Mikulcak von der Arbeitsgruppe für nachhaltige Landnutzung . Ihre Studie „Die Zukunft von Mensch und Natur in Südsiebenbürgen“ stellt vier fiktive Szenarien vor.

Zauberwort: Gemeinsam!

In  diesen wird schnell deutlich, dass nur mit vereinten Kräften Ergebnisse erzielt werden können, die auch der Lokalbevölkerung nützen und gleichzeitig das typische Landschaftsbild sowie die Biodiversität langfristig erhalten können:

In Szenario 1 „Wohlstand und Wachstum“ wird die wirtschaftliche Entwicklung im ländlichen Raum stark gefördert, die Weltmärkte schaffen ein günstiges Investitionsklima, es gibt kein Brachland  und keine Armut mehr, die Straßen sind asphaltiert, Schulen, Kindergärten und Arztpraxen sind vorhanden – doch geht dies alles auf Kosten der Artenvielfalt und des traditionellen Charakters der Landschaft... 

In Szenario 2 „Unser Land – deren Wohlstand“ besteht große Nachfrage nach land- und forstwirtschaftlichen Erzeugnissen, doch weil Kleinbauern nicht gefördert werden, drängen Investoren von außen in die Region. Nun beuten industrielle Großbetriebe Boden und Wälder aus. Die Einheimischen gehen leer aus... 

In Szenario 3 „Gleichgewicht schafft Schönheit“ wird Öko-Landbau massiv gefördert, doch nur für Betriebe, die die strengen Naturschutzauflagen einhalten können. Die Menschen sind gezwungen, gemeinsame Initiativen zu entwickeln. Das Brunnenwasser bleibt sauber, die Landschaft intakt, Dorftourismus und traditionelle Feste ziehen Touristen an, die Armut geht stark zurück... 

Um „Verpasste Chancen“ geht es hingegen in Szenario 4: Auch hier werden großzügige Subventionen an Biobauern vergeben, doch schaffen es die Menschen nicht, sich zusammenzuschließen, zu groß sind Misstrauen, Streit und Korruption. So werden Investoren aus dem Ausland auf die fruchtbaren Böden und die billigen Arbeitskräfte aufmerksam und streichen die Förderungen ein. Die Jugend wandert ab, die Weiden verwildern, die Artenvielfalt rund um die großen Ökofarmen geht verloren...

Quo vadis, Siebenbürgen?

Und wohin entwickelt sich Siebenbürgen wirklich? Eine Prognose ist schwierig, aber es gibt erwähnenswerte Vorzeigebeispiele, die durchaus Schule machen könnten: Die Naturkläranlage in Deutsch-Weißkirch/Viscri, die der Gemeinde keinen Pfennig Geld kostet; die dortigen Infotafeln für nachhaltiges Bauen und Restaurieren von Dorfhäusern; die zahlreichen Initiativen und Workshops verschiedener Vereine und Architekten in der Region, die traditionelle Methoden zur Instandsetzung lokaler Bausubstanz mit natürlichen Materialien fördern und Freiwillige motivieren – allen voran „Ambulanz für Monumente“, 2020 von Europa Nostra prämiert. Die Via Transilvanica als Weitwanderweg Rumäniens zur Unterstützung von nachhaltigem Tourismus, dieses Jahr ebenfalls mit dem renommierten Europa-Nostra-Kulturerbepreis ausgezeichnet. Die Preise erhöhen Popularität und Bekanntheitsgrad solcher Initiativen, auch im Ausland, doch hierzulande gibt es immer noch massiven Aufklärungsbedarf in der Bevölkerung. Aktionsfelder hierfür könnten sein: Pfadfinderprojekte, Schülerwettbewerbe, Theaterstücke, Jugendliteratur, eingebettet in „Schule anders“-Projektwochen, Sachsentreffen oder Haferlandwoche... Oder warum nicht gleich ein Festival der Nachhaltigkeit, vielleicht in einer schönen Kirchenburg? Ideen gäbe es genug, um den Traum gemeinsam weiterzuträumen – oder auch, die Ärmel hochzukrempeln.