Herumwursteln ohne Strategie und Vision

ADZ-Interview mit Dr. Paul Jürgen Porr, Chefarzt der Abteilung für Innere Medizin im Hermannstädter Universitätsklinikum und Kreisrat

Die katastrophale Lage im rumänischen Gesundheitswesen verursacht fast täglich Schlagzeilen. Der Kreis Hermannstadt/Sibiu macht da keine Ausnahme. Die Situation des Hermannstädter Kreiskrankenhauses und die Lage allgemein kennt Dr. Paul Jürgen Porr sehr gut. Der Vorsitzende des Siebenbürgenforums ist Chefarzt der Abteilung für Innere Medizin im Hermannstädter Universitätsklinikum, Dozent an der Medizinfakultät der Lucian-Blaga-Universität und Kreisrat. Mit Dr. Porr sprach ADZ-Redakteurin Hannelore Baier.   


In der Kreisratssitzung Ende April wurde das Budget der Krankenhäuser für die ersten fünf Monate dieses Jahres angenommen. Wie lang werden die Mittel reichen?

Das ist schwer zu sagen. Diese Budget-Verabschiedung war eine Parodie. Gestimmt wurde über Ziffern, von denen kein Mensch weiß, ob die gezahlt werden oder nicht. Das Budget der Spitäler, einschließlich des Kreiskrankenhauses, kommt von der Kreiskrankenkasse. Der Kreisrat hat diesbezüglich nichts zu bestimmen. Er segnet irgendwelche Ziffern ab, die ihm vorgelegt werden. Im vorigen Jahr war es eine Summe, die schließlich nicht gezahlt wurde. Zurzeit – und wir sind im Mai – hat die Krankenkasse an das Kreiskrankenhaus noch etwa 8 Millionen Lei zu überweisen, für Dienste die vertraglich für das vorige Jahr vereinbart worden waren, geleistet und von der Krankenkasse kontrolliert wurden. Das sind Schulden, die die Krankenkasse dem Spital gegenüber hat. 

Als man auf Landesebene feststellte, dass es keine Mittel mehr gibt, wurde mit allen möglichen Tricks versucht, die Zahlungen nicht zu tätigen. Zum Beispiel ist im letzten Trimester kein Zusatzprotokoll mehr zum Vertrag zwischen Krankenkasse und Kreiskrankenhaus unterschrieben worden, weil das einfach von der Krankenkasse verweigert wurde – wobei es schon fast unmöglich ist, aufgrund von derartigen trimestriellen Zusatzprotokollen zu planen und zu arbeiten. Von Oktober bis Dezember haben wir also patriotischen Arbeitsdienst geleistet, denn jetzt heißt es, wie sollen sie bezahlen, wo es doch keine Verlängerung des Vertrags gab! 

Im Vorjahr waren es etwas über sieben Millionen Lei, die das Kreiskankenhaus monatlich von der Krankenkasse vertraglich erhalten sollte. Ab Januar wurden nur noch 5,2 Millionen monatlich gebilligt. Warum nicht 1,6 oder 6,1? Für diese monatlich 5,2 Millionen Lei wurde nun ein Vertrag unterschrieben, aber sicher ist es nicht, ob diese auch überwiesen werden. 

Ganz wenig Mittel – unter fünf Prozent – kommen über verschiedene Programme des Gesundheitsministeriums. Die laufen auch weiterhin über das Ministerium, obwohl die Krankenhäuser dem Ministerium nicht mehr unterstellt sind. Dergleichen Programme sind zum Beispiel jene für AIDS-, Diabetes-, chronische-Hepatitis- oder Krebskranke. Und da sind ebenfalls Schwierigkeiten aufgetaucht, denn das Ministerium hat kein Geld mehr, um diese Mittel zu bezahlen.

Das Kreiskrankenhaus ist nun dem Kreisrat unterstellt. Kann der nicht aushelfen bei den finanziellen Engpässen? 

Was der Kreisrat finanziert, ist das, wofür er auch bisher aufkam, als das Kreiskrankenhaus ihm noch nicht unterstellt war, d. h. Reparaturen usw. an den Gebäuden, die staatlich sind und wo der Kreisrat „Eigentümer“ ist. Der Kreisrat kann weder für Medikamente noch für Gehälter Mittel bereitstellen – hat aber die Verantwortung für das Management. Es ist also eine Pseudo-Autonomie oder -Dezentralisierung. Wir hängen am Tropf der Krankenkasse – was an sich normal ist, bloß hat die Kreiskrankenkasse kein Geld, um die Dienste zu bezahlen, weil sie ihrerseits wenig Mittel aus der Landeskrankenkasse bekommt. Was bei der letzten Kreisratssitzung gemacht wurde, war eine pseudo-demokratische Übung. Fakt ist, es wurde über Ziffern geredet, von denen niemand weiß, was sie genau darstellen und ob sie eingehalten werden. Aber alle sind einverstanden und heben die Hand für das Budget des Kreiskrankenhauses, da man ja dafür verantwortlich ist.

Wieso hat die Krankenkasse kein Geld, wenn von unseren Löhnen Krankenversicherungsbeiträge abgeführt werden?

Meiner Ansicht nach haben wir es mit einer klaren Zweckentfremdung dieser Mittel zu tun: Die Beiträge werden nicht direkt an die Krankenkasse überwiesen, sondern gehen an das Finanzministerium und dieses stellt der Landeskrankenkasse Summen zur Verfügung, die weit geringer sind als die eingesammelten (bis zu 30 Prozent). Das ist der Hauptgrund der chronischen Unterfinanzierung unseres Gesundheitswesens. Die Landeskasse verteilt die erhaltene Summe an 41 Landeskreise und zieht dabei nicht in Betracht, dass in Universitätskliniken „teurere“ Medizin betrieben wird, d. h. komplizierte Eingriffe mit teurer Nachbehandlung. Im Kreis Vaslui, zum Beispiel, werden keine Organtransplantationen gemacht und dementsprechend hat die dortige Krankenkasse relativ mehr Geld.  

Die Kreiskrankenkassen haben dann ihrerseits „eigene“ Vergabekriterien, wobei der  politische Faktor eine bedeutende Rolle spielt. Der vorherige Manager des Kreiskrankenhauses, der PDL-Mitglied ist, rief den Präfekten an und sagte ihm, er brauche Geld. Der Präfekt hat dann bei der Kreiskrankenkasse angerufen und nach zwei Tagen waren Mittel da, um das Dringendste kaufen oder bezahlen zu können. Jetzt haben wir einen politisch unabhängigen Manager und alle gucken an die Decke, wenn er Geld verlangt. Es ist ein deutlicher Boykott. Es wird getan, als ob es sich um das Krankenhaus des Direktors oder des Kreisratsvorsitzenden handelt und nicht um das Hemannstädter Kreiskrankenhaus, das für alle da ist.

Ein Projekt des Gesundheitsministeriums sah vor, dass das TBC-Spital und das Psychiatriekrankenhaus mit dem Kreiskrankenhaus zusammengelegt werden. Könnte dadurch die Effizienz gesteigert werden? 

Ein Steckenpferd des Gesundheitsministeriums und der derzeitigen Regierung ist, Betten und Spitäler zu reduzieren – ohne die Lage vor Ort zu kennen. In vielen Fällen geschieht das zu Recht, denn zwei Krankenhäuser in zwei sehr nahegelegenen Ortschaften sind tatsächlich überflüssig. Aber beschlossen worden war auch die Umwandlung des Spitals in Agnetheln/Agnita in ein Altenheim. Da gibt es bereits zwei Altenheime und als Mitglied der Sozialkommission des Kreisrates weiß ich, dass in beiden Plätze frei sind. Geplant war also, weitere 100 Altenheimplätze zu schaffen und das gesamte Harbachtal ohne Krankenhaus zu lassen. Die Kranken hätten nach Hermannstadt, Mediasch, Schäßburg oder Fogarasch fahren müssen, wobei zwei der Ortschaften in anderen Kreisen liegen. Zum Glück konnte dieses Vorhaben verhindert werden.

Genauso unsinnig ist die geplante Zusammenlegung in Hermannstadt. Das Kreiskrankenhaus ist schon riesig mit über 1000 Betten. Wenn noch zwei Spitäler dazukommen, wird es ein Mammut-Spital. Das bestehende Kreiskrankenhaus ist schon schwer zu managen, weil die Abteilungen in zahlreichen Gebäuden untergebracht sind, davon einige ziemlich weit voneinander. Das älteste Gebäude ist über 150 Jahre alt, dort kann man nie europäische Standards einführen, d. h. Einzelzimmer, jedes mit Nasszelle, usw. Diese Zimmer sind sechs Meter hoch und schon thermisch absolut ineffizient. Falsche Decken einziehen bringt nichts, weil die Fenster auch fast so hoch sind. Es würde eines neuen Gebäudes bedürfen, in dem alle Abteilungen untergebracht sind, dann kann man von Effizienz sprechen.

Eine Kostensenkung oder Effizienzsteigerung kann mittels Zusammenlegen dieses Krankenhauses mit weiteren zwei Spitälern nicht erzielt werden. Das Psychiatriekrankenhaus ist ebenfalls ein großes Spital. Es wurde auch in der k.u.k.-Zeit gebaut, war seinerzeit so groß wie das Bürgerspital und damals das größte Nervenspital Südosteuropas. Überall in der Welt, auch in Uni-Städten, gibt es Kliniken mit Monoprofil. Ein solches ist in Hermannstadt das Lungenspital, wo auch die TBC-Fälle behandelt werden. Da wäre es vom medizinischem Standpunkt her besser, diese nicht in das Kreiskrankenhaus zu verlegen.

Das Zusammenlegen wäre aber in diesem „Reformprozess“ nur der erste Schritt, denn nachher wird dann festgestellt, dass es zu viele Betten gibt. Hat man dann Betten gestrichen, wird festgestellt, dass es zu viele Ärzte und Krankenschwestern gibt und streicht Posten. Der Grund ist also zu sparen, aber es wird an der absolut falschen Ecke gespart.

Geht es beim Zusammenlegen nicht auch um die Akkreditierung?

Die Akkreditierung der Krankenhäuser ist eine Sache, die es weltweit gibt, die in Rumänien aber auf originelle Weise angewandt wird. Das Kreiskrankenhaus Hermannstadt passt in keine der an der Dâmbovi]a festgelegten Kategorien. Für Kategorie I fehlt die kardio-vaskuläre Chirurgie – die es wahrscheinlich im nächsten Jahr im neuen Gebäude geben wird, welches auf dem Gelände des Krankenhauses entsteht. Kategorie II kann es nicht beantragen, denn es hat nicht alle Profile. Schnell in ein paar Salons ein „Kinderspital“ einrichten, macht keinen Sinn, wenn es 50 Meter entfernt ein Kinderspital gibt. In Kategorie III passt in etwa das Krankenhaus in Mediasch – aber das Hermannstädter Kreiskrankenhaus ist Uni-Klinik und Notfallkrankenhaus. Kategorie IV wäre etwa das Spital in Heltau/Cisn²die und V sind die Altenpflegeheime. 

Wir haben die Selbstevaluierung für Kategorie II gemacht – der das Kreiskrankenhaus entspricht, selbst wenn es nicht alle Profile hat. Aber die besitzt kein Krankenhaus, nicht mal das berühmte Klinikum Fundeni/Bukarest. Die Kriterien wurden so festgelegt, dass die Krankenhäuser möglichst tief eingestuft werden, denn desto höher die Kategorie, desto mehr Geld erhält es von der Krankenkasse. Nach Auffassung des Gesundheitsministeriums sollten alle in die untersten beiden Kategorien gehören. Es ist kriminell, was zur Zeit im hiesigen Gesundheitswesen passiert.

Eine Reform wäre aber nötig ...

Absolut. Was aber seit 20 Jahren als Reform angepriesen wird, ist ein Herumwursteln ohne Strategie und Vision. Mit der Gesundheitsreform haben auch andere Staaten schlechte Erfahrungen gemacht und haben ihre Probleme, aber in Rumänien geht es seit Jahren nur bergab. Leider. In meinem schlimmsten Albtraum hätte ich mir nicht vorstellen können, dass wir 20 Jahre nach der politischen Wende in einer solchen finanziellen Misere arbeiten werden müssen.

Machen die privaten Krankenhäuser den staatlichen da nicht Konkurrenz, denn sie werden ja auch von der Krankenkasse finanziert?

Sicher. Viele private Krankenhäuser bekommen mehr Geld als die staatlichen. Aber nicht jeder Patient kann es sich leisten, in ein privates Spital zu gehen, weil der Eigenbeitrag doch sehr hoch liegt.

Die Unterfinanzierung führt sodann dazu, dass die staatlichen Krankenhäuser an Personalmangel leiden ...

Allein in diesem Jahr sind Tausende Ärzte ins Ausland gegangen. Viele unserer Absolventen können die Lizenzprüfung kaum erwarten und schon sind sie weg. Sie sind bestens informiert über die Bedingungen in Neuseeland, in Kanada, die in den englischsprachigen Raum wollen, haben alle den Toeffl-Test abgelegt, andere das Deutsche Sprachdiplom. Die Ausbildung der Ärzte ist ein sehr gutes Beispiel für „effizientes Denken“ in Rumänien und sein Gesundheitssystem: 12 Jahre Schulausbildung, danach 6 Jahre Medizinstudium und 5 Jahre Facharztausbildung werden vom Staat bezahlt, und nachher geht der Arzt nach Philadelphia oder München, weil der Staat an der falschen Stelle spart. Ähnlich sieht die Situation beim Pflegepersonal aus.

Könnte eine Kooperation zwischen privaten und staatlichen Krankenhäusern zur Verbesserung der Krankenbetreuung führen?

Das wollen wir mit dem neuen Zentrum für Imagistik und kardio-vaskuläre Chirurgie tun, das entsteht. Es ist eine private Einrichtung von „Polisano“, steht aber auf dem Gelände des Krankenhauses, d. h. der Stadt, und wir hoffen, dass die Patienten des Kreiskrankenhauses da kostenlos Zugang haben werden, die derzeit für Herzoperationen nach Neumarkt oder Klausenburg fahren müssen.