Herzlich abwesend zum Frauentag

Kein Ciucă und kein Ciolacu – dafür das beste Buffet

Man kann ja darüber streiten, ob es diesen Weltfrauentag wirklich braucht: Es ist nett, ein Blümchen zu bekommen und wichtig, wenigstens einmal im Jahr das Thema Frauenrechte und Geschlechtergleichheit öffentlich aufzugreifen. Man wird für den 8. März mit großem Tamtam zu einem hochaufgehängten Event geladen, das gewichtige Organisationen und Botschaften unterstützen, und wo neben viel Blabla tatsächlich auch Experten einiges Interessante zu sagen haben. Oder, einiges Himmelschreiende? Wir kommen gleich noch darauf. Auf der Liste der illustren Redner: Premierminister Nicolae Ciucă (PNL), Kammerpräsident Marcel Ciolacu (PSD), und am Abend davor wurde in letzter Minute als Ersatz für Senatspräsidentin Alina Gorghiu (PNL) Familienministerin Gabriela Firea (PSD) angekündigt… die dann alle konsequent fehlten. Nur der Regierungschef schickte als Ersatz einen Staatssekretär, der ein politisch korrektes Statement verlas... Als einzige unter den angekündigten politischen „Ködern“ stellte sich Anca Dragu, Vorsitzende der Kommission für Menschenrechte im Senat, der Diskussion. 

Die Hälfte der Gesellschaft verloren?

Warum überhaupt der Kampf um Geschlechtergleichheit? Nun ja, weil alles andere himmelschreiend ungerecht wäre in einer Demokratie. Aber auch, weil es dumm wäre, auf die Leistung und Intelligenz der Hälfte der Bevölkerung zu verzichten, wie der deutsche Botschafter Peer Gebauer sinngemäß erklärt. Im Schnitt sind Frauen in Rumänien sogar besser ausgebildet als Männer, wie mehrere Redner betonen. Und die besseren Analysten, wie Studien angeblich bezeugen. Der Herrgott hat also Mann und Frau tatsächlich unterschiedlich erschaffen.

Warum sollte man dann Gleichstellung wollen, hinterfragt Soziologe Gelu Duminică listig. Und beantwortet sogleich die Frage, warum einschlägige Gesetzesvorschläge in den Schubladen der zuständigen Kammern verrotten, wie Anca Dragu zuvor anprangert hatte: „Angst haben sie, die Kerle!“ Verständlich, denn es ist ja nicht so, dass die Leistung der weiblichen Bevölkerungshälfte verloren wäre! Im Gegenteil: Sie opfert sich oft für die Familie auf, pflegt die Kinder, kümmert sich unentgeltlich um behinderte, kranke und altersschwache Angehörige, nimmt dafür kompromissbereit Billigjobs in Kauf. Kurzum, viele Frauen machen „selbstverständlich“, wonach man(n!) sich ganz gewiss nicht sehnt… 

Wer soll diese Kräfte ersetzen, wenn Frauen in Chefetagen, an Uni-Dekanaten oder im Senat herumturnen? Wo ist da der „Verlust“ für die Gesellschaft? Für jene, die jetzt entsetzt schlucken: das ist natürlich ironisch gemeint.

Und trotzdem müsste man gerechterweise auch fragen: Wo sind die Rechte der Männer, wenn es z. B. um die Verhinderung der Abtreibung des eigenen Kindes geht? Oder darum, dass Männer oft wie selbstverständlich in die Rolle des zahlenden, passiven Familienmitglieds gedrängt werden.

Könnte man diplomatischer kämpfen?

Gleichheit sollte man daher – aus Prinzip, aber auch aus diplomatischen Gründen – stets für beide Seiten fordern. Dann ließe sich das Thema auch besser verkaufen. Dann würden sich manche Männer nicht heimlich stöhnend wegdrehen und hoffen, der Frauentag sei bald vorbei. Gleichheit braucht es für viele: Geschlechter, Ethnien, körperlich Benachteiligte...

Mir persönlich stellt sich auch die Frage, ob es der Sache dienlich ist, die Forderung nach echten Frauenrechten mit der vehementen Einforderungen von Formalitäten, sprich weiblichen Attributen in der Sprache, zu verwässern. Anca Dragu betont, sie bestehe auf „senatoare“, „ministra“, „presedinta“ – für rumänische Ohren eher ungewohnt, wie sie selbst zugibt, die Herren Senatoren hätten darüber verhalten gelacht. Trennt die Sprache hier nicht etwas, was doch eigentlich gleich sein sollte? Betrachten weibliche Ärzte die Bezeichnung „doctorița“ dann als Recht oder als Beleidigung, weil Verniedlichung? Und dies in einem Land, in dem sich noch viele Frauen allen Alters freuen, mit „domnișoara“ angesprochen zu werden.

Die knallharte Wahrheit

Konzentrieren wir uns doch statt auf solche Eitelkeiten lieber auf die knallharte Wahrheit: Dragu zum Beispiel beklagt die Blockierung von Gesetzesvorlagen zu Frauenrechten in der Abgeordnetenkammer. Sie würden dort einfach in der Schublade liegenbleiben. Als Beispiele nennt sie die beabsichigte gesetzliche Festlegung eines Mindestalters für die Einwilligung seitens Minderjähriger zum Beischlaf. Sex mit unter 14-Jährigen gälte dann automatisch als Vergewaltigung und würde entsprechend geahndet. Auf die Frage nach der Ursache für diese Verschleppung druckst sie verlegen herum: Es gäbe da gewisse  „Interessen“...

Duminică beantwortet die Frage unverblümt: Zahlreiche Abgeordnete seien wegen sexueller Beziehungen zu Minderjährigen angeklagt. Einigen von ihnen drohe der Knast, wenn das Gesetz zum Greifen käme. Wer hätte also Interesse daran? 

Auch in der Vorargumentation seien seltsame Argumente vorgebracht worden, amüsiert sich Duminică, selbst Angehöriger der Roma-Minderheit: Etwa, ob man mit so einem Gesetz nicht die Roma-Tradition der „Früh-Ehe“ verletze? 

Das andere verschleppte Gesetz, so Dragu, sei die Verpflichtung zu Frauenquoten in der lokalen wie zentralen Verwaltung sowie in staatlich finanzierten Firmen. 

Stigma Quotenfrau

Rumänien hat seit seinem EU-Beitritt niedrigere Frauenraten in Regierung und Parlament als zuvor, beklagt eine vielbeklatschte Stimme aus dem Publikum. Das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen. Doch andererseits, wer will schon Quotenfrau sein? Helena Dalli, Gleichstellungsbeauftragte der EU-Kommission, klärt auf: Kein Land auf der ganzen Welt habe je Gleichheit ohne gezielte Frauenfördermaßnahmen erreicht. Zumindest temporäre Mechanismen müsse es geben. Bis sich dann das Gleichgewicht einstellt, „kann es fünf bis 20 Jahre dauern...“ 

Eine weitere Zuhörerin meldet sich: „Was hat die rumänische Regierung in dieser Hinsicht für das Superwahljahr 2024 geplant?“ Wer kann das beantworten? Ratlose Gesichter. Der Staatssekretär, der das freundliche Statement des Premiers verlesen hat, hat die Fragerunde nicht mehr abgewartet.

Dalli hat aber auch eine gute Nachricht: Sind die Wurzeln der Ungleichheit einmal beseitigt, ist auch das Problem verschwunden. Die EU-Kommission, inzwischen „gender balanced“, mache es vor: „Wenn einmal ausreichend Frauen in der Führung sind, muss man sich um Frauennachwuchs keine Sorgen mehr machen.“

Auch Virginia Oțel vom Global Professional Women´s Network findet Unterstützung von Frauen für Frauen enorm wichtig. Und bemerkt ironisch, es müsse in der Hölle „einen speziellen Ort für Frauen geben, die andere Frauen nicht unterstützen“. 

Letzteres doch wenigstens am Frauentag – Frau Gorghiu, Frau Firea?

Land der schönen Frauen – genügt uns das?

Rumänien ist das Land der schönen Frauen. Aber genügt uns das? 

Oțel nennt stahlhart nachdenklich stimmende Zahlen. Der Gleichstellungsindex – zusammengesetzt aus sechs Bereichen: Arbeit, Geld, Wissen, Zeit, Macht und Gesundheit – zeigt unsere Position im EU-Vergleich. Während Schweden mit 83,9 Punkten von 100 im Vergleich zum EU-Mittel mit 68,6 Punkten als leuchtendes Beispiel dasteht, belegt Rumänien mit 53,7 Punkten gerade mal Platz 26 von 27 (Stand 2022) und hat seit 2010 nur 2,9 Punkte zulegt. 

Was den Unterpunkt Macht betrifft, der sich in politische, wirtschaftliche und soziale Macht aufteilt, liegt das EU-Mittel bei 57,2 Punkten und Rumänien bei 32,6 – immerhin auf Platz 22.

Schwach sei es hierzulande um die politische Frauenpower bestellt. Oțel zählt auf: zwei Ministerinnen, 18 Prozent weibliche Senatoren, 22 Beraterinnen in den Lokalverwaltungen. Doch selbst im EU-Parlament sitzen 85 Prozent Männer, fügt sie an. 

Noch schlechter bestellt sei es um die wirtschaftliche Macht der Frau: In den Verwaltungs- und Aufsichtsräten großer Unternehmen sitzen in Rumänien nur 13 Prozent Frauen und in 33 Prozent dieser Unternehmen keine einzige Frau. Dabei gibt es Studien, die beweisen, dass bei mehr Frauen im Verwaltungsrat der Profit steigt und das Talent- und Risikomanagement besser ausfällt. Studien zeigen auch, dass die Ergebnisse in gemischten Teams besser sind.

Nicht schweigen, lauthals kontern

„Ich habe es satt, auf Ciucă und Ciolacu zu warten“, fasst Gelu Duminică als Leiter der NGO Împreună seine jahrzehntelangen Bemühungen für Gleichberechtigung ironisch zusammen. Und erzählt, dass er in vier Wochen Vater einer Tochter wird. Wie werden er und seine Frau das Mädchen erziehen? Wie wird seine Tochter von anderen Mitgliedern der Gesellschaft betrachtet werden? „Die einen werden sagen, sie sei nicht Rumänin genug, weil der Vater Roma ist, die anderen, sie sei nicht Roma genug, denn die Mutter ist Rumänin.“ Dem sprichwörtlich „schönen Geschlecht“ werde sie nicht gerecht werden, scherzt er weiter, weil der Vater auch „nicht schön“ sei. Bleibt also nur das sprichwörtlich „schwache Geschlecht“ – Schwächen über Schwächen! Er werde seine Tochter wohl dahin erziehen müssen, „niemals zu schweigen und sich stets lautstark mit denen auseinanderzusetzen, die sie kritisieren.“

Das nehmen wir uns doch gleich zu Herzen: Kein Ciucă, kein Ciolacu zum Frauentag! Gorghiu, Firea: gekniffen. Aber das Buffet, das man den hochgeschätzten „JournalistInnen“, „ExpertInnen“ und sonstigen „-Innen“ gönnte, war lecker.