Holocaust-Überlebende erzählen über ihr Schicksal

67 Jahre seit der Befreiung von Auschwitz-Birkenau

Der 1,5 Millionen Kinder, Frauen und Männer, die während des Holocaust starben, wurde Ende Januar in Auschwitz-Birkenau gedacht.

Zu der Gedenkfeier in Auschwitz kommen jedes Jahr auch Holocaust-Überlebende, die über ihr Schicksal erzählen.
Fotos: Raluca Nelepcu

Auf der Rampe, die während des Zweiten Weltkriegs Leben und Tod voneinander trennte, tummeln sich zahlreiche Menschen herum. Bei klirrender Kälte ist das ehemalige Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau voll von Besuchern. Leute aus allen Ecken der Welt sind nach Auschwitz gekommen, um der 67. Jahresfeier seit der Befreiung des nationalsozialistischen Konzentrations- und Vernichtungslagers beizuwohnen.

Es ist der 27. Januar 2012 und vor genau 67 Jahren konnten 7000 Gefangene ihren Augen nicht trauen, als sie die russischen Soldaten in Schneeuniformen auf sie zukommen sahen. 7000 Häftlinge aus den Konzentrationslagern Nazi-Deutschlands wurden nach monate- und sogar jahrelanger Qual quasi über Nacht zu freien Menschen.

Heute sitzen auf den extra für sie zur Verfügung gestellten Holzstühlen zwischen den beiden ehemaligen Krematorien von Auschwitz-Birkenau weniger als hundert Holocaust-Überlebende, in dicke Decken eingehüllt. Einige von ihnen tragen ihre Häftlingsanzüge, die meisten haben jedoch ein kleines blau-weiß gestreiftes Tuch um den Hals. Darauf ein rotes Dreieck mit dem Buchstaben „P“ in der Mitte. Alles ehemalige politische Häftlinge aus Polen.

Zum Holocaust-Gedenktag sind Delegationen aus aller Welt gekommen, Diplomaten und Minister. Doch nicht sie stehen im Mittelpunkt der Feierlichkeiten zum 67. Jahrestag seit der Befreiung von Auschwitz, sondern jene Leute, die das Grauen erlebt und überlebt haben.

Auch Jugendliche sind dabei. Unter dem Motto „Erinnern und Gedenken im Zeitalter des Web 2.0“ veranstaltete auch das Maximilian-Kolbe-Werk aus Deutschland eine sogenannte „internationale Begegnung“. Ziel dieses Treffens war, junge Journalisten und Zeitzeugen zusammenzubringen. „Das Maximilian-Kolbe-Werk ist entstanden, um die Überlebenden der Konzentrationslager und Ghettos zu unterstützen, ihnen mit ganz konkreter Hilfe zur Seite zu stehen, ihnen aber auch zuzuhören, sie zu besuchen und mit ihnen Gemeinschaft aufzubauen“, sagt Diplom-Theologe Wolfgang Gerstner, seit zehn Jahren Geschäftsführer der Organisation.

Das Maximilian-Kolbe-Werk mit Sitz in Freiburg in Deutschland leistet seit mehr als 35 Jahren einen wichtigen Beitrag zur Verständigung und Versöhnung zwischen dem deutschen und dem polnischen Volk, aber auch mit anderen osteuropäischen Ländern. Die Organisation trägt den Namen eines ehemaligen Auschwitz-Häftlings und Märtyrers der katholischen Kirche. Wie alle Schicksale aus dem Konzentrationslager Auschwitz ist auch Maximilian Kolbes ein trauriges.

Leben gegen Leben, Pater Maximilian Kolbe gegen Familienvater Franciszek Gajowniczek. Wir schreiben das Jahr 1941 im Vernichtungslager Auschwitz. Als einige Männer wegen des Fluchtversuchs eines anderen Häftlings erschossen werden sollen, bricht der Pole Gajowniczek in lautes Wehklagen um sich und seine Familie aus. Maximilian Kolbe hört das Weinen seines Kollegen und bietet dem SS-Offizier ein einfaches Tauschgeschäft an: Franciszek Gajowniczek soll verschont werden, wenn der Franziskaner-Pater an seiner Stelle stirbt. Zuerst kommt Maximilian Kolbe in den Hungerbunker, danach wird er mit einer Phenolspritze getötet und im Krematorium verbrannt. Jahre später wird der Märtyrer von der katholischen Kirche zum Heiligen erklärt.

Einen Ort zu besuchen, an dem das hässlichste Stück deutscher Geschichte geschrieben wurde, ist für viele nicht leicht. Und trotzdem strömen monatlich Tausende Touristen nach Auschwitz, um ein Gefühl zu bekommen von dem, was damals war. 1,5 Millionen Menschen, die meisten von ihnen Juden, kamen in Auschwitz ums Leben, während nur 7000 Häftlinge das Massaker überlebten. Für die Jugendlichen, die nun Auschwitz besuchen, ist es ein Erlebnis zu hören, wie offen die alten Überlebenden über ihr Schicksal berichten.

„Wir sind hierher gekommen, um die Geschichten der Überlebenden von ihnen selbst erzählt zu hören. Wir können diese Geschichten auch lesen, es gibt auch Interviews im Fernsehen, aber es ist ein völlig anderes Gefühl, wenn man den Zeitzeugen gegenübersitzt und ihnen zuhört“, sagt Thomas Fuest aus Deutschland, der den Feierlichkeiten beiwohnt.

Immer wieder kehren die Holocaust-Überlebenden an den Ort des Grauens zurück und erzählen, wie es damals war. Die Welt soll die Wahrheit erfahren und dafür sorgen, dass sich die schrecklichen Sachen aus der Vergangenheit nie mehr wiederholen. In zehn Jahren bleibt wohl den Zeitzeugen der Zeitzeugen überlassen, über Auschwitz zu berichten und den größten Wunsch der Überlebenden zu erfüllen: Faschismus und Nationalismus für immer aus der Welt zu schaffen.