Horror vacui

Krise hin oder her, viele Rumänen sind damit beschäftigt, sich ihr Eigenheim zu bauen. Die Unsicherheit auf dem Wohnungsmarkt, das Fehlen eines Mietspiegels und der Wille, etwas Eigenes zu besitzen, treibt viele Rumänen zum Häuslebauen.Ein Rundgang über die Baustellen des Landes zeigt aber auf den ersten Blick: Nichts scheint rumänische Bauherrn und Architekten mehr zu schrecken als unbebaute Flächen. Platz zu haben scheint die Horrorvorstellung des 21. Jahrhunderts zu sein, ein regelrechter „Horror vacui” hat sich breitgemacht.

Man muss in Hermannstadt nicht weit gehen, um Beispiele zu finden. Das eine ist die oft erwähnte „Piata Prahovei“, auf der die Immobilienfirma jeden Quadratzentimeter Platz genutzt hat, um mehrere vierstöckige Häuserblocks mit jeweils zwei Metern Abstand voneinander zu bauen. Mit ein wenig Mühe könnten die gegenüberliegenden Nachbarn vom Balkon sich die Hände schütteln. 

Gut, mag man meinen, der Platz war nun mal da und einer Firma geht es nur um Profitmaximierung, also nützt sie alle Ressourcen bestmöglich aus. Und wer so etwas kauft, ist eben selber schuld. 
Was ist aber mit denjenigen, die selber ihr Haus gebaut haben, wie zum Beispiel auf der Strada Justi]iei in der Josefstadt, wo es mehrere Häuser gibt, die das ganze Grundstück einnehmen, mal abgesehen von dem betonierten Streifen, wo sie ihr Auto parken? Was mit dem örtlichen Großmogul, dem es sicher nicht am nötigen Kleingeld mangelt, um die halbe Stadt aufkaufen zu können? 

Obwohl er sich sein Haus auf die Hallerwiese gebaut hat, wo noch einige Villen des ausgehenden 19. Jahrhunderts mit ihren weitläufigen Gärten vormachen, wie es ist, geschmack- und stilvoll zu wohnen, hat er sein Haus so hemmungslos überdimensioniert, dass gerade mal ein zwei Meter breiter Betonstreifen am Rande der protzigen Behausung freigeblieben ist, um mit dem Auto in die Garage fahren zu können. Und was ist mit denjenigen, die ihre Villen neben den Jungen Wald gebaut haben – zwei- bis dreigeschossige Kästen, die sich gegenseitig Luft und Sonne nehmen?

Dass manche dieser Häuser riesig sind, leuchtet ein, man muss ja Neid erregen bei den Nachbarn, auch wenn einen die Schulden schier erdrücken. Dass die Häuser oft von einem grauenvoll schlechten Geschmack zeugen, kann auch verstanden werden, das Geld (und die Reichen) sind eben noch ganz neu. Dass man sich aber selber beschränkt, indem man sich keinen Platz zum Atmen lässt, ja freiwillig in einem Betongetto lebt, das will mir ums Verrecken nicht in den Kopf.

Egal durch welche Stadt des westlichen Auslands man geht, wird der Status des Besitzers durch einen möglichst weitläufigen Park, umgeben von einem hohen (schmiedeeisernen!) Zaun, unterstrichen. Hierzulande wird betoniert, bis der Arzt kommt und jedes noch so kleine grüne Fleckchen zugeschmiert ist.

Manchmal spaziere ich durch Hermannstadts Villenviertel des 19. Jahrhunderts, sehe mir die weitläufigen Gärten an und stelle mir vor, die Häuser sagen alle: „Seht her, so angenehm kann man sich das Leben machen”. Was werden die Häuser unseres 21. Jahrhunderts den Nachkommen sagen? Vermutlich: „Sie liebten den Beton und der Beton liebte sie.”


NB: Als ich dachte, schon alles gesehen zu haben, fuhr ich Richtung Heltau. Auf dem Feld jenseits des Friedhofs entsteht ein neues Viertel mit Häusern aller Arten und Größen. Zwei identische Häuser zogen meinen Blick an, vielleicht wegen der Glaswand an der Seite. Die eine Glaswand sah auf das Feld. Die andere auf die Mauer des zwei Meter daneben errichteten Hauses...