Hut ab vor reifer Zukunftsmusik!

Wie ein auf der Trompete ausgebildeter Profi im Selbstlernmodus an seiner Kochkunst feilt

Über einen kurzen Plausch während angespannter Arbeit freut sich der Küchenchef am Astra-Park jederzeit. Trotzdem verliert er dabei seinen selbsternannten Auftrag nicht aus den Augen. Foto: der Verfasser

Schwarze und rote Radieschen, Waldhonig, rote Beete, Koriander und Linsen, die biblische Zutat, ergeben einen Salat wie ,Himmel und Hölle in einem´. Auf dem Facebook-Account „Consommé Bistro“ laden regelmäßig neueste Rezeptideen zum Einkehren ein. Foto: Samuel Tatu

Im Mai 2013 hat Samuel Tatu (Hermannstadt/Sibiu, Jahrgang 1990) Trompete in der Musikkapelle zweier Premierenvorstellungen des Dramas „Mutter Courage und ihre Kinder“ von Bertolt Brecht am Teatrul Mic in Bukarest gespielt. Fünf Monate darauf waren Schauspielensemble und fünf Musiker zu Gast beim Festival „Zile și Nopți“ (Tage und Nächte) am Maria-Filotti-Theater in Brăila. Der Koch und Inhaber der kleinen Gaststätte „Consommé“ in der Hermannstädter Hechtgasse/Strada Doctor Ioan Lupaș, Ecke Astra-Park gegenüber von Erasmus-Büchercafé und Astra-Bibliothek, zählt zum harten Kern der Generation von Absolventen der Musikabteilung des städtischen Kunstgymnasiums, die gemeinsam mit Freunden aus Bukarest und Klausenburg/Cluj-Napoca ab 2006 ein paar Jahre lang unter dem Namen „Sibiu Youth Orchestra“ (SYO) auf lokalen Konzertplakaten von sich reden machten.

Zwar hat sich das Projektorchester beherzter Studienanfänger, kaum größer als die kleinsten Staatsorchester Rumäniens besetzt, bald in alle Winde verstreut, aber seinen heute berufstätigen Gründungsmitgliedern nicht zu vernachlässigende Erfahrungen geschenkt. Gabriel Bebe{elea, vor seiner Ausbildung an der Gheorghe-Dima-Musikakademie Klausenburg (AMGD) vom Kunstgymnasium Hermannstadt nicht geförderter Autodidakt, ist zum vielgefragten Dirigenten aufgestiegen, Vlad Rebreanu spielt Solo-Flöte im Orchester der „Transilvania“-Staatsphilharmonie Klausenburg und Samuel Tatu ging nach dem Abitur nach Bukarest, wo er acht ganze Jahre lang gelebt und an der Nationalen Musikuniversität (UNMB) Trompete studiert hat. In der letztlich unerfüllten Hoffnung auf irgendeine feste Stelle in einem Berufsorchester irgendwo im Land, die zum für ihn günstigen Zeitpunkt vakant werden und zur Besetzung durch Probespiel ausgeschrieben werden könnte.

Vom Blechblas-instrument zur Edelstahlpfanne 

Nicht allen Lernbegierigen des SYO ist es geglückt, an einem idealen Arbeitsplatz der Musikszene unterzukommen, und nicht jeder hat die Ausdauer von Klarinettist Mihai Bădiță, mangels offener Fenster in der Orchesterlandschaft und trotz staatlich unwirtlicher Kulturpolitik als kämpferischer Freiberufler unterwegs zu sein. Samuel Tatu, der für Stammgäste seines Bistros kein unnahbarer Haubenkoch sein, sondern von ihnen einfach nur ,Sami´ genannt werden möchte, hat den Bachelor an der UNMB erlangt. Sein Einsatz in der Musikkapelle der Brecht-Inszenierung am Teatrul Mic in Bukarest 2013 ist mit als letzter Aufwand zu verbuchen, weiterhin Berufsmusiker bleiben zu wollen. In dieselbe Zeit fällt auch eine Kontaktaufnahme zum Solotrompeter der Wiener Symphoniker, bei dem er gerne den Masterstudiengang belegt hätte. Nur weigerte sich der Dozent, ihn auf Englisch zu unterrichten. Sami gab die Trompete auf, schaute sich nicht mehr länger nach Notenmaterial, dafür aber nach kulinarischer Fachliteratur um und ging fortan im lockeren Pulli statt schwarzweißem Dress auf Jobsuche. „In meiner Bibliothek stehen tausend Kochbücher. Eine große internationale Fachschule habe ich noch nicht besucht, es ist einfach zu teuer. Sollte es mir aber doch einmal gelingen, werde ich dort lernen, zurückkehren und hier eine eigene Schule gründen. Interesse für so etwas wäre vorhanden!“

Bukarest wurde ihm zuwider. „Eine unangenehme Stadt. Voller Musiker, die sich gegenseitig mit ,Künstler´ (rumänisch: artistule!) anreden, dem Begriff aber überhaupt keine Ehre machen, weil nicht über den eigenen Tellerrand hinausgeschaut wird“. Er hat eine schwere Zeit durchgemacht und sich spitze Bemerkungen von Kollegen anhören müssen, die seinem Entschluss zum Umsatteln vom Mundstück an den Herd nur Schlechtes voraussagten, da doch der Platz in der Küche „nur eine Sache für Leute auf verlorenem Posten“ sein könne. Noch immer ist Rumänien zumeist ein Land von und für Vielfraße. Wer sich nicht in die Rolle des Küchensklaven fügen will, stößt auf kulturelle Rauheit.

Wählerisch, originell und gesund

Richtig angefangen hat Sami als Tellerwäscher des „Syndicat Gourmet“ in einer stilecht renovierten Immobilie auf der engen Marktgasse/Strada Târgului in der bröckelnden Unterstadt am Zibin, wo Chefkoch Ioan Bebeșelea Rezepte entwickelt. „Nein, ich glaube nicht, dass Gabriel Bebe{elea und sein entfernter Verwandter zweiten oder dritten Grades einander kennen“, urteilt der belesene Küchenfreak vom „Consommé“, der nach sechs Monaten an der Spüle endlich auch mal als Gehilfe von Meister Ioan persönlich Hand anlegen durfte. Heute ist er glücklich, genau dort ins Metier eingestiegen zu sein: „Ich habe auch in anderen Lokalen der Stadt ausgeholfen und Gerichte über die Theke wandern gesehen, die von mir selbst so niemals abgesegnet worden wären!“, meckert der Ex-Musiker mit schwarzem Schnurrbart, markantem Brillenrahmen und alternativem Haarschnitt. Feinschmecker am falschen Ort? Nein doch, der Zulauf steigt und widerlegt die Annahme.

Ein kleines Dessert auf großem Teller kostet bei ihm fast ebenso viel wie ein komplettes Mittagsmenü auf der Tageskarte einfacher Selbstbedienungsrestaurants. Die zweistelligen Beträge auf dem Speiseangebot, das alle paar Wochen neu aufgestellt und in Kreide auf eine Tafel geschrieben wird, sind ein feines Kundensieb. Aber der Mix von Zutaten lohnt großzügige Neugierde: Sanddorn-Mousse auf einem Walnuss-Tortenboden mit einem Klecks Sauerrahm daneben ist eine Kombination einfachster Früchte, die bestimmt einiges Geschick erfordert und in der Küche daheim wohl eher misslingt. Ähnlich auch der mit Preiselbeeren gefüllte Streuselkuchen, aus garantiert kräftigem Vollkorn gerührt. Mehl vom Supermarktregal kommt ihm nicht in die Vorratskammer. „Das weiße Zeug hat überhaupt keinen Wert. Die gesunden Nährstoffe stecken in der Kornschale, und genau darauf kommt es an. Leider sind solche Mehlsorten immer schwieriger zu finden.“ Eines von bitter nötigen Refugien ist das Reformhaus „Kriya“ ein paar Schritte weiter weg auf der Fleischergasse, wo die Regale noch gut mit Packungen schonend gemahlener Getreide gefüllt sind.

Wegen beträchtlichem Olivenöl-Bedarf greift er im Laden gegenüber der orthodoxen Kathedrale nach den wundersamen Drei-Liter-Kanistern. Die Qualität ist toll, der Preis hingegen könnte noch besser sein. Sami sucht griechische Privatbauern, die das hausgemachte Elixier billiger liefern, und hat ein gutes Angebot entdeckt. Außerdem pfeift er auf die buchhalterische Empfehlung, sich bei Lidl mit Gemüse einzudecken. Mit seinem knallgelben Fahrrad kauft er wöchentlich am Zibinsmarkt/Pia]a Cibin ein. Klar erübrigt sich dort jeder Wunsch nach Kassenbon, doch Erde auf Wurzelgemüse ist ein Gütesiegel. In Sachen Fleisch, das er ebenfalls dort einkauft, ist dasselbe leidige Problem wiederum nicht gegeben. Auf der Karte des „Consommé“ beherrschen Rind und Schaf das tierische Geschehen. Schweinenacken tut manchmal auch gut, ist aber nicht das einzig Wahre.

Danke nach Klausenburg!

Die kräftig gelbe Butter in Pfanne und Backröhre stammt aus dem Erzeugerladen der „Mândra“-Kette am Zibinsmarkt und enthält null Tropfen Wasser. Auch der Vorbesitzer mit Spitznamen „Chelu“, bei dem Sami sich etliche Tricks abgeguckt und ihm die Bistro-Einrichtung samt Küche und Möbeln abgekauft hat, war Stammkunde des waschechten Milchprodukte-Herstellers. „Capsicum“ hieß der Ort bis Ende Juni 2019, ehe Sami die Chance ergriff und sich das zum Verkauf angebotene Inventar sicherte. Einen auf sechs Jahre angelegten Kredit hat er aufgenommen, nimmt sich aber zügiges Spuren vor, sodass der gesamte Betrag nach nur zwei Jahren bereits vollständig abbezahlt sein könnte. Inhaber der Geschäftsfläche ist Gabriel Banciu, Professor für Musikgeschichte und Ästhetik an der AMGD, der gemäß Marktlage durchaus berechtigt wäre, das Zweifache des vereinbarten Mietsatzes zu fordern. Jedoch schlägt in seinem Geist eine soziale Ader, weswegen er keinen Erwartungsdruck auf den ins harte Kochgeschäft geflüchteten Ex-Trompeter ausübt.

Dienstag und Mittwoch von 17 bis 23 Uhr sowie Donnerstag bis Samstag von 13 bis 23 Uhr freut sich das „Consommé“ auf Gäste. Wer am dunklen Abend eines Wochenendes in der kalten Jahreszeit auf Nummer sicher gehen möchte, greift lieber zum Telefon und reserviert Tage im Voraus (0269/565591), denn das Gesamtpaket entfaltet zunehmende Anziehungskraft. Obwohl Sonntag und Montag geschlossen ist, gönnt Sami sich nur einen Ruhetag. Er schuftet lange Stunden außerhalb der Öffnungszeiten und möchte aus Vorsicht noch keine Person auf Vertragsbasis anstellen, kann sich aber dennoch auf seine Schwester und eine Freundin mit rauchig tiefer Sprechstimme verlassen, die abwechselnd bedienen und ihm das Abwaschen abnehmen. Der Raum mit Steinfußboden und grauem Schaumstoffprofil an der Decke ist sehr hoch und wird dezent von gutem Jazz und Tango durchflutet.

Üben, Zuhören und …Lesen

Wenn es mal länger dauert, liegt genügend Auswahl bereit. Dicke Bände von Emil Cioran, Umberto Eco und Ausgaben der „Dilema Veche“, „Historia“ oder gar der Satirezeitung „Cațavencii“ helfen, die Wartezeit anregend zu vertreiben. Nie hat Sami in Bukarest verstanden, warum beispielsweise Orchestermitglieder der George-Enescu-Philharmonie keines von den Konzerten großer Weltensembles während der alle zwei Jahre steigenden Auflagen des Enescu-Festivals besuchen. „Iancu Văduva, der große Trompeter Rumäniens und Mentor meines Lehrers Mihai Toth, war ein Naturtalent, wie geschaffen für das Instrument. Dank seines musikalischen Instinkts konnte er ohne viel Nachdenken in jeder Melodie sofort einen optimalen Richtungssinn erfühlen. Aber ein Buch gelesen hatte er niemals, weswegen auch Mihai Toth, der doch sein bester Schüler war, von ihm zu keinem lesenden Musiker ausgebildet wurde. Schade! Ich habe tags-über geübt was das Zeug hält und bin abends mit meinem Studentenausweis gratis in die Konzerte der Orchester aus Amsterdam, Berlin & Co. gerannt, um ja nichts davon zu verpassen. Wie kann man sich denn so etwas nur entgehen lassen, noch dazu in der eigenen Stadt?“

Samuel Tatu hat seinem Lehrer auf Youtube Videos gezeigt und dadurch demonstriert, dass beim Spielen bestimmter Passagen im Konzert auch andere Ansätze ebenso berechtigt sein können. „Ich habe versucht, ihn kulturell zu erziehen, aber gelungen ist es mir nicht. Letztendlich glaube ich, dass berühmte Musiker vom Schlag eines Iancu Văduva Angst vor dem eigenen Unwissen bekämen, wenn sie anfingen, sich für Literatur und Kunst zu interessieren und auch Zeit in Dinge investierten, die nicht direkt mit dem Spielen eines Instruments zu tun haben, aber die Auffassungsgabe schärfen und das Berufsleben nicht allein gesättigt, sondern tatsächlich spannend erscheinen lassen.“

Um den eigenen Alltag von geistiger Langeweile eines starr in sich selbst verharrenden Umfelds zu befreien, die Türe ohne ätzendes Nachbeben hinter sich zu schließen und mit frischer Kraft in neue Pläne einzutauchen, bedarf es einer gehörigen Portion Mut. Die Welt ringsum zieht weitere Kreise als der persönliche Wohn- und Arbeitsraum. Bei Sami landet die Hartweizengrieß-Pasta al dente auf dem Teller, aus dem Lautsprecher vielleicht sogar von knackigen Gassenhauern selten aufgeführter Mozart-Klavierkonzerte begleitet. Am vorletzten Abend des Enescu-Festivals 2019 hat Mitsuko Uchida einen dieser Leckerbissen in Bukarest vorgeführt. Nein, nicht die Mozartkugel, sondern eine Delikatesse, nach deren Genuss man aus dem Staunen nicht herauskommt und fieberhaft die Tage und Wochen bis zum nächsten Mal zählt. Im „Consommé“ abseits der touristischen Abfertigungsmeile Hermannstadts lässt sich die Zeit bis dahin schmackhaft ausfüllen.