„Ich bin eben künstlerisch gepolt und drücke mich am besten durch Malerei aus“

Sechs Fragen an die freischaffende Klausenburger Künstlerin Anne Nebert

Ihre Vorfahren stammen aus dem Sudetenland, das Anne Nebert gerne einmal bereisen möchte. Foto: privat

„Den Fernseher im Atelier schalte ich auf Arte TV. Ich schaue nicht hin, höre jedoch nebenbei gerne zu. Wegen der deutschen Sprache und den Reportagen“, sagt Anne Nebert, Jahrgang 1974 – studierte Journalistin und bildende Künstlerin. Reisen ist eine ihrer Leidenschaften, zwingende Verlässlichkeit im Berufsalltag für sie Ehrensache. Allein Muße für Ausstellungen hatte sie in den letzten Jahren nicht mehr – ihr Sohn ist derzeit Grundschüler. Aber in Michelsberg/Cisnădioara, wo das Kunsthaus 7B bis noch bis zum 9. August 23 ihre Bilder zeigt, war Anne Nebert am 21. Mai erstmals nach längerer Zeit wieder Protagonistin einer Vernissage. Das folgende Interview hat Klaus Philippi geführt.

Anne Nebert, Sie sind bildende Künstlerin in dritter Generation Ihrer Familie. Was steckt  biografisch hinter der Entscheidung zu diesem Beruf, und wo kommen persönliche Überzeugungen ins Spiel?

Mein Vater war Maler, und mein Großvater Karl Anton Nebert aus Graz davor genauso: Obwohl im Hauptberuf Geologe, hatte er auch Bildende Kunst studiert. Mein Bruder Radu und ich wurden schon früh visuell erzogen: über Diapositive, Ölbilder und das Hören von klassischer Musik, die zu den jeweiligen Epochen der Bilder passte. Das Modell-Sitzen für Porträts im Atelier meines Vaters gehörte mit dazu, klar. In so einem Esprit bin ich aufgewachsen und kann mich nicht daran erinnern, dass es im Elternhaus jemals anders gewesen wäre.

Eigentlich wollte ich Geografie studieren, die mich bis zum Abitur auf Deutsch in Klausenburg immer schon begeistert hatte, weil ich gerne reise. Irgendwie aber war der Drang nach Kunst noch etwas stärker. Erfahrung als Schülerin an einem Kunstgymnasium hatte ich zwar nicht, doch unterstützte mich mein Vater im Vorbereiten zur Aufnahmeprüfung an die Klausenburger Universität für Kunst und Design.  Erst 1993, im zweiten Versuch bestand ich die Aufnahmeprüfung an die Universität. Ein Jahr zuvor hatte ich nur kurze zwei Monate zwischen dem Abitur und dem Examen dafür gelernt und geübt, aber mein Vater sagte mir, dass die Erfahrung einer Prüfung auf jeden Fall sehr nützlich sein würde. Das eigentliche Kunststudium danach war nicht mehr ernsthaft schwierig. Seit dem Staatsexa-men bin ich Mitglied der Kammer für Bildende Künstler Rumäniens, meine erste Solo-Ausstellung hatte ich 1998, bald nach dem Hochschulabschluss. 

Wie haben Sie vor, während und gleich nach der Revolution 1989 Klausenburg und Rumänien erlebt?

1988 hatten wir Glück, zu dritt meinen Großvater in Graz besuchen zu können. Mein Vater, mein Bruder und ich. Unsere Mutter durfte nicht mitkommen, so war das leider im Kommunismus, Reisen als vollständige Familie ging nicht. Ein Jahr vor der Revolution zeigte mein Großvater uns Museen, fuhr mit uns nach Wien, und für uns Kinder war das wie Science Fiction. An einem Rastplatz mit Blick auf einen Gletscher, von der Großglockner-Straße aus, wo ich und mein Bruder miteinander Rumänisch redeten, traten ein Herr und eine Dame auf uns zu, die das hörten, und uns in ein Gespräch auf Rumänisch verwickeln wollten. Fragen über Fragen betreffend den Alltag in Rumänien stellten sie uns, und misstrauisch zog uns mein Großvater weg von dort. Es hätte ja sein können, dass wir Spitzeln begegnet waren.

Im Augenblick der Revolution bereitete sich Radu auf das Design-Studium an der Universität vor, und weil er noch zur Schule ging, konnte er nur spät abends bis in die Nacht hinein an Skizzen und Zeichnungen arbeiten. Stunden, in denen er Radio Freies Europa hörte. In unserer Familie war er es dann auch, der die Nachricht vom Ausbruch der Revolution in Temeswar als erster mitbekam und sie sofort weitergab. Im Nu versammelten sich alle um den Radioapparat. Unsere Eltern gingen tagsüber normal zur Arbeit, doch Radu und ich mischten uns unter die Demonstrierenden auf der Straße. Der Eindruck, ob es tatsächlich schon etwas zu feiern gab oder nicht, war schwer zu verdrängen. Genauso, wie Corneliu Porumboiu es 2006 im Filmtitel „A fost sau n-a fost?“ beschrieben hat.

In Klausenburg folgten wir als Menge marschierend einem Panzer, der vor dem Wohnhaus von Doina Cornea zum Stehen kam. Rasch drehte der Wind, und als Kind – ich war 15 Jahre alt – versteht man ohnehin nichts von der Bedeutung und Schwere derart plötzlicher Änderungen. Einige Jahre später verfolgte mein Vater im Fernsehen den Politzirkus einschließlich der Karriere von Iliescu, und meinte, „für uns ist es schon zu spät, aber wenigstens ihr sollt eine Chance haben.“ Niemals verstand ich, warum es für die Generation meiner Eltern zu spät gewesen sein sollte, wo die Revolution doch passiert war. Der Aufschwung dagegen hat wirklich zehn bis zwanzig Jahre gedauert und hält immer noch an. Nach und nach bauen wir ihn ab, unseren Rückstand. Von Politik verstehe ich wenig, aber mit der EU haben wir Glück.

Als ich in die 1. Klasse deutscher Unterrichtssprache ging, war ich eines von 40 Kindern im Unterricht ein und desselben Grundschul-Lehrers und „Genossen“. Etwa zehn davon wechselten ab der 9. Klasse auf Schulen rumänischer Unterrichtssprache, und bis zur 12. Klasse waren wir auf 14 Schülerinnen und Schüler geschrumpft, die das Abitur auf Deutsch bestritten. Insgesamt aber finde ich ihn kritisch, den Unterschied zwischen dem Deutsch, das wir sprachen, und dem Deutsch der Schüler von heute. 

Mein Sohn geht gerade in die 2. Klasse, deswegen fällt mir das auf. In meiner Schulzeit war es üblich, ab der 2. Klasse auf Deutsch bereits Aufsätze schreiben und sich fließend unterhalten zu können. Ich behaupte, die Qualität hat stark abgenommen.

Was bedeutete Ihnen damals und ist heute für Sie die deutsche Sprache? Eine Muttersprache, oder eher eine Fremdsprache?

Beides. Als Kind hatte mein Vater nur bis zum Alter von sechs oder sieben Jahren Deutsch gesprochen. Mein Großvater hatte nach Ende des Zweiten Weltkriegs in Österreich Angst vor der Rückkehr nach Rumänien, und so blieb mein Vater hier in Klausenburg alleine mit meiner Großmutter. Eine Familienzusammenführung in Österreich durch das Rote Kreuz war nicht drin. Und weil meine Großmutter damals von der Securitate sehr streng überwacht wurde, unterließ sie es auch, mit ihrem Kind Deutsch zu sprechen. Jahrzehnte später half sie dafür mir und meinem Bruder bei den Schulaufgaben. Außerdem habe ich als Kind meinem Großvater in Graz regelmäßig Briefe auf Deutsch geschickt.

Mein Deutsch heute ist längst nicht mehr so gut wie während der Schulzeit, aber wenn ich nach Deutschland reise und einige Zeit dort bleibe, kommen der Wortschatz und das fließende Sprechen zurück. Anders Radu, der für den Malteser-Hilfsdienst gearbeitet hat, Vorsitzender des Demokratischen Forums der Deutschen in Klausenburg ist und auch nach der Schulzeit regelmäßig Deutsch gesprochen hat. Die kleine und sehr aktive Klausenburger Forums-Gemeinschaft ist ein Austauschraum sprachlich gemischter Familien, wo ich besonders gerne auf Exkursionen mein Deutsch verwende.

Nach Ihrer Ausbildung zur bildenden Künstlerin haben Sie Journalismus an der Babeș-Bolyai-Universität studiert. Was war der Grund dafür?

Kunst ist wichtig für die Allgemeinbildung. Meine Mutter und ihre Schwester etwa beschäftigten sich nicht nur mit ihrem Medizin-Studium, sondern sie gingen zusätzlich auch in geschichtliche Vorlesungen der Universität für Kunst und Design, weil sie das auf keinen Fall missen wollten. Meine Mutter und mein Vater, der Kunst studierte, lernten sich dort kennen.

Den 1998 an der Babeș-Bolyai-Universität neuen Studiengang für Journalismus in deutscher Sprache wollte ich mir auf keinen Fall entgehen lassen, er hat mich sofort gelockt. Ich stellte mir vor, in Klausenburg für die Kultur-Seiten deutscher Zeitungen schreiben zu können, merkte jedoch, dass mein Deutsch dafür nicht ausreicht. Denn als Medienkonsumentin mag ich es gar nicht, im Fernsehen oder Rundfunk Journalistinnen und Journalisten zuzuhören, denen die richtigen Wörter nicht einfallen, oder die sich grammatikalisch jede Menge Fehler leisten, also die Sprache nicht einwandfrei beherrschen. Von daher möchte ich Lächerlichkeit bei mir selber um jeden Preis verhindern. Ich bin eben künstlerisch gepolt und drücke mich am besten durch Malerei aus. Mein Journalismus-Studium habe ich 2004 abgeschlossen, aber noch heute bietet Klausenburg keine eigene deutsche Zeitung oder Redaktion. Kein Problem, dass sich für mich nichts Journalistisches ergeben hat.

Berauschend finde ich die siebenbürgisch-sächsische Kultur- und Kirchenburgenlandschaft, die erst seit gut zehn Jahren wieder auf Interesse stößt. Vor zwei Jahren haben wir als Reisegruppe des Demokratischen Forums der Deutschen in Klausenburg Seligstadt besucht. Uns wurde erzählt, dass der letzte Siebenbürger Sache im Dorf verstorben war. 

Er tut weh, der Verfall so vieler Kulturgüter und Bauernhäuser. Dabei wäre es wunderbar, besonders Gebäude in sehr schlechtem Zustand zu symbolischen Preisen Käufern zu überlassen, die zwar wenig Geld haben, aber sehr genau wissen, was sie damit anfangen würden. Es gibt viele Beispiele siebenbürgisch-sächsischer Bauernhäuser, die geschmacklos und stumpf renoviert wurden. Schuld daran sind zuvorderst auch die Behörden für Denkmalschutz, die keinen Respekt vor dem Alten einfordern. Der bedenkliche Rückgang von Kulturkonsum in der Breitengesellschaft macht es auch nicht einfacher, das Publikum selbst stellt sich die Qualitätsfrage oft gar nicht mehr. Sehr, sehr schade.

Heute vor 20 Jahren hatten Sie eine Ausstellung auf Kreta – wie kam es dazu?

Ich bin mit einer Pianistin aus Rumänien befreundet, die einige Bilder von mir gekauft hatte und auf Kreta lebt, wo der Kurator einer Kunstgalerie meine Arbeiten bei ihr zuhause entdeckte. So wurde ich eingeladen. Die Reise war abenteuerlich, denn mit dem Flugzeug nach Kreta zu reisen war von Rumänien aus noch keine Option. Ich habe auch Arbeiten von meinem Vater ausgestellt, bin zwei lange Tage mit dem Bus bis nach Athen gefahren und hatte drei große Kisten voller Bilder als Gepäck aufgegeben, die ich am Zielort vom Busbahnhof in den Hafen Piräus verfrachten musste, um mit dem Schiff nach Kreta überzusetzen. Im Jahr darauf fanden in Athen die Olympischen Sommerspiele statt, und den griechischen Zöllnern konnte man bereits anmerken, unter was für einem Druck sie standen.

Die Galerie war klein, aber schön, das Publikum zahlreich und sehr aufgeschlossen. Ich schwor mir dennoch, nie mehr wieder so zu reisen.

Wo endet bei Ihnen als bildende Künstlerin die Arbeit, und wo beginnt die Erholung?

Ich bin in der glücklichen Lage, nirgendwo vertraglich angestellt zu sein. Deswegen konnte ich einfach so während des Lehramt-Streiks mit meinem Sohn für zehn Tage ans Schwarze Meer fahren. Natürlich ist mir bewusst, dass die meisten Familien von solchen Freiheiten nur träumen können.

Mein Glück ist auch, dass ich vom Malen leben kann. Meist arbeite ich bis 16 Uhr im Atelier, um den Nachmittag mit meinem Sohn zu verbringen. Wir fahren Rad oder nehmen uns Orte in Klausenburg und Umgebung vor, wo es viel zu entdecken und zu unternehmen gibt.

Nicht verhandelbar ist für mich meine Arbeit. Für eine Pension in der Maramuresch zum Beispiel habe ich 14 Bilder von Mädchen in über 100 Jahre alten Trachten gemalt, die ich fotografiert hatte, um nach Modell arbeiten zu können. Ich wusste, der Wirt der Pension wollte sie zeitnah, um Weihnachten 2022 eröffnen, und bis ich fertig geworden bin, gab es schlicht keine andere Priorität für mich. Ich könnte es mir nie im Leben verzeihen, einen Termin nicht einzuhalten.