Ich bin „progeografisch“

Oder von der Notwendigkeit einer gründlicheren Ausbildung der Politiker

Die Bombenanschläge beim Bostoner Marathon stellten nicht nur die nach dem 11. September 2001 eindeutig sinnlos übertriebenen Sicherheitsmaßnahmen in den Vereinigten Staaten von Amerika in Frage, sondern zeigten zum wiederholten Mal die enormen Wissenslücken eines beträchtlichen Teils der amerikanischen Bevölkerung. Die durch das Attentat erschütterten US-Bürger verlangen insbesondere im Internet nach Vergeltung und zwar mittels Angriff bzw. den Einmarsch in die Tschechische Republik (sic!). Eine Zusammenfassung der Twitter-, Facebook- und Blogeinträge, die ebenfalls im Internet kursiert, in denen die zu Recht betroffenen Amerikaner ihrer Wut Ausdruck verleihen, beweist, dass ihre geografischen Kenntnisse milde gesagt dürftig sind.

Man kann von den amerikanischen „Normalverbrauchern“ nicht verlangen, dass sie einen europäischen Staat kennen, der kleiner als South Carolina ist. Von den Politikern aber darf man es schon erwarten. Wenige Tage nach dem Bombenanschlag in Boston äußerte sich die gewesene Gouverneurin von Alaska und ehemalige Vizepräsidentschaftskandidatin Sarah Palin in einem Interview mit dem Sender „Fox News“ zur momentanen „Lage der Nation“. In wenigen Sätzen schaffte es die Politikerin, die auch als politische Kommentatorin tätig ist, die ganze Begrenztheit ihres Wissens über Europa und den Rest der Welt preiszugeben. Wörtlich sagte sie: „Lassen Sie uns ein paar Atombomben auf Islamabad werfen, Prag abbrennen und dann zum Teufel Teheran bombardieren.“ Das alles, weil die Attentäter von Boston „Muslime aus der Tschechischen Republik“ seien (sic!). „Die Araber sollen lernen, dass sie nicht einfach hierher kommen und die Sachen sprengen können“, wetterte Palin.

Verzeihen Sie mir meine Direktheit, aber wie blöd kann man sein? Dass die meisten Amerikaner keinen Schimmer vom Rest der Welt haben, ist eigentlich seit Langem kein Geheimnis. Für viele Amerikaner endet die „Zivilisation“ irgendwo an der West- oder Ostküste des US-Festlandes oder im besten Fall an der Küste von Hawaii, vorausgesetzt man weiß, wo dieser US-Bundesstaat liegt. Europa stellt man sich als einen Staat vor. Man erinnere sich nur an eine Fernsehshow, in der die Kandidatin auf die letzte Frage des Moderators, „Budapest is the capital of which European country?“ (Budapest ist die Hauptstadt welches europäisches Staates), mit „I thought Europe is a country“ (Ich dachte, Europa ist ein Staat) antwortete. Und dann sehr überrascht war, als die Antwort „Hungary“ lautete, das in der Aussprache stark dem Wort „hungry“ (hungrig) ähnelte. Andererseits habe die Kandidatin schon von einem Land namens „Turkey“ („Türkei“ oder „Truthahn“) gehört.

Von den Politikern in den führenden Positionen sollte man mehr erwarten. Oder? Nach dem Anschlag auf die Zwillingstürme in New York sagte die damalige nationale Sicherheitsberaterin und spätere Außenministerin der USA, Condoleezza Rice, im Zusammenhang mit dem bevorstehenden Krieg in Afghanistan in einem Interview: „Wir holten die Karten raus und suchten, wo Afghanistan liegt. So stellten wir fest, dass man es mit den Kriegsschiffen nicht angreifen kann, weil es dort kein Meer gibt.“

Wegen der großen Verwechslungsgefahr fühlte sich der tschechische Botschafter in den USA zu einem Statement verpflichtet: „Die Tschechische Republik und Tschetschenien sind zwei verschiedene Entitäten – Tschechien ist ein zentraleuropäischer Staat und Tschetschenien ist Teil von Russland“. Dasselbe versuchten auch die Moderatoren der Sendung „Fox and Friends“ Sarah Palin zu erklären. „Wo liegt der Unterschied? Ist Russland nicht ein Teil der Tschechischen Republik?“, erwiderte Palin. In einer späteren Erklärung beschuldigte die Politikerin den Sender einer „proislamischen“ und „progeografischen“ (sic!) Haltung. „Das ist nur ein weiterer Fall, in dem politisch korrekte liberale Medien die Wahrheit über den radikalen Islam verbergen“, meinte sie.

Es ist also egal, wo man lebt. Man kann nur hoffen, dass die US-amerikanischen Machthaber entweder bessere geografische Kenntnisse oder Berater haben. Sonst würde es wirklich keine Rolle spielen, ob man in der Hauptstadt eines mit den USA alliierten Staates lebt oder in einem Dorf in Pakistan. Gebombt wird aufs Geratewohl, wenn es die Amis so wollen.