„Ich habe nun zwei Heimaten“

Gespräch mit Ina Berktold, kulturweit-Freiwillige in Sathmar

Ina Berktold hat ein Jahr in Sathmar verbracht.
Foto: privat

Ihre Hobbys sind Lesen, Reflektieren, Malen, Singen, Tanzen sowie ab und zu Gitarre spielen. Die 19-jährige Bayerin Ina Maria Josefine Berktold war bis Ende des vergangenen Schuljahres als kulturweit-Freiwillige am Johann-Ettinger-Lyzeum in Sathmar/Satu Mare tätig. Ihr Auslandsjahr förderte die deutsche UNESCO-Kommission mit Mitteln des Auswärtigen Amtes. Engagiert hat sich die junge kulturweit-Freiwillige mit der Zeit auch außerhalb der Schule, in der Jugendorganisation „Gemeinsam“ und in der Gemeinde der Kalvarienkirche. Nach dem Ausbruch des Krieges unterrichtete sie online in DSD-Schulen in der Ukraine. Ihr zu Ende neigendes Auslandsjahr ließ sie zusammen mit ADZ-Redakteurin Gabriela Rist Revue passieren.

Wann und wie kam die Idee, einen Freiwilligendienst im Ausland zu leisten? Wollten Sie gerade in einer Schule arbeiten?


Angefangen hatte es bei mir vor zwei Jahren am Anfang der zwölften Klasse. Da war ich siebzehn und habe eine Berufsberatung gemacht. Mir gefällt Kultur sehr gut, und ich habe überlegt, ob vielleicht das Lehramt später als Beruf für mich in Frage kommt. Ich habe meiner Beraterin gesagt, dass ich gerne auch ein Freiwilliges Soziales Jahr machen möchte. Dann sagte sie mir: „kulturweit“ ist super für dich, denn da geht es um die Kultur im Ausland, und das ist ein Freiwilliges Soziales Jahr.

Warum sind Sie gerade nach Rumänien gekommen? War das ein Zufall?

Nein. Ich wollte nach Osteuropa, weil ich das einfach nicht kannte – und in ein Land, dessen Sprache ich nicht kenne. Das Johann- Ettinger-Lyzeum hat sich auch beworben, und dann wurde mir der Vorschlag gemacht, nach Sathmar zu kommen.

Ihre Ankunft war ein bisschen abenteuerlich, es war Pandemie-Zeit. Sie wohnen praktisch im Schwabenhaus. Wie schnell konnten Sie sich hier einleben? Und welche Schwierigkeiten gab es anfangs?

Ich bin in der Tat sozusagen Teil des Schwabenhauses. Das ist recht praktisch, weil ich auch hier bei den Aktivitäten mitmache. Ich tanze in beiden Volkstanzgruppen, bin im Air-Chor dabei und auch beim Sonntagskaffee, der ist ja auch hier im Haus. Was das Einleben betrifft, da habe ich schon mehrere Monate gebraucht, und es liegt eigentlich weniger an dem Ort selbst, an den Leuten oder an äußeren Umständen, sondern für mich hat es viel Zeit gebraucht, weil ich noch nie komplett allein war.

Für mich war auch die Maskenpflicht von September bis Dezember sehr hart, weil ich wusste: Jede Person, die ich kennenlerne, lernt mich mit Maske kennen und ich wusste nicht, ob sie irgendwann mal in diesem Jahr mein Gesicht sehen wird. Auch mit den Kindern in der Schule, wenn man die Aussprache übt und sie meinen Mund nicht sehen, ist es schwierig.

Was war Ihr schönstes Erlebnis in Rumänien?

Ich habe versucht mir  die schönen Dinge  aufzuschreiben. Manch-mal habe ich nur drei Wörter geschrieben, wie der alte nette Mann, der mir entgegengekommen ist und mich gegrüßt hat. Mein persönlich schönstes Erlebnis ist, dass ich da sein darf. Für mich ist es sehr schön, dass ich hier in Rumänien leben darf: Die Gemeinschaft, all die schönen Projekte, all das, was die Kinder an Freude bereiten, kann ich nur deshalb erleben.

Was war für Sie die größte Herausforderung in dieser Zeit?

Das Unangenehmste war die Anfangszeit, weil es so inmitten der Pandemie war. Weniger schwer war, dass ich mich trauen musste, vor Schülern und mit den Kollegen zu sprechen. Die größte Herausforderung war, dass ich anfangs kaum gebraucht wurde. Die Lehrkräfte waren entweder in Quarantäne oder sie waren da, aber sie sind nie auf Ausflüge gegangen.

Ich habe hier und da einmal vertreten, wenn jemand wirklich nicht da war. Das war schwer, aber dann hat sich das gelockert und ich habe auf einmal gesehen, dass es so viele Projekte sind. Dann habe ich auch verstanden, wo ich mitmachen kann.

Was war Ihre Aufgabe in der Schule?

Meine Aufgabe war es, die Lehrerinnen und Lehrer zu entlasten und meine Deutschkenntnisse mit den Schülerinnen und Schülern zu teilen. Dadurch, dass ich Rumänisch erst langsam durch Sprachkurs gelernt habe, hatten sie die Verpflichtung, selber an ihren Deutschkenntnissen zu arbeiten.

An welchen Projekten haben Sie sich beteiligt? Haben Sie auch selbst Projekte initiiert?

Ich habe mich insgesamt an fünf Projekten beteiligt. Im ersten Halbjahr habe ich mit anderen Freiwilligen an einem Projekt weitergearbeitet, das von Freiwilligen im Vorjahr in der Pandemiezeit angefangen wurde. Das sind die internationalen Deutsch-Sprechstunden. Wir haben eine Stunde lang mit allen möglichen Personen aus arabischen Ländern, Russland, aus Großbritannien und aus der Slowakei zweimal pro Woche auf Deutsch über verschiedene Themen gesprochen.

Im zweiten Halbjahr ist dann der Krieg ausgebrochen. Es gibt DSD-Schulen in der Ukraine, wo auch schon kulturweit-Freiwillige waren, aber jetzt sind sie alle wieder in Deutschland. Da kam die Frage von unserem Träger, ob wir, die Freiwilligen, die im Ausland sind, diese Schulen unterstützen möchten. Ich habe das mit unserer Schulleitung abgesprochen und sie war einverstanden.

So habe ich mit einer anderen Freiwilligen aus Rumänien zusammen wöchentlich regelmäßig der achten, neunten und zehnten Klassen online Unterrichtsstunden gehalten.

Welche Projekte gab es noch?

Die nächsten zwei Projekte waren für mich besonders, weil ich diese selber initiiert habe: Da war zu Ostern die Ostereiersuche im Hof der Kalvarienkirche, und das andere war das Friedenstaube- Projekt. Die Ostereiersuche ist eine Tradition, die ich von der Heimat gebracht habe, die bei uns in der Kirche praktiziert wird.

Zu Ostern sammelt man Spenden, um damit Schokolade zu kaufen. Diese versteckt man während des Gottesdienstes im Hof und nach dem Gottesdienst suchen die Kinder die Schokoladen, dann verteilt man die Schokolade auf alle altersgerecht und den Rest spendet man.

Wie kam die Idee, im Schulhof Friedenstauben zu malen?

Uns wurde schon im Vorbereitungsseminar gesagt, dass wir ein Projekt abliefern müssen. Dann haben wir ein Brainstorming gemacht und eine meiner ersten Ideen war eine Friedenstaube.

Das ist inzwischen sehr aktuell geworden.

Ja, das ist eben das Erstaunliche. Ich habe gedacht, dass das vielleicht sogar ein bisschen kitschig ist, denn wer hat noch nicht an einer international vernetzten Schule eine Friedenstaube gesehen? Ich habe mir die Idee trotzdem notiert. Im zweiten Halbjahr, als ich zurückgekommen bin, habe ich einem Lehrer von meiner Idee erzählt, dass man mit Straßenkreiden eine Friedenstaube als Zeichen des Friedens in den Schulhof malen könnte. Ich habe gemerkt, jetzt gerade in diesem Moment ist es viel wichtiger als jemals davor, sich auf den Frieden zu besinnen.

Ich habe dann der Direktorin meine Idee vorgestellt und sie war damit einverstanden. Dann habe ich das mit der Kreide im Schulhof vorgezeichnet und die Drittklässler haben diesen Vogel ausgemalt. Frau Reiz, die Schulleiterin, hat mir dann ein paar Wochen später gesagt, dass sie die Taube gerne permanent haben möchte. Ich war angenehm überrascht und so habe ich mit den Zehntklässlern drei Friedenstauben in den Pausenhof gemalt.

Das fünfte Projekt waren die Nachhilfestunden: Ab Januar hatte ich wöchentlich zwei Gruppen, und wir haben zusammen mit den Schülerinnen und Schülern Hausaufgaben gemacht. Momentan mache ich wieder Deutschunterricht mit zwei Jungen.

Sie haben vorher gesagt, dass Sie selbst bis vor Kurzem eine Schülerin waren und keine Erfahrung hatten. Wie war es, auf einmal in der Schule mit den Kindern zu arbeiten?

Es war merkwürdig, denn ich war es nicht gewohnt, dass ich in der Klasse aufstehen darf, immer wenn ich will. Als Lehrerin muss man überall hingehen, damit man sich in den Unterricht gut einbringt. Es war auch eine Selbstbewusstseins-Probe, weil ich es nicht gewohnt war, vor Gruppen zu sprechen.

Haben Sie sich mit der Zeit in der lokalen Gemeinschaft eingelebt und sich auch außerhalb der Schule in anderen Bereichen engagiert?

Ja, ich habe bei der Gute-Laune-Tanzgruppe und bei der Gemeinsam-Tanzgruppe mitgetanzt und war auch in Richtung Gesang im Air-Chor, also dem Chor des Demokratischen Forums der Deutschen, und auch im Kirchenchor tätig. In der Jugendorganisation Gemeinsam haben wir während der Pandemie in der Gemeinde immer wieder verschiedene Dinge wie Laternen zu Sankt Martin und Krippen zu Weihnachten gebastelt. Ich war auch in der Kirchengemeinde tätig.

Zum Muttertag haben wir zum Beispiel mit den Kindern Lieder einstudiert. Ich war auch beim Ferienlager dabei. Im Winter, als die Gedenkfeier der Russlanddeportierten stattfand, kam die Idee von Pater Geza, dem Pfarrer der deutschen Gemeinde der Kalvarienkirche, dass man als ein Symbol von Verbundenheit mit den Verschleppten Kerzen aufstellen könnte, und wir haben zwei Blätter aneinander geklebt und dann obendrauf ein Kreuz mit den Worten „Glaube, Liebe, Hoffnung und Vertrauen, aber die Liebe ist stets die größte unter ihnen“ gemalt.

Wie finden Sie das Land, die Leute? Haben Sie Freunde gefunden?

Ich bin positiv überrascht. Die Landschaft ist für mich eher ungewohnt, ich habe normalerweise immer Berge in meiner Sicht. Bei den Kollegen habe ich mich in der Schule willkommen gefühlt und auch in der deutschen Gemeinschaft. Und gerade jetzt, wo ich noch mal ein paar Tage in Deutschland war, habe ich gemerkt, dass ich zwei Heimaten habe, denn es sind auch hier Leute, die auf mich warten und die mich mögen. Und ich weiß, wenn ich zum Beispiel zwei, drei Mal hintereinander nicht in die Kirche gehe, dass es auffällt, dass ich nicht da bin. Ich gehöre schon zu dieser Gemeinschaft.

Was nehmen Sie aus dieser Zeit aus Rumänien mit?

Ich habe vor allem Offenheit gelernt. Früher war ich immer recht verschlossen und schüchtern. Ich habe dadurch, dass Leute immer wieder auf mich zugegangen sind, gelernt einfach jemanden dazu zu holen, einfach mal zu sagen: Komm doch mit! Das ist es, was eigentlich diese ganze Gemeinschaft hier aufrechterhält. Vielleicht liegt es an der Mentalität hier. Freiwilligen, die vielleicht nach mir kommen werden, werde ich sagen: Es ist wert, hierher zu kommen.

Können Sie sich vorstellen, mal wiederzukommen?

Ja, definitiv. Meine Freundinnen vorhin haben schon gesagt, eine Couch ist für mich da, ich darf kommen.

Was möchten Sie nach Ihrer Rückkehr in Deutschland machen? Haben Sie schon konkrete Vorstellungen?

Ich habe Pläne für die Zukunft, aber sie sind noch nicht festgenagelt: Ich möchte meinen Führerschein machen. Dann habe ich vor, einen kleinen Job zu suchen, um ein bisschen Berufsleben zu erleben und um vielleicht auch etwas zu sparen, um dann noch ein bisschen mehr reisen zu können. Meine Familie hat auch ein paar Ideen, was ich zuhause alles noch anmalen und renovieren könnte, wo ich dann mitarbeiten darf.

Mein Wunsch ist es dann, mich in dem Jahr dann auf mein Studium vorzubereiten. Ich möchte an Vorlesungen als Gast teilnehmen. Und wer weiß, vielleicht studiere ich irgendwann mal in Klausenburg/Cluj-Napoca.

Vielen Dank für das Gespräch und viel Erfolg weiterhin!