Im Vordergrund steht das gemeinsame Erleben

Ein ADZ-Gespräch mit dem Kantor und Organisten der Honterusgemeinde Steffen Schlandt

Fast nichts ist selbstverständlich in Corona-Zeiten. Schon gar nicht der Musik- und Kunstbetrieb. Die sommerlichen Orgelkonzerte in der Schwarzen Kirche von Kronstadt/Brașov blicken auf eine siebzigjährigeTradition zurück. Weder die Repressalien der kommunistischen Zeit noch die zehn Jahre der Kirchensanierung oder die Wirren der Wendezeit haben sie unterbrechen können. Zu Hunderten strömten Einheimische wie Touristen dreimal wöchentlich ins Orgelkonzert. Jetzt ist auch damit Schluss. Im Gespräch mit Steffen Schlandt, dem Kantor und Organisten der Honterusgemeinde spürt man hautnah, dass er sich damit nicht einfach abfindet. Etwas muss her! Etwas Neues! Ursula Philippi traf den jüngeren Kollegen auf der Kirchenempore einige Tage vor dem Start der diesjährigen Konzerte. Zwischen Mischpult, Laptop, Mikros und Kameras gab er bereitwillig Einblicke in die Vorbereitung einer neuen Reihe: Organ Nights 2020. Die Open-Air-Veranstaltung soll im Juli, August und September jeden Samstag um 20.20 Uhr stattfinden.

Wie ist die neue Konzertreihe gedacht?
Ursprünglich wollten wir nur eine Live-Übertragung von der Orgelempore in den Schul- und Kirchhof machen. Dafür wird gerade eine 6 x 4 m große Leinwand an einer Außenwand der Kirche installiert. Die Vorschriften erlauben, dass 150 Personen auf den vorbereiteten Plätzen innerhalb der Absperrung dabei sein können. Was aber, wenn es regnet?
Obwohl mir das direkte gemeinsame Erleben am wichtigsten ist, wird es nun auch einen Stream geben. Vielleicht wollen ja auch mehr als die erlaubten 150 Personen dabei sein.

Eine Stunde Orgelmusik hinter geschlossenen Kirchentüren also?
Nicht nur! Nach einem Vorspann, der kurz über die Orgellandschaft bei uns informiert, läuft zunächst ein Kurzfilm. An jedem Samstag erlebt das Publikum einen Organisten/eine Organistin an einer weniger bekannten Orgel in Siebenbürgen. Danach startet das eigentliche Konzert an der Buchholz-Orgel, gelegentlich auch an den drei anderen Instrumenten der Schwarzen Kirche. Wir haben im Inneren vier professionelle Kameras. Diese erlauben Detailaufnahmen, Orgelporträts und bieten Videoanreize, die in normalen Konzerten so nicht erlebbar sind. Die Denkmalabteilung unserer Gemeinde steuert einen einminütigen Beitrag über interessante, wenig bekannte Kunstgegenstände bei.

Wie haltet ihr es mit der Sprache?
Es wird rumänisch gesprochen. Ausländische Touristen fehlen heuer fast ganz. Wir erwarten vor allem Menschen aus Kronstadt, möglicherweise auch junge Leute, die sich vom Flair des abendlichen Open-Air-Events anlocken lassen.

Wird das nicht eine lange Orgelnacht?
Wir möchten die Dauer der Veranstaltung auf rund eine Stunde beschränken.

Bei Konzerten an der Buchholz-Orgel von 1836 stehen dem Organisten zwei Personen zur Seite, die für den Klangwechsel (die Registrierung) da sind. Wie viele Menschen werden bei diesen nach außen übertragenen Konzerten benötigt?
Allein für die Technik brauchen wir vier Mitarbeiter. Dazu kommen Freiwillige für den Ordnungsdienst im Hof: Kartenverkauf, Sicherheitshinweise, bei den ersten Konzerten bestimmt auch Hilfe von Polizei und Gesundheitsamt (DSP). Ich bin sehr froh, dass sich etwa 25 Volontäre gemeldet haben, die unser Projekt mittragen. Und alle sind emotional dabei!
Großen Dank schulden wir auch der Deutschen Botschaft in Bukarest, die die Künstlerhonorare übernimmt. Denn wir haben uns durch den Ankauf der Technik weit aus dem Fenster gelehnt. Wer weiß aber, ob das nicht eine Investition in die Zukunft war?

Alle Welt fragt nach der anderen sommerlichen Konzertreihe, der Musica Barcensis, die reihum in den Kirchen des Burzenlandes stattfand und ein Magnet fürs Publikum war.
Die Finanzierung durch den Kreisrat wurde heuer komplett gestrichen. Die Stiftung Forum Arte als Veranstalter hat sich entschlossen, ihre Reserven einzusetzen und „leistet“ sich nun sechs Konzerte. Vom 19. Juli bis zum 25. August wird es an jedem Sonntag ein Open-Air-Konzert geben, natürlich an Orten, wo sowas möglich ist. Wir haben Honigberg/Hărman, Marienburg/Feldioara, Tartlau/Prejmer und Weidenbach/Ghimbav ins Auge gefasst, dazu zwei Konzerte in Kronstadt selbst. Heuer sind wir besonders auf Hilfe vor Ort angewiesen, bei dem Aufwand an Logistik und Technik, den diese Veranstaltungen erfordern!

Wie geht es dem Interpreten Steffen Schlandt in Corona-Zeiten?
Es bleibt, nach so viel Energieverbrauch für Technik und Online-Arbeit, eine große Sehnsucht nach mehr Musik. Es ist keine gute Zeit für mich als Musiker.
Sehr schmerzhaft vermisse ich die Arbeit mit den Chören. Es ist auch kaum möglich, mit Kollegen zu musizieren. Dennoch: Als ich wieder in die Kirche und an „meine“ Orgeln durfte, war es wunderbar! Die Instrumente, sie wachsen mit mir mit. Wir haben die Pandemie-Pause auch dazu genutzt, sie gründlich zu überholen. Wäre da nur mehr Zeit und Ruhe fürs eigene Musizieren!

Wie erging es dem Dozenten an der Musikfakultät in dieser Zeit?
Das Gute daran war, dass man theoretische Kenntnisse online viel effizienter transportieren kann, wenn es auch viel Vorbereitung erfordert. Die Studierenden waren gezwungen, dabei zu sein, denn das hochschuleigene Netz hat die Präsenz registriert (lacht). Aber was das direkte Spielen angeht, da gab und gibt es nur Nachteile! Einfach schlimm!

Es kann also losgehen mit den Organ Nights 2020?
Ja. Uns fehlt noch ein winziges, zwei cm kurzes Verbindungsstück für die perfekte Übertragung. Eben hat ein Kurier uns ein anderes wichtiges Teil geliefert. Und es bleibt die bange Frage nach dem Wetter…

Herzlichen Dank für das Gespräch und viel Erfolg!

Nachtrag

Das Wetter meinte es nicht gut am Samstag, dem 4. Juli. Es regnete in Strömen und alle 150 vorbereiteten Sitzgelegenheiten mussten aus dem Kirchhof wieder entfernt, die Volontäre nach Hause geschickt werden.
Das erste Konzert fand nur online statt, weckte aber Interesse, wie man an den zahlreichen Aufrufen merkte. Bleibt zu hoffen, dass es an den folgenden Samstag-Abenden nicht regnen wird und das Publikum ab 20.20 Uhr live im Kirchhof dabei sein kann.