In einer Grauzone der Verkehrsregeln

Eine ernst zu nehmend große Gruppe junger Leute kann man dieser Tage bei schönem Wetter auf flotten Mountainbikes durch das Bukarester Verkehrschaos flitzen sehen. Man gewinnt den Eindruck, es werden von Tag zu Tag mehr. Obwohl mir von vielen Freunden abgeraten wurde, in Bukarest Fahrrad zu fahren, mit der Begründung es sei zu gefährlich, habe ich mir vergangenen Samstag doch eines gekauft. Und nach beinahe einer Woche im Verkehr kann ich auch sagen, was das Radfahren in Bukarest so reizvoll macht: Diese jungen Leute auf ihren Bikes bewegen sich nämlich in einer Grauzone „angewandter“ Verkehrsregeln. Was das heißt, werde ich Ihnen jetzt erklären.

Der Radfahrer gehört nicht zur Gruppe der Fußgänger, weil er ja ein Gefährt unter seinem Hintern hat und um einiges schneller vorwärts kommt. Er kann Passanten ziemlich einfach über den Haufen fahren und schwer verletzen. Ebenso wenig ist ein Fahrrad der Sparte der Kraftfahrzeuge zuzuordnen, weil es ja nicht motorisiert ist. Folglich ist der Fahrradfahrer weder am Gehsteig, noch auf der Straße wirklich zu Hause. Blieben die Fahrradwege, auf denen er sich breit machen könnte und die eigentlich für ihn vorgesehen sind. Die müssen wir aber leider in der Praxis außen vor lassen, da sich kein Fußgänger oder Autofahrer um die oft verblassten Linien am Boden kümmert. Er hat also nichts davon, wenn er sich auf einem Fahrradstreifen bewegt.

Doch gerade diese Heimatlosigkeit ist der große Vorteil des Fahrradfahrers. Er bewegt sich im Straßenverkehr mal als Kraftfahrzeug, mal als Fußgänger und kommt dabei vermeintlich am schnellsten voran. Trifft der Bukarester Radfahrer also auf eine rote Ampel, verhält er sich wie ein Fußgänger. Hops, springt er mit seinem Mountainbike auf den Gehsteig, prüft kurz den Verkehr und setzt seine Fahrt fort. Die Autofahrer müssen die Dauer der Rotphase abwarten. Im „angewandten“ Verkehrsrecht zählt er in diesem Fall zur Gruppe der Fußgänger. 

Wenn aber der Fußweg schmal oder mit Passanten überfüllt ist, wenn also ein schnelles Vorwärtskommen nicht möglich ist, springt er vom Gehsteig auf die Straße, tritt einige Male fest in die Pedale und schwimmt mit dem Verkehr mit. Somit ist der Fahrradfahrer derzeit der wahrscheinlich effizienteste Verkehrsteilnehmer in Bukarest.

Doch nicht mehr lange, denn früher oder später – das prophezeie ich den Fahrradfahrern – wird ihrem Chamäleondasein ein Ende bereitet. Nämlich dann, wenn ihre Zahl so stark angewachsen ist, dass ihr ständiges Hin und Her eine halbwegs sichere Funktion des Straßenverkehrs nicht mehr erlaubt. Weder Autofahrer noch Fußgänger werden dann das freche Verhalten tolerieren, da es zu gefährlich für alle Beteiligten wird. Als Ausweg könnte ich da empfehlen, ein bisschen mehr auf die Linien am Boden zu achten, um die Fahrradfahrer von ihrer Heimatlosigkeit zu befreien.