Ivan Patzaichin an Victor Ponta: „Ich appeliere an Ihre Vision für dieses Land“

EU-Finanzierung für Vorzeigeprojekt Rowmania überraschend abgeschmettert

Der ehemalige Ruderchampion Ivan Patzaichin
Foto: Rowmania

Noch keine acht Monate ist es her, dass ich Ivan Patzaichin, vierfachem Ruderweltmeister und Rumäniens erfolgreichstem männlichen Sportler, gegenübersaß. Bescheiden und ganz ohne Starallüren, so wirkte der sympathische Champion mit dem von Wind und Sonne gegerbten Gesicht, das lange Haar lose zum Pferdeschwanz gebunden. Obwohl er schon lange nicht mehr im Donaudelta lebt, trägt die Sportikone aus dem kleinen Fischerdorf Mila 23 seine ursprüngliche Heimat immer noch im Herzen. Dem Delta etwas zurückgeben zu wollen, so motivierte er seine ehrgeizigen Pläne. Über die Vereinigung „Asociaţia Ivan Patzaichin - Mila 23“ entwickelte er mit Gleichgesinnten ein nachhaltiges und umfassendes Konzept, das sanften Tourismus, Naturschutz und die Förderung der lokalen Bevölkerung des Donaudeltas, sowohl wirtschaftlich als auch in der Bewahrung ihrer Traditionen, durch konkrete Projekte unterstützt. Zentrale Idee ist die Verbreitung des Rudersports in Kombination mit einer Ökotourismus-Infrastruktur. Rowmania nennt sich die Kampagne, die, wie Patzaichin hofft, nicht nur im Delta, sondern bald im ganzen Land zum neuen Volkssport avancieren soll (die ADZ widmete dem Thema die Titelseite der Sommerausgabe der Reisezeit 2012).

Seither ist viel geschehen. Rowmania machte Furore im In- und Ausland: Internationales Ruderfest in Tulcea, Eröffnung eines Ökotourismus-Zentrums in Crişan, das Kultur- und Sportfestival „Danube Connection – Story & Glory“ in Wien, Bratislava, Budapest und Tulcea und nicht zuletzt die über 12.000 Menschen aus 22 Gebieten im Donaudelta, die sich unter seiner Leitung zu der Aktionsgruppe „Oamenii Deltei“ zusammengeschlossen haben.

Medien und Fernsehen berichten wiederholt, der Sender TVR sichert bedingungslose Unterstützung all seiner Pläne zu. Kein Zweifel – Ivan Patzaichin hätte das Potenzial, das Wunder, das ihn einst zum Champion werden ließ, noch einmal zu wiederholen. Nur dass diesmal viel mehr auf dem Spiel steht als nur eine Medaille: Das Schicksal eines der letzten Paradiese der Natur, UNESCO-Welterbe und einer der größten Schätze unseres Landes und der Menschen, die darin leben. Doch der Kampf ist noch lange nicht gewonnen. Sein größter Feind ist schwer zu lokalisieren: Bürokratie? Ignoranz? Oder gar Korruption? Nachdem sein Antrag auf EU-Finanzierung abgeschmettert wurde, wandte er sich  in seiner Verzweiflung jetzt in einem offenen Brief an Premierminister Victor Ponta und den Landwirtschaftsminister Dan Constantin.

„Ich schreibe diesen Brief, weil ich fest daran glaube, dass die Probleme der Menschen im Delta gelöst werden können, wenn wir die Natur respektieren und schützen, aber auch durch die Einbindung der dort ansässigen Menschen, vor allem jener, die bei allem, was in den letzten 22 Jahren passiert ist, stets außen vor geblieben sind“, leitet er seine Klage ein. Menschen, die konkrete Projekte mit unmittelbaren Auswirkungen auf ihr tägliches Leben bräuchten, und dies schnellstmöglich. Die Europäische Union und Rumänien wären in der Lage, diesen Menschen, die sich in der Aktionsgruppe „Oamenii Deltei“ zusammengeschlossen haben, eine Lösung anzubieten.

Menschen,  die zu träumen wagen

„Oamenii Deltei“, das sind Bauern, Tierzüchter, Klein- und Mittelstandsunternehmer, Vertreter lokaler Gemeinden und öffentlicher Institutionen, aber auch einfache Menschen, Männer und Frauen, jung und alt, die Patzaichin in monatelangen Kampagnen immer wieder aufsuchte, sich über ihre Probleme informierte, ihnen zuhörte, sie überzeugte, Unterschriften sammelte und organisierte. Über 12.000 Menschen aus den Feuchtgebieten des Deltas, von Ceatalchioi, Pardina, Chilia Veche, Maliuc, Crişan, C. A. Rosetti und Sulina bis Sfântu Gheorghe stehen hinter dem Projekt. Ganze Monate verbrachte er mit Datensammlung, Treffen, Verhandlungen, Animationen, dem Abschluss von Partnerschaften, Pressearbeit und Promotion. Die enormen Kosten, die dabei anfielen, „übernahmen jene, die es wagten, zu träumen“, formuliert der ehemalige Sportler ein wenig bitter.

Während also ausländische Touristen von Fotoreisen und Naturabenteuer im Delta träumen, von dampfender Fischsuppe aus Donauwasser und anderen lokalen Köstlichkeiten, einem charmanten Reetdach-Gästehaus und ukrainischen Fischerliedern statt dröhnender Partymusik..., während sie beklagen, wie schwer man einen seriösen Anbieter von Bootsausflügen findet, der einem nicht das Fell über die Ohren zieht, weil er den fremden Akzent hört und Geld wittert, und dass Plastikflaschen in der wunderschönen Wasserlandschaft dümpeln..., währenddessen kämpft irgendwo am anderen Ende des Stranges jemand schon lange für die gleichen Dinge. Doch irgendwo ist der Knoten drin! Warum gibt es bis jetzt keine EU-Finanzierung für das Projekt? Warum keine Mittel vom Ministerium für Tourismus, Umwelt, Landwirtschaft ... Welche Bemühungen hat die „Asociaţia Ivan Patzaichin - Mila 23“ bisher angestrengt? Und was ist seitdem geschehen?

Rasanter Start und viele Pläne

Am 3. Mai informierte das Büro der Vereinigung noch euphorisch in einer Pressemitteilung: Nach einem Jahr harter Arbeit an Projekten und Aktivitäten der Bewegung Rowmania hätte sich „Oamenii Deltei“ zur Teilnahme an dem LEADER-Wettbewerb zur lokalen Entwicklung in Tulcea eingeschrieben. Ziel sei, einen der ersten 70 Plätze mit Zusicherung von EU-Finanzierung in Höhe von 2.850.000 Euro aus FEADR-Mitteln (Fondul European Agricol pentru Dezvoltare Rurală) zu erlangen. Im Anhang wurden die bereits erfolgten oder konkret in Umsetzung begriffenen Projekte geschildert:

1. Eine Werkstatt mit angegliederter Schule, in der das von Patzaichin aus der traditionellen Lotca touristenfreundlich umgestaltete Ruderboot „Canotca“ nach lokaler Bootsbautradition aus Holz hergestellt wird.
2. Das Ökotourismus-Infozentrum in Crişan als erstes von sieben weiteren, im Delta geplanten Stationen, mit Boots- und Fahrradverleih (www.slow tourism.ro/crisan/). Dort kann man sich über erschlossene Routen, Naturlehrpfade und lokale Sehenswürdigkeiten informieren oder ein Programm nach persönlichem Interessensprofil zusammenstellen lassen – zum Beispiel mit dem Boot nach Letea oder Sulina, dann weiter mit gemieteten Fahrrädern oder Pferden zu Naturparks, Museen, Häfen, Sennhütten, historischen Stätten oder dem Kloster Sipoc.

3. Ein Info-Zentrum zu Rowmania in Bukarest, mit künstlich angelegten Inseln auf der Dâmboviţa zwischen Nationalbibliothek und Unirii Platz, auf denen jeweils eine Zielregion für Ökotourismus in Rumänien vorgestellt wird. Zwischen den Inseln bewegt man sich natürlich rudernd im „Canotca“.
4. Das Internationale Ruderfestival in Tulcea, das vom 31. August bis zum 2. September 2012 stattfand und neben sportlichen Wettbewerben durch kulturelle Darbietungen die Tradition der verschiedenen Ethnien im Delta promovierte. Es soll jährlich wiederholt werden und sorgt wegen zeitlicher Korrelation mit dem internationalen Donaumarathon für internationale Aufmerksamkeit.
5. Ein Kooperationsprojekt mit der Ökotourismus-Vereinigung AER (Asociaţia de Ecoturism Romania, www.eco-romania.ro/) zur Entwicklung einer touristischen Infrastruktur im Donaudelta und im Haţeger Land, bei dem Rudern und Radfahren in Nationalparks im Mitelpunkt steht (siehe ADZ vom 23. März: „Radeln, Rudern und Reiten in Gottes weiter Natur“).

Zur Teilnahme an dem Wettbewerb hatte man, wie gefordert, ein umfassendes Projekt eingereicht. Da in dem Regelwerk gefordert wurde, jedes Projekt müsse eine lokale Aktionsgruppe in einer benachbarten Region im Landkreis angeben, wies man explizit darauf hin, dass dies im vorliegenden Falle gar nicht möglich sei – zum einen, weil es dort keine andere lokale Aktionsgruppe gibt (die einzigen beiden Anträge aus Tulcea aus dem Jahr 2010 waren nicht angenommen worden), zum anderen, weil das einzige benachbarte Gebiet die Ukraine ist! Patzaichin schreibt: „Wäre der eingereichte Plan analysiert und bewertet worden, hätte uns dieser ‚Mangel‘ schon fünf von 100 Punkten gekostet.“ Hinzu kommt, dass 2012 keinerlei Finanzmittel mehr für eine Instruierung zur Vorbereitung eines strategischen Plans für den Wettbewerb gewährt wurden – 2010 waren hierfür noch 4.500.000 Euro zur Verfügung gestellt worden. Dennoch war „Oamenii Deltei“ auf das Risiko eingegangen und hatte alle Kosten selbst aufgebracht. In dem Brief erläutert Patzaichin, er hatte unter diesen Umständen zumin-dest gehofft, dass man im Falle kleinerer Formfehler im Plan Rückfragen stellen würde. In einem beiliegenden Schreiben an das Ministerium hatte er dies explizit angeboten. Doch in der gesamten Periode der Evaluierung kam keine einzige Frage.

Ohrfeige für die Menschen im Delta

„Ich schreibe Ihnen, um Ihnen meine Unzufriedenheit im Zusammenhang mit der Ablehnung der Kandidatur von ‚Oamenii Deltei‘ als lokale Aktionsgruppe bekannt zu machen“, informiert Patzaichin den Premier. Die Bemühungen der Beteiligten, ihr Arbeitseinsatz, alle Treffen und nicht zuletzt sein eigener finanzieller Einsatz zur Unterstützung der Vorbereitung dieser Projekte – war dies alles umsonst? Die Initiativen, die zusammen mit den Gemeinden im Delta erdacht und in konkrete Vorschläge umgesetzt worden waren – alle umsonst? Ganz zu schweigen von den enttäuschten Menschen, die an „Oamenii Deltei“ geglaubt hatten...

Niemand weiß, wie es nun weitergeht. Doch Ivan Patzaichin wäre kein Kämpfer, wenn er sich von der ersten Niederlage entmutigen ließe. Seine bisherigen Erfolge sprechen für ihn. Immerhin hatten auch die Adressaten des Briefes, Victor Ponta und Dan Constantin, noch am 13. September an einem von der „Asociaţia Ivan Patzaichin - Mila 23“ initiierten Treffen zur nachhaltigen Entwicklung des Do-naudeltas in Crişan teilgenommen. Dort waren auch die Projekte vorgestellt worden. Interesse war also vorhanden.

Wo dann der Knoten in der Leitung sitzt, auf dem langen Entscheidungsweg von Tulcea bis ins Landwirtschaftsministerium in Bukarest – wir werden es vermutlich nie herausfinden. Oder hat man einfach vergessen, an der richtigen Stelle zu schmieren? „Ich appelliere an Ihre Vision für dieses Land“, schließt Ivan Patzaichin in seinem Schreiben an Ponta. Dem kann man sich nur aus tiefstem Herzen anschließen!