Junge Menschen zwischen zwei Kulturen

Auswanderung nach Schulabschluss fast vorprogrammiert

Dina und Teodora stehen vor Fragen, die viele Schülerinnen und Schüler der deutschen Schulen in Rumänien bewegen. Fotos: Luca Oprea

Teodora ist 16 Jahre alt und wurde in Bukarest geboren. Sie besucht die Spezialabteilung des Deutschen Goethe-Kollegs Bukarest. Sie ist entschlossen, nach dem Schulabschluss Medizin in Deutschland zu studieren. Bis vor Kurzem hat sie Theaterkurse besucht. Im Moment ist sie vom Klettern begeistert.

Dina wurde in Bukarest geboren und hat vor Kurzem ihren 18. Geburtstag gefeiert. Sie ist Schülerin der elften Klasse mit Schwerpunkt Philologie. Nach dem Schulabschluss wird sie Lehramt in Rumänien studieren, um danach ihren Master in Deutschland zu absolvieren. Dina arbeitet in einem deutschsprachigen Kindergarten, zu ihren Hobbies zählen Kunst und Schreiben.

Das Deutsche Goethe-Kolleg in Bukarest

Es ist der Fall mehrerer Jugendlicher, dass sie an der kulturellen Grenze zwischen Westen und Osten aufgewachsen sind. Unter welchen Umständen passiert das? Schauen wir uns den Fall der rumänischen Schüler der deutschen Schulen in Rumänien, unter anderen auch meinen Fall an.

Ich bin an dieser imaginären Grenze aufgewachsen, in einem Haus, das sich teilweise von der Realität im Umfeld unterschieden hat. Außerhalb dieser Türen herrschte eine andere Mentalität. Es gab Berührungspunkte mit der „anderen“ Wirklichkeit, doch als kleines Kind waren sie fast unmerklich. Das Deutsche Goethe-Kolleg in Bukarest hat mir geholfen, diese geistige Integrität teilweise zu behalten. Wir, die Schüler des Goethe-Kollegs, pendeln zwischen der Mentalität der Rumänen und der Mentalität der Deutschen, um schließlich einen eigenen, einzigartigen Mittelweg zu finden.

Schon seit den frühen Lebensjahren dieser Kinder gibt es eine stille Vereinbarung, dass nach der Reife des Individuums der Umzug nach Deutschland unvermeidbar passieren wird. Niemand fragt uns danach, doch wir werden mit dieser Idee, die eher unterschwellig existiert, aufgezogen, sodass der Westen eine unermessliche Anziehungskraft auf uns ausübt. Obwohl das keinesfalls etwas Negatives bedeutet, musste ich mir doch auch die Frage stellen: „Wieso denn?“

Die Antworten liegen in den durch die Flure der hoch bewerteten deutschen Schule wandernden lautlosen Silhouetten, denen niemand die Frage nach der Auswanderung stellt. Zwei dieser Fälle sind Dina und Teodora, Schülerinnen der elften Klasse, deren zwei verschiedene, jedoch ähnliche Situationen im Folgenden vorgestellt werden.

Teodoras Lebensgeschichte beginnt in Bukarest und nimmt eine unerwartete Wendung im Alter von vier Jahren, als sie mit der Familie nach Deutschland zieht. Den Kindergarten hat sie gerade in Rumänien angefangen, und schon begegnet sie der deutschen Kultur zum ersten Mal. Der Aufenthalt verlängert sich für eine Zeitspanne von zwei Jahren, bis die Familie mit Bedauern zurückkehren muss. Hätte sie die Wahl gehabt, wäre sie dort geblieben. Ihre einzigen Verbindungen zur deutschen Kultur sind bis jetzt Kindergarten, Schule und die zwei im Ausland verbrachten Jahre. Verwandte hat sie dort nicht.

„Ich habe es mir nicht ausgewählt, dort zu studieren, es war etwas, was man schon immer gewusst hat“, behauptet sie. „Mein Auswanderungsprozess“, ergänzt sie, „hat schon einige Zeit davor begonnen, zu-mindest im Gedanken.“

Ob sie in Deutschland als Rumänin oder Deutsche angesehen würde, ist für sie keine Frage. Sie meint, sie könne sich leicht für eine Deutsche ausgeben, da sie in einer ähnlichen Mentalität erzogen worden ist und schon Erfahrung dort gesammelt hat. „Die Tatsache, dass ich Rumänin bin, beeinflusst nur einige meiner Charakterzüge“, besteht sie auf ihrer Meinung.

„Warum ich umziehen werde? Erstens, weil das Bildungswesen dort besser ist. Rumänien hat mich schon oft enttäuscht. Außerdem passt die Mentalität von dort viel eher zu mir. Es gibt leider mehr Gründe für mich auszuwandern, als hier zu bleiben.“ Teodora ist von der Mentalität der Deutschen angezogen. Ihre Art und Weise, ihren Intellekt organisiert zu fordern, nicht ignorant zu sein, ethische Werte und Korrektheit zu besitzen, ist zu bewundern. „Dennoch bewundere ich die 10 - 20 Prozent, die sich entscheiden, hier zu bleiben, um etwas zu ändern, sie sind mir voraus“, gibt sie zu.

Dinas Geschichte fängt in Deutschland an und setzt sich in Rumänien fort. Nach neun Schuljahren am Deutschen Goethe-Kolleg zieht die Familie vorübergehend, für vier Monate, wieder nach Deutschland, weil es im Westen „eine Perspektive für die Zukunft gibt“. „Das ist wahrhaftig der Trend und man kann niemanden beschuldigen, es ist einfach so: Der Westen verspricht eine Zukunft, während im Osten alles in einem Koma liegt. Es ist auch unsere Schuld, denn niemand unternimmt etwas, um diese Situation zu ändern“. Die Lösung dafür sei die Entwicklung der Gesellschaft und das Aufgeben der Suche nach Entschuldigungen, meint sie.

Ähnlich wie Teodora plant sie eine Umsiedlung nach Deutschland, jedoch erst nach dem Bachelorabschluss in Rumänien. Der primäre Grund, warum sie das Land verlassen wird, ist der Beruf, der hier viel schlechter angesehen ist als in Deutschland. Dina will nämlich Lehramt studieren. Dort bietet man ihr mehr. Warum das so ist, erklärt sie mit herabgezogenen Mundwinkeln: „Die veraltete Mentalität engt uns ein, Lehrer sind in Rumänien nicht so gut angesehen, insbeson-dere Grundschullehrer. Im Westen haben alle Berufe ihren Wert.“

Dank des großen Emigrantenstromes werden viele Kulturen verflochten und es entsteht manchmal Chaos, doch genau dieses Chaos ist für uns hilfreich, da wir auch eine andere Mentalität besitzen, nicht pur deutsch, aber auch nicht pur rumänisch. Und genau vor diesem Chaos versuchen wir zu flüchten, oder? Auf ihrer „Flucht“ ist Dina in Deutschland über „unbeachtete Berge von Müll im Umfeld von Mülleimern“ gestolpert, was sie auch hier in Rumänien gesehen hat. Eine Erinnerung an die Ignoranz.

„Um zu schlussfolgern:“, wiederholt sie, „Ich verlasse das Land, weil mir dort mehrere Türen geöffnet werden und mir die Werte der Westlichen näher liegen“.

Wir besitzen das enorme Glück, obwohl nicht Einwohner Deutschlands, dort teilweise schon integriert zu sein. Unsere Entwicklungschancen stehen hoch und diese hohe Wahrscheinlichkeit, gebildet zu werden, sollte man intelligent ausnutzen. Diese Schüler sind in einer Verwirrung gefangen, eines Prozesses der Verwestlichung, der sie immer weitertreibt. Warum dieser ganze Tumult, warum diese Fragen? Um wahrzunehmen, dass wir den Auswanderungsstrom vermindern und einen neuen Trend in Gang setzen sollen, einen Wunsch für Änderungen in unserem Heimatland.

Alexandra Enciu ist Schülerin des Deutschen Goethe-Kollegs in Bukarest. Sie hat in der Redaktion unserer „Allgemeinen Deutschen Zeitung für Rumänien“ ein Praktikum absolviert.