Kein Kulturerbe ohne Bildung und Kommunikation

NGOs spielen wichtige Rolle zur Rettung gefährdeter Baudenkmäler

Das Logo des Projekts „Ambulanţa pentru Monumente“ trägt die unverkennbare Handschrift von Künstler Dan Perjovschi Foto: Facebook @ambulantapentrumonumente

Vier Personen aus den Verwaltungskreisen Kronstadt/Braşov und Hermannstadt/Sibiu trafen einander Dienstagabend, am 8. September, auf der Bildfläche der Online-Debatte „Patrimoniul naţional – Între mândrie goală şi acţiuni concrete“, um über mögliche Szenarien des zukünftigen Umgangs mit fünf teils hoch gefährdeten Baudenkmälern in den Regionen Hermannstadt und Mediasch zu beraten. Ihre Debatte konnte auf den Facebook-Accounts der Filialen Hermannstadt der bürgerlichen Union Rettet Rumänien (USR), der Partei für Freiheit, Einheit und Solidarität (PLUS) und des regionalen Bündnisses beider Parteien, die Mitte August ihre Fusion beschlossen haben, verfolgt werden, brachte es live jedoch gerade mal auf 35 Zuschauer. Wollte man sich den Titel der Debatte auf Deutsch vorstellen, würde er „Das nationale Kulturerbe – zwischen bloßem Stolz und konkreten Aktionen“ lauten.
Die Online-Debatte dauerte 70 Minuten und kann uneingeschränkt nachverfolgt werden. Wer im Ringen um das Für und Wider des Erhalts von Kulturerbe alles tendenziell rückwärtsgewandte Überbetonen der ethnischen Argumentationskomponente leid ist, dürfte sich vielleicht davon angesprochen fühlen, dass Ruxandra Cibu Deaconu, Kandidatin des USR-PLUS-Bündnisses für die Mitgliedschaft im Kreisrat Hermannstadt, und die drei Gäste der Debatte weder programmatisch noch politisch starken Gebrauch von Adjektiven wie „rumänisch“, „sächsisch“ und „ungarisch“ machen.

Pluralistisches Kulturerbe gehört allen und spart niemanden von der Verantwortung für die Schätze der Nachbarn von nebenan aus. Mihai-Alexandru Grigore, aus Bukarest stammend und seit zehn Jahren in Deutschweißkirch/Szászfehéregyháza/Viscri lebend, steuert unter dem Namen einer lokal beschlossenen Wahlallianz zwischen dem USR-PLUS-Bündnis und dem Demokratischen Forum der Deutschen in Rumänien (DFDR) die Mitgliedschaft im Lokalrat Bodendorf/Szászbuda/Bune{ti an, um bald über eine verbesserte Gestaltung des infrastrukturell unterentwickelten und touristisch immer häufiger überfrachteten Ortes Deutschweißkirch mitbestimmen zu dürfen. Architektin Anca Raluca Majaru, Beirätin im Kulturministerium unter Ex-Regierungschef und USR-PLUS-Bündnis-Co-Vorsitzer Dacian Cioloş, und Architekt Eugen Vaida, Leiter des Vereins „Monumentum“ und des Projekts „Ambulan]a pentru Monumente“, beteiligen sich nicht am Wahlkampf, begrüßen aber jedes politisch ausgesprochene Angebot auf Meinungsnachfrage im rechtschaffenen Expertenlager. „Kulturerbe ist eine Lektion für Bürgersinn, eine Bildungslektion“, unterstreicht Anca Raluca Majaru. Mihai-Alexandru Grigore pflichtet ihr bei und greift tief in die pessimistische Wortkiste: „Die Bevölkerung zu bilden, dauert zig Jahre. Es kann aber passieren, dass wir bis dahin kein einziges Baudenkmal mehr stehen haben. Drei Prozent der Bürgermeister und Behörden sind daran interessiert und erfüllen rechtzeitig ihre Dienstobliegenheiten, 97 Prozent aber sind nicht daran interessiert, weil sie so erzogen worden sind. Um hier in Deutschweißkirch auf einer Fläche von 35 Quadratmetern eingreifen zu können, haben ich und meine Familie ein Jahr lang auf den Genehmigungsbescheid warten müssen!“

Dass staatlich zwischen geschütztem und nicht geschütztem Kulturerbe unterschieden wird, Klassifizierung aber nicht zum Nachteil ungeschützter Immobilien werden darf, kommt in der Online-Debatte von Ruxandra Cibu Deaconu, Eugen Vaida, Anca Raluca Majaru und Mihai Grigore ebenfalls zur Sprache. Trägt ein altes Gemäuer nicht den Status nationalen Kulturerbes, kann nur eine vor Ort lebende Gesellschaft, die um den großen Wert ihres gefährdeten Baudenkmals Bescheid weiß, es vor dem Verfall retten und mitunter seinen langfristigen Erhalt sicherstellen. Das Einstehen der Ortsbevölkerung ist aber auch selbst dann noch wichtig, wenn eine ehrwürdige Immobilie zwar unter staatlichem Schutz steht, dieser hingegen viel zu lange Zeit auf sich warten lässt. Wirklich gute Bildung an der Basis der ruralen Gesellschaft und  der Wille der urbanen Elite der Politik treffen selten zusammen. Eugen Vaida, Mitglied der für die Verwaltungskreise Hermannstadt, Mure{ und Alba zuständigen Regionalkommission Nr.9 der Abteilung des Kulturministeriums für Historische Denkmäler, weiß aus eigener Erfahrung von einem fatalen Schlag zu berichten, den das Landschlösschen „Thobias“ bei Michelsdorf/Mihályfalva/Boarta (Nachbarort von Marktschelken/Nagyselyk/Şeica Mare) beinahe kassiert hätte: „Einmal unterbreitete uns der Kreisrat Hermannstadt den Vorschlag, das Landschlösschen „Thobias“ zu deklassieren, um es demolieren zu können. Auf diesem Niveau befinden sich sehr viele Behörden, und Hermannstadt ist da keine Ausnahme!“

Der Abriss des Landschlösschens konnte noch-mal abgewendet werden. Stattdessen bot der Kreisrat Hermannstadt das schmucke Anwesen im Sommer 2020 zum Verkauf an. Elena Lotrean und Radu Szekely, Gründer und Verwalter der privat geförderten Finnischen Schule Hermannstadt, dürfen sich seit Ende August stolze Inhaber des Landschlösschens „Thobias“ bei Michelsdorf nennen. Radu Szekely, Beirat im Bildungsministerium unter Ex-Ministerin Ecaterina Andronescu, geht als unabhängiger Kandidat in den aktuellen Wahlkampf um die Mitgliedschaft im Lokalrat Hermannstadt. Elena Lotrean hofft gleichfalls als unabhängige Kandidatin auf ihren Einzug in den Kreisrat Hermannstadt. Dem baufälligen Landschlösschen winkt eine Chance auf Rehabilitation durch Bildung.

Doch hat Eugen Vaida für den Kreisrat Hermannstadt auch Lob übrig: „In Săcădate (Sakadat/Oltszakadát, bei Freck/Felek/Avrig) haben sie eine Nichtregierungsorganisation unterstützt (Asocia]ia Vatra Satului Săcădate, Anm. d. Red.), die ein Haus gerettet und darin ein Museum eingerichtet hat“ (Casa Muzeală Vatra Satului Săcădate, eingeweiht im Sommer 2018; Anm. d. Red.). Eugen Vaida zufolge geht der Erfolg im Umgang mit gefährdetem Kulturerbe stets auf das Konto der Nichtregierungsorganisationen, die mehr Unterstützung vom Kreisrat verdienen. „Jedes Dorf bräuchte eine NGO!“

Am schlechtesten bestellt ist es um das fast vollständig eingestürzte Bolyai-Schloss in Bell/Bólya/Buia, worin Michael der Tapfere zur Zeit seines Vorstoßes auf siebenbürgischem Boden gewohnt haben soll. Ruxandra Cibu Deaconu beteuert, nirgendwo im Ort ein Schild oder einen schriftlichen Hinweis auf die Schlossruine entdeckt zu haben. Das Bolyai-Schloss kann unbewacht besucht werden und bedient leider, wie so oft in Rumänien, nur noch den Diebstahl von Baumaterial.

Nicht besucht werden kann das über 500 Jahre alte Schloss der Roten-Turm-Passstraße bei Ochsendorf/Bojca/Boi]a am Alt/Olt. Von 1917 bis 2003 wurde es als Waisenhausstätte genutzt, ehe es noch weitere vier Jahre eine psychiatrische Klinikabteilung beherbergte. Obwohl es seit 2007 leersteht, muss man sich mit seinem Anblick von außen begnügen. Etwas einfacher gestaltet sich die Chance, Einblicke in das nicht weniger adlige Apafi-Schloss von Elisabethstadt/Erzsébetváros/Dum-br²veni zu erhaschen, das Ruxandra Cibu Deaconu laut eigenem Bericht von innen besichtigt hat.

Im Brukenthal-Schloss Feigendorf/Mikeszásza/Micăsasa hat noch im Jahr 2001 die örtliche Schule funktioniert. Da das Dach seither jedoch nicht mehr gewartet wurde, bahnt sich das Regenwasser ungehindert Wege in die Schlossmauern. „Der Zustand eines Schlosses sagt nicht nur über das Schloss selbst Schlechtes aus, sondern ist auch ein Indikator für die Befindlichkeit der gesamten Gesellschaft in der Umgebung des Schlosses“, interpretiert Anca Raluca Majaru. Auch hat sie nicht Unrecht mit der Behauptung, dass die kommunistische Zeit nicht so heftig wie die letzten 30 Jahre gewesen wäre, die viel Kulturerbe den Gnadenstoß gegeben hätte. „Wir werden nicht alles retten können. Aber zumindest erlaubt uns die digitale Ära, in der wir leben, alles zu dokumentieren.“

Mihai-Alexandru Grigore hat nichts gegen den touristischen Ansturm auf Deutschweißkirch einzuwenden, ist aber weder auf den örtlich zuständigen Lokalrat von Bodendorf noch auf den Kreisrat Kronstadt gut zu sprechen. „Was wir von ihnen bräuchten, ist nicht so sehr das Geld, sondern zuallererst Gutgläubigkeit und die Erfüllung des gesetzlichen Rahmens für Infrastruktur und Management.“

Ob die Lokalwahlen von Sonntag, dem 27. September, eine nationale Kursänderung lostreten werden, die von der politischen Elite mehr Achtung für das Kulturerbe einfordert, ist unklar. Denn die Gewohnheit, allein zum Zweck persönlichen Wohlstands politische Karriere betreiben zu wollen, hat in Rumänien noch immer zahlreiche Fans, denen die Kommunikation mit wählenden Menschen so gut wie gar nichts bedeutet, und sei der Wahlkampf auch noch so freundlich inszeniert. Wählende, die sich ehrliche Kommunikation von oben nach unten wünschen, gewinnen leicht den Eindruck, an der Gesellschaftsbasis nicht für voll genommen zu werden. Kommunikation hat in Rumänien das Zeug zum Wort der Stunde. Doch wie immer ruht die Hoffnung auf politische Rehabilitation auf der Wählerschaft, die im Herbst und Winter 2020 gefordert ist, Mängel des politischen Establishments zu bemerken und zu sanktionieren – am Tag der Lokalwahlen und noch vor Jahresende am Tag der Parlamentswahl.