Knackpunkt Energieversorgung in Europa

Die energetische Abhängigkeit der Europäischen Union von Russland und geplante Lösungsmaßnahmen

Ein Tankschiff an einem LNG-Terminal in Nynäshamn (Schweden) | Foto: Wikimedia

Infografik der EU-Kommission im „REPowerEU“-Plan

Seit Beginn des russischen Kriegs gegen die Ukraine rückt das Thema Energieversorgung regelmäßig in den Fokus. Der Hauptgrund hierfür ist allseits bekannt: Die EU ist in großem Maße abhängig von Energieimporten aus Russland. Neu ist jedoch im aktuellen Konflikt um die Ukraine, dass Russland seine Energielieferungen erstmals als Waffe gegen die EU-Staaten einsetzt, die die Ukraine militärisch und finanziell unterstützen. 

Aus Sicht des Kremls sind die EU-Staaten daher „unfreundlich“, was dementsprechend bestraft wird: Einigen EU-Staaten hat Moskau bereits den Gashahn zugedreht, namentlich Polen und Bulgarien, sowie neuerdings auch dem britischen Gasversorger Shell und dem dänischen Versorgungsunternehmen Ørsted. Beide Unternehmen weigerten sich, die Gaslieferungen wie von Putin gefordert in Rubel zu begleichen. Es erscheint somit nicht abwegig, dass Russland bald auch die Gaslieferungen an andere EU-Staaten einstellt. Daher stellt sich die Frage, wie abhängig die EU tatsächlich von Russland im Energiesektor ist und wie die EU das Problem lösen möchte.

Energetische Abhängigkeit der EU von Russland

Die Importabhängigkeit der EU bei Rohstoffen lässt sich nicht schönreden, die Zahlen sprechen für sich. Laut dem Statistikbuch der Europäischen Kommission mit dem Titel „EU Energy in Figures“ von 2021 betrug die Importabhängigkeit der EU im Jahr 2019 von Ölprodukten 96,8 Prozent, von Erdgas 89,7 Prozent und von Steinkohle 69,6 Prozent. Der größte Lieferant für all diese Rohstoffe ist die Russische Föderation: 41,3 Prozent der Gasimporte von 2019 kamen aus Russland, sowie 26,9 Prozent der Erdöl- und 46,8 Prozent der Steinkohleimporte. Dass Russland der jeweils größte Exporteur für diese Rohstoffe ist, ist besonders bedenklich, da Erdölprodukte mit 34,6 Prozent und Erdgas mit 23,1 Prozent die beiden wichtigsten Energieressourcen innerhalb der EU sind. 

Rumänien stellt in der Statistik eine Ausnahme dar, da das Land eine große Unabhängigkeit von Energieimporten aufweist. 2019 kamen nur 30,4 Prozent der verbrauchten Rohstoffe aus dem Ausland. Damit steht Rumänien die Unabhängigkeit von Energieimporten betreffend auf Platz 3 innerhalb der EU, nach Estland und Schweden. Dies ist vor allem auf die großen Gasreserven Rumäniens zurückzuführen. Nur 23,2 Prozent des Erdgases wurden importiert, Tendenz jedoch stark steigend (2018 waren es nur 12,0 Prozent Importe). 

Es werden jedoch nicht nur Rohstoffe wie beispiels-weise Erdgas und Erdöl aus Russland in die EU importiert, sondern auch fertige Kraftstoffe, hauptsächlich Diesel. Laut einem Bericht des Instituts der deutschen Wirtschaft in Köln betrug der Anteil importierten Diesels im Jahr 2019 in den 27 EU-Staaten fast 11 Prozent. Diese Dieselimporte sind nötig, da innerhalb der EU sehr viele PKWs mit Diesel betrieben werden. In den Raffinerien kann jedoch aus Erdöl keine beliebige Menge an Diesel hergestellt werden, das Verhältnis zwischen Benzin, Diesel, Kerosin und weiteren durch den Prozess entstehenden Produkten ist chemisch vorgegeben. So kam es in der Vergangenheit öfters vor, dass die europäischen Raffinerien zu viel Benzin, jedoch zu wenig Diesel produzierten. Diesel musste daraufhin importiert werden, das überschüssige Benzin wurde meist in die USA exportiert.

Veränderte Lage aufgrund des Ukraine Kriegs

Seit Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine und die damit verbundene Unterstützung der Ukraine vonseiten der EU, wird diese energetische Abhängigkeit von Russland nun zum Verhängnis. Im Gegensatz zu früheren europäisch-russischen Konflikten setzt der Kreml nun die Energielieferungen als Waffe gegenüber der EU ein. Ständig kommen neue Drohungen aus Moskau, welche teilweise auch bereits in Lieferstopps mündeten. Bisher hat Russland seine Gaslieferungen an Polen, Bulgarien, Dänemark und den britischen Versorger Shell eingestellt. Der offizielle Grund aus Moskau ist, dass sich die Staaten bzw. Unternehmen weigerten, das Erdgas in Rubel zu bezahlen, was Präsident Putin zuvor per Dekret für alle „unfreundlichen Staaten“, zu denen alle EU-Staaten zählen, zur Pflicht gemacht hat. 

Der Kreml hat dabei ein perfides Modell entwickelt, das einige Unternehmen und EU-Staaten allerdings trotzdem akzeptieren. So dürfen die Gaslieferungen weiterhin wie vertraglich vereinbart in Euro oder US-Dollar bezahlt werden, müssen aber auf ein Konto bei der russischen Gazprombank überwiesen werden, die die Zahlung dann in Rubel konvertiert und an Gazprom in Rubel weiterüberweist. Durch die Konvertierung von Milliarden Euro und Dollar in Rubel möchte die russische Zentralbank den Rubelkurs stärken und der Inflation entgegenwirken, bisher mit Erfolg. Länder und Unternehmen, die dieses System nicht akzeptieren, welches im Übrigen die europäischen Bemühungen zur Schwächung Russlands untergräbt, bekommen kein Gas mehr. Deutschland als größter russischer Gasimporteur in der EU hat sich jedoch auf das Spiel eingelassen, welches zudem konform mit den EU-Sanktionen gegen Russland ist. 

Allen EU-Ländern (außer vielleicht Ungarn) ist die Abhängigkeit von Russland jedoch ein großer Dorn im Auge.

Mögliche Lösungsmaßnahmen der EU-Kommission

Die Staats- und Regierungschefs der EU forderten die Europäische Kommission im März auf, einen Plan vorzulegen, wie die energetische Abhängigkeit von Russland reduziert bzw. beendet werden kann. Diesen Plan mit dem Titel „REPowerEU“ legte die Kommission Mitte Mai vor. Der Plan der EU-Kommission verbindet elegant das Problem der Abhängigkeit von Russland mit Maßnahmen gegen den Klimawandel: Er basiert auf einer Diversifizierung der Energieversorgung, Energieeinsparungen und einer Beschleunigung der Energiewende. 

Das Entwurfspapier der Kommission versucht vor allem, die Abhängigkeit von russischem Erdgas zu reduzieren. Die vorher erwähnte Abhängigkeit der EU von russischem Erdöl ist hingegen deutlich weniger problematisch, da sich Erdöl leichter auf dem Weltmarkt beschaffen lässt als Erdgas. In dieser Einschätzung sind sich Experten und die EU-Kommission einig. Um die Abhängigkeit von russischem Erdgas zu reduzieren, schlägt die Brüsseler Behörde vor, dessen Verbrauch drastisch zu senken, u. a. durch eine Steigerung der Energieeffizienz. Zudem sollen anstelle von Erdgas andere nachhaltige Energieträger verwendet werden, beispielsweise Wasserstoff und Biomethan. Wo möglich soll zudem von Gas auf Strom umgestiegen werden, die EU-Kommission plant daher einen massiven Ausbau der nachhaltigen Strom-erzeugung aus Sonne und Wind. Dafür sollen neue rechtliche Rahmenbedingungen geschaffen werden, die den EU-weiten Ausbau deutlich vereinfachen und beschleunigen. Geplant sind außerdem „neue Energiepartnerschaften mit zuverlässigen Lieferanten“. Momentan für Erdgas, künftig sollen allerdings auch große Mengen an nachhaltig produziertem Wasserstoff in die EU eingeführt werden. 

Insgesamt kostet die energetische Unabhängigkeit von Russland laut EU-Kommission 300 Milliarden Euro. Zur Finanzierung dieses Maßnahmenpakets sollen auch neue CO2-Emmissionszertifikate verkauft werden, was  Fachleute wie der EU-Experte Matthias Buck vom Thinktank Agora Energiewende scharf kritisieren: „In der Folge werden auch die marktbasierten Anreize für Unternehmen geschwächt, in grüne Energie und Energieeffizienz zu investieren.“ Eine Finanzierungsquelle, die somit äußerst kontraproduktiv wäre.

Erdgasimporte aus Russland nicht sofort ersetzbar

Beim enormen Gasbedarf in Europa (379,9 Milliarden Kubikmeter waren es im Jahr 2020) lässt sich der Lieferant nicht von heute auf morgen wechseln, gerade wenn es um den Hauptlieferanten geht. Diese Einschätzung enthält auch indirekt der Plan der EU-Kommission, der stets betont, dass der Erdgasbedarf in der EU reduziert werden muss. Dies liegt vor allem an den zur Verfügung stehenden Möglichkeiten, das Gas nach Europa zu transportieren. Dies ist entweder per Pipeline oder per Schiff möglich. Gas aus Russland kommt hauptsächlich per Pipeline. 

Die weitere zur Verfügung stehende Möglichkeit, das benötigte Erdgas per Schiff aus anderen Ländern nach Europa zu importieren, scheint aktuell nicht als Lösung des Problems herhalten zu können. Bei per Schiff transportiertem Gas handelt es sich um Flüssiggas, sogenanntes LNG (Liquified Natural Gas). Dafür werden in den Häfen besondere LNG-Terminals benötigt, um die Tanker zu entladen. Diese Terminals lassen sich allerdings verhältnismäßig einfach bauen. Eine „Analyse möglicher Maßnahmen zur Reduktion der Erdgasimporte aus Russland“ der Technischen Universität Berlin von April diesen Jahres kommt zum Schluss, dass LNG-Importe aus anderen Ländern die Erdgasimporte aus Russland theoretisch auf nur noch 15 statt 42 Prozent verringern könnten. Dies liege daran, dass die bestehenden 33 LNG-Terminals in Europa nur zu ungefähr der Hälfte ihrer möglichen Kapazität ausgelastet seien. Mögliche Herkunftsländer könnten beispielsweise Katar, die USA oder Algerien sein. Das wissenschaftliche Dokument erklärt jedoch, dass dies in der Praxis aufgrund sogenannter Bottlenecks (Nadelöhre) nicht umsetzbar ist. Es handelt sich um das Problem der Engstellen an den innereuropäischen Interkonnektoren des Gasnetzes, d. h. der begrenzten Kapazität an den Verbindungsstellen zwischen den EU-Ländern. So könne z. B. das komplette Potential der LNG-Terminals auf der iberischen Halbinsel, die in dieser Berechnung 50 Prozent des europäischen LNG-Potentials ausmachen, komplett nicht genutzt werden, da die Gaspipeline zwischen Spanien und Frankreich bereits zu 100 Prozent ausgelastet ist.. Ähnlich sieht es auf der Importroute zwischen der Türkei und Bulgarien aus. Diese sei nur zu ca. 65 Prozent ausgelastet. Jedoch besteht zwischen Bulgarien und Rumänien ebenfalls ein Bottleneck, die Pipeline zwischen beiden Ländern ist zu 100 Prozent ausgelastet. Es ist ebenfalls nicht möglich, das Gas über Serbien nach Zentraleuropa zu leiten, da die Pipeline zwischen Serbien und Ungarn zu 100 Prozent ausgelastet ist. 

Der Import von Gas aus anderen Herkunftsländern ist somit aufgrund bestehender Probleme innerhalb des europäischen Pipelinenetzes nicht ohne weiteres umsetzbar und wird daher von der EU-Kommission auch nicht als Lösung angepriesen. 

Klimaschutz reduziert auch Abhängigkeit

Der Plan der Europäischen Kommission zur Reduktion der energetischen Abhängigkeit von Russland basiert zusammenfassend auf dem Gedanken, dass durch mehr Tempo beim Klimaschutz und bei der Dekarbonisierung der Wirtschaft die energetische Abhängigkeit von fossilen Energieressourcen aus Russland von alleine sinkt. Es handelt sich hierbei aller-dings um einen längerfristigen Prozess, mit dessen Umsetzung nun schleunigst begonnen werden sollte. Vorerst handelt es sich nämlich nur um einen Maßnahmenkatalog, der noch längst nicht beschlossene Sache ist. Vielleicht bringt jedoch der EU-Gipfel am 23. und 24. Juni Entwicklungen in dieser Problematik.