Knapp (?) daneben

Jüngst machte die durch immer stärkere Spannungen kaum noch zusammenzuhaltende Cîțu-Regierung überhaupt kein Aufhebens mehr daraus, dass eines ihrer diesjährigen Ziele, zumindest eine Impfdosis an mindestens fünf Millionen Bürger zu verimpfen, nach zweimonatiger Verspätung – gerechnet nach dem ursprünglich ausgegebenen Ziel – erreicht wurde. Damit „gelang“ es Rumänien wieder mal, sich „komfortabel“ ans untere Ende der EU-Liste zu platzieren. 

Das hat mit der Mentalität der Bevölkerungsmehrheit zu tun, diese Zurückhaltung vor der medizinischen Prävention, mit verknöchertem und stark von mittelalterlicher Religiosität, „Offenheit“ gegenüber Aberglauben, Bildungsmankos und falscher Erziehung (in der Familie, in der Schule) geprägtem Konservatismus und auch mit der Abneigung und dem festverwurzeltem Misstrauen vor allem, was Autorität heißt und Meinungen durchsetzen will. Diese Abneigung und dieses Misstrauen haben nichts mit dem Inhalt der Botschaften „von oben“ zu tun: Sie sind „grundsätzlich“. Viele Beobachter sprechen deshalb vom „endemischen Misstrauen der Bürger Rumäniens gegenüber Meinungen und Verordnungen der sie Regierenden“. Gesellt sich dann noch das unterdurchschnittliche Bildungsniveau breitester Bevölkerungsschichten dazu (was durch die Pandemie weiter gestärkt wird), erhebt sich die Mauer, die Impfbereitschaft ausschließt. In der Folge verpufft so der riesige (und teure) Werbeaufwand, den die Gesundheitsinstitutionen und die Regierung aufbringen, um die Impfbereitschaft zu entfesseln.

Das unterdurchschnittliche Bildungsniveau bewirkt Offenheit gegenüber der Impfgegner-Bewegung und ihren primitiven, aber griffigen ideologischen Wurzeln und den Verschwörungstheorien aller Nuancen, es macht blind angesichts des offensichtlichen und rasenden Ausbruchs der „Vierten“, der „Delta-Welle“. Das endemische Misstrauen gegenüber den Autoritäten – potenziert auch durch den schmutzigen Machtkampf um die PNL-Spitze und das „weise Schweigen“ des Präsidenten angesichts der Selbstzerfleischung „seiner“ Partei, beides eifrig (und oft mit wenig Kompetenz, aber mit viel parteiischem Interesse der Medien) öffentlich bekanntgemacht – bewirkt die Lähmung aller guten Absichten der staatlichen Verantwortungsträger. 

Auf all das sind die internen Uneinigkeiten der zusammengewürfelten Regierung darübergestülpt. Das Gesundheitsministerium möchte sein gesamtes Personal geimpft sehen, notfalls unter Androhung von „Zwang“, die parteilich beeinflussten Gewerkschaften sind strikt dagegen (mit stiller Unterstützung des Premiers?) – alles ohne Argumente, reinste Njet-Taktik. Die Regierungskoalition hat prinzipiell keinerlei Appetit auf irgendein gemeinsam abgestimmtes Vorgehen. Das kennt man ja schon bestens von der Einstellung zur Novellierung der unter PSD-Dragnea verhunzten Justiz-Schlüsselgesetze – wobei irgendwie irritierend ist, wie die Einstellung des Ungarnverbands (der bereits offen für die mittelfristigen Vorhaben der ungarischen Orbán-Regierung wirbt – Referendum zu den Parlamentswahlen 2022) „übersehen/übergangen“ wird, hingegen der Justizminister herhalten muss. Bei den Eisenbahnen kann keine (personelle) Ordnung gemacht werden, weil die USR mauert, obwohl wöchentlich eine Lokomotive brennt oder Züge zusammenstoßen. Als der (präsidial hochdekorierte) Patriarch Daniel frech in die Verhandlungen zur Haushaltsumschichtung eingriff mit seiner Forderung nach 220 Millionen Lei für die Tilgung der Schulden und den Weiterbau der orthodoxen Prunkkathedrale in Bukarest brachen die internen Streitigkeiten in der Regierung erst recht los. 

Bei alldem funktioniert ein einziger Dauerbrenner: Die suburbane Schlammschlacht zwischen dem amtierenden Vorsitzenden der dominierenden Regierungspartei und dem Regierungschef. Der eifrigste Dreckschleuderer wird Parteichef – könnte man meinen.