„Kunst schärft das kritische Denken“

Internationale Diplomaten und Geschäftsführer sprachen sich in Hermannstadt für kulturellen Fortschritt aus

Bürgermeisterin Astrid Cora Fodor (links) und Intendant Constantin Chiriac (rechts) im Rathaus Hermannstadt. Der hervorragend vernetzte Theatermacher hält große Stücke auf die Zusammenarbeit mit dem diskussionsbereiten Spielleiter Hunor Horváth, dem neuen Spielleiter der Deutschen Abteilung des Theaters. Foto: Klaus Philippi

Das Radu-Stanca-Theater Hermannstadt/Sibiu (TNRS) ist eine der sieben Schauspielstätten von landesweiter Bedeutung. Es führt das nationale Prädikat im Namen, behauptet sich aber dennoch als bislang einzige Ausnahme außerhalb pyramidal vorgegebener Rechenschaftspflicht, da es nicht dem Kulturministerium, sondern primär der städtischen Verwaltung untersteht. Constantin Chiriac, ausgebildeter Schauspieler und Generalintendant des TNRS sowie des Internationalen Theaterfestivals Hermannstadt (FITS), gibt sich als stolzer Direktor einer öffentlichen Kultureinrichtung, die ihr eigenes Wirken über regelmäßige Kurzzeiterfolge hinaus plant und die gesellschaftliche Langzeitentwicklung Rumäniens nachhaltig als bestimmendes Element voranzutreiben versucht. Nebst reichem Aufführungsbetrieb hat sich das TNRS mit nicht geringerem Eifer auch einem Bildungsauftrag verschrieben. Der wortgewandte Theatermacher und die amtierende Bürgermeisterin Hermannstadts, Astrid Cora Fodor (Demokratisches Forum der Deutschen in Rumänien, DFDR) standen am 15. November einem Arbeitstreffen zur zweiten Auflage der Jahrestagung der Diplomaten und Geschäftsleute im Rathaus am Großen Ring/Piața Mare vor.

Chiriac bedauerte den aktuell misslichen Fortgang im Vorfeld des Großprojektes „Temeswar Europäische Kulturhauptstadt 2021“ und erkannte hierin eine Folgeerscheinung gescheiterter Kommunikation im unzureichend funktionalen Netzwerk der Kulturszene in der Banater Hauptstadt. In Sachen überregionaler Vermittlung ist das Radu-Stanca-Theater aktiver Mitstreiter des Projektes „Creative Europe“, das den derzeit noch nicht in die EU aufgenommenen Balkanstaaten Nordmazedonien, Albanien, Montenegro, Serbien, Kosovo sowie Bosnien und Herzegowina noch vor Abschluss der Beitrittsverhandlungen zu unmittelbarer Teilhabe am Kulturgeschehen der Union verhelfen möchte.
Mehr als vierzehn Prozent des Hermannstädter Lokalhaushaltes werden jährlich auf das Geschäftskonto des TNRS überwiesen. Bürgermeisterin Fodor und Intendant Chiriac sind sich über die Großzügigkeit seitens des Rathauses einig, waren jedoch während des Arbeitstreffens darum bemüht, den anhaltenden Publikumserfolg des Theaterhauses prioritär auf entweder städtisches Entgegenkommen oder die Leistungsbereitschaft des künstlerischen Betriebsbüros am Theater zurückzuführen.
Das regionale Klima in Gesellschaft und Politik gestaltet sich kulturfreundlich. Trotzdem ist stetiges Aufrechterhalten der Publikumsnähe geboten. Hans Erich Tischler, Konsul der Bundesrepublik Deutschland (BRD) in Hermannstadt, vertritt die Ansicht, das Theater habe seit der Verpflichtung Constantin Chiriacs „einen Quantensprung“ erfahren. Er führte an, dass „ideelle und personelle Unterstützung seitens der Kulturvertretungen der BRD ebenso wichtig wie finanzielle Beiträge“ sind.

Die von alters her in Hermannstadt gelebte Mehrsprachigkeit und die Gewohnheit am TNRS, sämtliche Aufführungen mit Untertiteln in der jeweils anderen Sprache zu bestreiten, wurden wiederholte Male wertschätzend erwähnt. Auch herrschte Einigkeit ob des Erfolgs der am Vorabend an der Deutschen Theaterabteilung gefeierten Premiere des Stückes „Einige Nachrichten an das All“ von Autor Wolfram Lotz und Gastregisseur Josef Maria Krasanovsky. Astrid Cora Fodor entschuldigte sich für ihr Fernbleiben von der Premierenvorstellung, da sie am selben Freitagabend traditionsgemäß an der Eröffnung des Hermannstädter Weihnachtsmarktes anwesend hatte sein müssen.

Thomas Kloiber, Direktor des Österreichischen Kulturforums in Bukarest, unterstrich, dass Gelegenheiten solcher Art nicht ausschließlich zum Lob genutzt werden sollen: „Ich hätte mir gewünscht, dass an diesem runden Tisch die österreichischen Bemühungen auch von Vertretern der wirtschaftlichen Ebene unterstützt worden wären!“ Wie alle mitredenden Gäste nahm auch Chiriac die Stellungnahme zur Kenntnis, jedoch nicht ohne im selben Zuge den Gastaufenthalt des Burgtheaters Wien – „das einzige Theater der Welt, dessen Existenz in der Staatsverfassung gesetzlich verankert ist“ – während des FITS 2020 in Hermannstadt zu erwähnen.
„Beim Sprechen in einer anderen Sprache muss die dahinter verborgene und kulturell unterschiedliche Dimension mitbedacht werden, wenn ideelle Transferleistung und Vermittlung von Werten gelingen sollen“, so Dr. Saskia Schmidt, Leiterin des Kulturreferats der Deutschen Botschaft Bukarest und Übermittlerin der Grüße von Botschafter Cord Meier-Klodt und Dr. Jochen Umlauf, Direktor des Goethe-Instituts Bukarest.

Daniel Plier, aktiver Schauspieler sowie ehemaliger Spielleiter der Deutschen Abteilung am TNRS und Honorarkonsul des Großherzog-tums Luxemburg in Hermannstadt, gab das Versprechen, sich um die Fortführung des partnerschaftlichen Verhältnisses mit dem Theater Esch-sur-Alzette bemühen zu wollen, und erinnerte daran, dass Luxemburg an der Ende Oktober durchgeführten Erstauflage der Österreichischen Kulturtage in Hermannstadt stark mitbeteiligt war.
Hunor Horváth, seit Jahresanfang 2019 Spielleiter der Deutschen Abteilung am Radu-Stanca-Theater in der Nachfolge von Daniel Plier, kündigte für Januar und Februar 2020 Gastvorstellungen der zweisprachigen Inszenierung der Komödie „Der zerbrochene Krug/Urciorul sf²râmat“ in Mühlbach/Sebeș an. Horváth findet „Querdenken sehr wichtig“, zeigte sich erfreut über den zahlenmäßig hohen Anteil von Schülerinnen und Schülern des Brukenthalgymnasiums und des pädagogischen Gymnasiums im Publikum der Premiere der neuen Inszenierung „Einige Nachrichten an das All“, und möchte „den Minderheiten-Diskurs auf eine neue Stufe heben. Was heißt Sprache, was heißt Identität? Die Wechselwirkungen zwischen dem, was war, und dem, was sein können wird, erzeugen letztlich Identität!“

Heinrich von Kleists intrigantes Lustspiel wurde heuer bereits auswärtig in Blasendorf/Blaj aufgeführt. Alexander Firsching, Senior-Vizepräsident und Handelsdirektor der dort ansässigen Zweigstelle der Robert Bosch GmbH, hat den Erfolg der Theateraufführung, gleichzeitig aber auch mangelhafte Diskussionsfreudigkeit zuschauender Werksangestellter beobachtet und feststellen können, dass letztere mit zu wenig Interesse an der internen Umsetzung des Themas ‘Compliance‘ (englisch für Übereinstimmung) arbeiten. „Alle hatten gesehen, dass der Krug zerbrochen war, wollten aber dennoch nichts anderes, als nur wegschauen. Wir aber wollen genau solche unangenehmen Fragen gemeinsam angehen. Damit die Menschen anfangen, sich selbst zu hinterfragen: Warum verschweige ich Dinge, die ich sehe? Wir wollen verhindern, dass gelogen werden muss, wir wollen transparent sein!“

In die Kerbe kultureller Öffnung schlug auch Klaus Eichhorn, Generaldirektor der Gesellschaft Star Assembly S.R.L. Mühlbach, eines Tochterunternehmens der Daimler AG. Zwar gab er offen und ehrlich zu, dass sich die wirtschaftliche Situation „eingetrübt“ hätte, Siebenbürgen jedoch nach wie vor landesweit dem entspricht, was Baden-Württemberg in Deutschland darstellt: ein „Power-House“. Er stellte außerdem klar, „dass wir nur als Gäste hier sind und uns entsprechend verhalten“, und dass „Demokratie“ und „Gutsherrenführung nach altem Vorbild“ nichts miteinander gemein hätten.

Thomas Emmerling, Kurator des Kunsthauses 7B in Michelsberg/Cisnădioara, bezeichnet Hermannstadt als Ausnahme und Besonderheit, da Wirtschaft und Kultur an diesem Ort im Gleichgewicht zueinander stünden. „Aber ich würde mir wünschen, dass Künstler zuhause Künstler sind und ihr Leben nicht an der Kasse bei Lidl und Carrefour fristen müssen.“ Emmerling blickte auf die Ausstellung „La Mas²“ am Internationalen Flughafen Hermannstadt zurück: „Wenn die Leute nicht in die Museen kommen, dann müssen eben wir dorthin, wo die Leute sind. Kunst, meine Damen und Herren, schärft das kritische Denken!“

„Es gibt nicht nur physische Kläranlagen, sondern auch geistige. Bitte, Frau Bürgermeisterin, investieren Sie auch in eine geistige Kläranlage!“, so der Wortlaut einer freundlichen Anrede von Gerhard Lehner, Intendant und kaufmännischer Leiter des Klagenfurter Ensembles (Bundesland Kärnten, Österreich), der erstmalig auf Besuch in Hermannstadt war und als Antwort erhielt, dass der Bau eines neuen, größeren und modernen Theaterhauses am aktuellen Standort des TNRS zwar geplant, aber noch nicht begonnen worden sei.

Regisseur Josef Maria Krasanovsky bedankte sich für die Einladung an das Radu-Stanca-Theater und stellte einen Vergleich zwischen seinem österreichischen Heimatumfeld und Hermannstadt an: „Auch wenn man hier anfangs sehr mutig sein muss, klappt es danach immer! Da, wo ich herkomme, ist es genau umgekehrt, da muss man nicht mutig sein, wird aber auch nicht beachtet.“
Ausführlich besprochen und gewürdigt wurde die rettende Vorsprache von Botschafter Cord Meier-Klodt beim Ex-Kulturminister Valer-Daniel Breaz im Frühjahr, als der Kulturhaushalt Rumäniens um 30 Prozent gekürzt worden war und folglich auch Großereignisse wie beispielsweise das FITS 2019 Gefahr liefen, nicht veranstaltet werden zu können. Bürgermeisterin Astrid Cora Fodor erlaubte sich die Aussage, „dass die Kultur besser wird laufen können, solange die Regierung liberal bleibt.“