Lebensmittel im Wandel der Zeit

Es war zu jenen Zeiten, als die staatlichen Läden nicht stattlich ausgestattet waren und die Menschen der Stadt ihr Gemüse und Obst aus dem eigenen Vorgarten holten - oder vom Markt in der Unterstadt. Der Junge wollte nicht so recht der Aufforderung der Großmutter folgen und Opa auf den Markt begleiten - volle Einkaufstaschen heim schleppen war weniger gut als sich den Bauch voll schlagen - Oma kochte so gut! 

Auf dem Markt begann Opa im Zickzack von einem Stand zu einem ganz anderen zu gehen, befühlte die Ware mit leichtem Fingerdruck, fragte skeptisch nach dem Preis, rümpfte die Nase. Manchmal reduzierte die Bäuerin am Marktstand den Preis. Er nickte, ging aber ohne zu kaufen weiter. Der Bub verfolgte schweigend das Ritual. Erst nachdem der Großvater die aktuelle Marktlage kannte, ging er gezielt auf zwei Marktstände zu, wo er verhandelte. Der Bub bemerkte, wie er auf einen anderen Stand zeigte und etwas von „niedrigerer Preis“ erwähnte, die Ware in die Hand nahm und wieder zurück legte, den Geldbeutel zückte und wieder einsteckte. Schließlich zeigte er auf den Bub und die Bäuerin wünschte ihm, er möge groß wachsen und gab ihm eine Pflaume. Dann plötzlich ging alles schnell: Opa sagte fünf Kilogramm, die Marktfrau begann die Waagschale zu füllen und griff seitlich auf schrumpliges Gemüse zurück. Opa lächelte mild und zeigte auf die schöne Ware im vorderen Bereich, die Bäuerin resignierte und griff von dort die appetitlichen Stücke auf und legte ein kleines Gewicht nach: 5,2 Kilogramm. Ok, aber zum ausgemachten Preis von fünf Kilogramm, hakte Opa nach und schaute kurz zum kleinen Jungen, der die Einkaufstasche sodann geöffnet hoch hielt, die kopfnickend von der Marktfrau mit Vinete befüllt wurde. Es folgte noch ein Kilogramm weiße Zwiebeln, die zwar würzig, aber mit milderem Aroma als rote Zwiebeln waren und für Vinetesalat, der eigentlich ein Brotaufstrich ist, besser geeignet erschienen. 

Daheim entfernte Oma die gußeisernen Ringe von der Herdplatte und garte die Vinete auf offener Gasflamme, wendete sie mehrfach, bis aus der angebrannten Hülle Saft hervortrat. Zwischendurch wurde die Zwiebel geschält und in ganz kleine Würfel geschnitten. Die geschälte Vinete wurde streichfertig zerkleinert, mit Zwiebeln und Olivenöl vermengt und mit Salz und Pfeffer abgeschmeckt - fertig. Entscheidend war, wie die Vinete auf offener Flamme in eigener Haut gegart worden sind, ohne einen angebrannten Geschmack zu entwickeln. Erfahrung für selbstgemachte Vinete ist etwas, das man am besten von Opa und Oma lernt.

Jahre später erfuhr der einstige Bub, dass die Vinete eigentlich Auberginen mit O heißen und der Aufstrich im kleinen Gläschen mit der Aufschrift „vegan“ zu erhalten war. Die dreifach größere Menge weniger fein zerkleinert gab’s zum halben Preis, aber ohne jene Aufschrift, bei einem Einzelhändler mit Spezialitäten vom Balkan. Auberginenschmirage mit dem Geschmack der Kindheit bereitete aber niemand mehr zu. Opa und Oma würden die Welt nicht mehr verstehen.