Liebe, Treuebruch und Tod

Berlinale-Film „Undine“ von Christian Petzold im Kino

Wie der deutsche Regisseur und Drehbuchautor Christian Petzold in der Vergangenheit mit dem Schauspielerduo Nina Hoss und Ronald Zehrfeld in seinen Filmen höchst erfolgreich war, man denke etwa an „Barbara“ (2012) und „Phoenix“ (2014), so sind es nun Paula Beer und Franz Rogowski, die mit und in Christian Petzolds Filmen Erfolge feiern können: im Film „Transit“ (2018), der im Rahmen der 13. Deutschen Filmtage in Bukarest zu sehen war, und nun im Film „Undine“ (2020), der wegen der Pandemie erst jetzt in die rumänischen Kinos gekommen ist.

Für den Film „Undine“, der auf der letztjährigen Berlinale seine Weltpremiere erlebte, erhielt Christian Petzold den begehrten FIPRESCI-Preis, und Paula Beer in dessen Titelrolle wurde mit dem Silbernen Bären für die beste Darstellerin ausgezeichnet. „Undine“ ist der erste Teil der von Christian Petzold geplanten filmischen Romantik-Trilogie, die sich den von Paracelsus so bezeichneten Elementarwesen zuwendet: den Luft-, den Erd- und den Wassergeistern, zu deren letzteren Undine zählt.

Der Undine-Stoff kam insbesondere in der Epoche der Romantik literarisch zur Darstellung, etwa bei Achim von Arnim, E.T.A. Hoffmann oder Friedrich de la Motte Fouqué, wobei die Verbindung eines menschlichen (männlichen) Wesens mit einem elbischen (weiblichen) Wesen im Mittelpunkt steht. Zentral ist dabei das Motiv des Liebesverrats, der zu Trennung und Tod führt. Dass der Undine-Stoff durchaus der Modernisierung fähig ist, zeigt die Erzählung „Undine geht“ (1961) von Ingeborg Bachmann, die den romantischen Kontext aus einer feministischen Gender-Perspektive in den Blick nimmt.

Um solch eine moderne Variante des Undine-Stoffes geht es auch in Christian Petzolds Film. Undine ist hier eine promovierte Historikerin, die in der Berliner Senatsverwaltung arbeitet und deutschen wie internationalen Gästen die städtebauliche Entwicklung der deutschen Hauptstadt anhand verschiedener Stadtmodelle von der Gründung bis zur Gegenwart erläutert. Man erfährt dabei, dass sich der Stadtname Berlin vom slawischen Wort für „Sumpf, Morast, feuchte Stelle“ ableitet. Der Bezug zum Wasserwesen Undine ist also bereits von Anfang an augenfällig, man könnte sogar noch weiter gehen und sagen, dass unter dem städtebaulichen Firnis elementare Kräfte, hier verkörpert durch den Wassergeist Undine, wirksam sind, die jederzeit die Kruste der Zivilisation durchbrechen und nach oben dringen können, nicht zuletzt auch in politischer Hinsicht gemäß dem Sponti-Spruch „Unter dem Pflaster liegt der Strand“.

Auch der Treuebruch wird gleich zu Beginn des Films erzählt. Undines Freund Johannes hat sich in eine andere Frau verliebt und teilt Undine während einer Arbeitspause in einem der Senatsverwaltung gegenüber liegenden Café mit, dass er sie verlassen wird. Undines Drohung, dass sie ihn töten werde müssen, wenn er nicht bei ihr bleibt, lässt Johannes kalt und er besiegelt den Liebesverrat endgültig, indem er das Café verlässt, wo Undine ihn nach der Arbeit anzutreffen wünscht.

Nachdem die ersten beiden Schritte des mythologischen Schemas, nämlich Liebe und Treuebruch, am Anfang des Films bereits getan sind, erwartet man, etwas erstaunt, auch gleich noch den dritten und finalen Schritt: den Tod des Geliebten. Doch ab diesem Punkt entfaltet sich erst die eigentliche Filmhandlung, die an Mystery- und Fantasy-Elementen nicht spart. Als Undine wie verabredet ins Café zurückkehrt, um Johannes zu sehen und ihn von seinen Trennungsabsichten abzubringen, trifft sie dort auf Christoph, einen Industrietaucher, und in einem quasi surrealen Akt zerbricht kurze Zeit später das Aquarium des Cafés, in dem just die Miniaturfigur eines Tauchers stand, der dann mitsamt Wasser, Zierfischen und Glasscherben auf das neue Liebespaar herab geschwemmt wird. Der Zauber der alten Liebesbeziehung ist damit gebrochen und die Magie der neuen gestiftet.

Auch die Namen der Filmfiguren lassen den Bezug zum Wasser deutlich werden und zeigen zugleich, dass Film und Literatur, Regisseur und Drehbuchautor, in Christian Petzolds „Undine“ eine unauflösliche Einheit bilden. Die beiden Geliebten Undines tragen Namen, die auf das Element des Wassers anspielen: Johannes tauft Jesus am Jordan, wobei das Wasser zum Heil spendenden Element wird, und Christoph(orus) trotzt der durch das Wasser ausgehenden Gefahr, indem er das Jesuskind unbeschadet durch das bedrohliche Element trägt. Und Undines Nachname Wibeau lässt sich nicht nur, auf eine deutsche und eine französische Silbe verteilt, als Wasserweib entziffern, sondern spielt zudem auf Ulrich Plenzdorfs Werk „Die neuen Leiden des jungen W.“ an, dessen Protagonist Edgar Wibeau die Nachfolge des durch Suizid aus dem Leben geschiedenen Werther Goethes antritt.

Da sich Christoph als Industrietaucher beruflich öfters im Rheinland aufhält – er führt dort Unterwasserreparaturarbeiten in einem Stausee durch, der der Elektrizitätsgewinnung dient –, wird die Liebesbeziehung zwischen ihm und Undine partiell zu einer Fernbeziehung, gekennzeichnet durch Bahnreisen und Telefonate. Dennoch trägt ihre Liebe Züge einer Amour fou und ähnelt einer glückseligen Insel dyadischer Intimität. Durch Unachtsamkeit fällt eines Tages die Miniaturtaucherfigur, die Undine aufbewahrt hat und die zum Symbol ihrer beider Liebe geworden ist, auf den Boden und das rechte Bein bricht ab, das von Undine sogleich sorgsam wieder angeklebt wird. Dieser symbolische Riss manifestiert sich dann jedoch auch real in der Beziehung der beiden Liebenden. Bei einem Spaziergang begegnet das Paar Undines Ex-Geliebtem Johannes mit seiner Neuen, aber Undine gesteht dies in einem späteren Telefonat mit Christoph nicht ein. Nun ist sie es, die Liebesverrat begangen hat, und das mit schrecklichen Folgen. Christoph verletzt sich bei einem Tauchgang am rechten Bein (!) und wird von einer Turbine danach viel zu lange unter Wasser gehalten, sodass er im Krankenhaus später für hirntot erklärt wird.

Nun wird die Filmhandlung noch unerklärlicher und mysteriöser. Als Undine den leblosen Christoph im Krankenhaus besucht, erwacht dieser auf mirakulöse Weise aus seinem irreversibel erscheinenden Hirntod und alles scheint nun doch wieder auf ein Happy End hinauszulaufen. Wenn nur die Macht der mythologischen Magie nicht wäre! Denn nachdem Undine Christoph vom Tode errettete, als Wiedergutmachung ihres eigenen Liebesverrats, muss sie nun ihren Ex-Geliebten Johannes wegen seines Treuebruchs zu Tode bringen, sinnigerweise im Element des Wassers: sie ersäuft ihn in seinem eigenen Swimming Pool und verschwindet danach völlig von der Bildfläche.
In einem „Zwei Jahre später“ überschriebenen Epilog wird dann die Nachgeschichte überliefert. Christoph versucht nach seiner Genesung vergeblich, Undine aufzuspüren, und verliebt sich, nachdem er die Hoffnung, diese wiederzufinden, aufgegeben hat, in seine Arbeitskollegin Monika, die einzige (griech. mona), die ihn zu leben ermahnt (lat. monere) und die außerdem ein Kind von ihm erwartet. Bei einem Tauchgang in demselben Stausee, in dem er fast den Tod gefunden hatte, begegnet er dann in der nassen Tiefe unerwartet Undine wieder, die ihn aber letztlich doch freigibt und ihn damit endgültig ins Leben entlässt, während sie selbst als dämonischer Wassergeist wieder in ihr ureigenes Element zurückkehrt.

Neben dem optischen Genuss – auch die Unterwasseraufnahmen, etwa mit dem Riesenwels, sind allesamt äußerst gelungen – und neben dem schauspielerischen Genuss kann man Christian Petzolds Film auch musikalisch vollauf genießen. Die Klavierversion der Bachschen Cembalobearbeitung (BWV 974) des langsamen Satzes von Alessandro Marcellos Oboenkonzert in d-moll begleitet den Zuschauer auf wunderbare Weise durch den gesamten Film wie auch der Song der Bee Gees „Stayin’ Alive“, in dem es heißt: „Feel the city breakin’ and everybody shakin’, and we’re stayin’ alive.“