Luftwaffenpilot Stefan Hencz rettet Temeswar vor Katastrophe

Vier Jahrzehnte alte Geschichte unter heutigen Voraussetzungen aufgearbeitet

Valentin Carra – der Stefan Hencz nicht persönlich kannte – hat auf eigene Kosten eine Gedenkstätte im Hof der orthodoxen Kirche in Freidorf eingerichtet.

Viorel Breban zeigt über den Bega-Kanal in Richtung Getreidesilos. „Von da kam das Flugzeug in seinem ungewollten Tiefflug“. Daneben: Valentin Carra und Pfarrer Claudiu Roşoiu.
Fotos: Zoltán Pazmány

Der Luftwaffenleutnant Stefan Hencz (im Bild rechts) wurde 1951 in der Ortschaft Sugeagu im Verwaltungskreis Klausenburg geboren. Im Juli 1974 war er gerade mal ein halbes Jahr verheiratet.
Archivfoto: privat

Die einen glauben, beim Produktionsvolumen von anno 1974 hätte eine Explosion des Temeswarer chemischen Kombinates Solventul in einem Umkreis von 30 Kilometern erhebliche Schäden angerichtet, andere sind der Meinung, das  Stadtviertel Freidorf wäre dem Erdboden gleich gemacht worden. Wie dem auch sei, Fakt ist, dass der damals 23 Jahre alte Luftwaffenpilot Stefan Hencz vielen Menschen das Leben gerettet hat. Dafür jedoch bezahlte er mit seinem eigenen, da er sich aus seinem schadhaften Flugzeug erst dann zu katapultieren versuchte, als er sicher war, dass das aufgegebene Überschallflugzeug keine Personen verletzt oder tötet. 2014 – vierzig Jahre nach jenem denkwürdigen 4. Juli – brachte der Kommodore i.R., Valentin Carra, eine Gedenkstätte im Hof der Freidorfer orthodoxen Kirche an. Kommodore Carra strebt nun eine weitere – auch wenn späte Ehrung des Stefan Hencz durch die Stadtverwaltung – an, denn Stefan Hencz sei „einfach ein Held“.

Der bekannteste Freidorfer ist zweifelsohne Johnny Weissmüller, Experten zufolge der beste Tarzan-Darsteller, den es je gegeben hat. „Doch der hat keine Menschenleben gerettet“, sagt Viorel Breban. Er gehört zu den wenigen heute noch lebenden Augenzeugen, die den Absturz des Überschallflugzeuges vom Typ MIG und den leblosen Körper des jungen Piloten Stefan Hencz an der Absturzstelle gesehen haben. Auf der Trasse des defekten und deshalb schwer steuerbaren Flugzeuges von Stefan Hencz befand sich außer dem Solventul-Betrieb auch die Methangasabfüllanlage bei Temeswar, sowie die Kläranlage, bei der ebenfalls – wegen der Giftgase – Explosionsgefahr bestand, sagt Valentin Carra, der als 13-Jähriger viel von dem Unglück mitbekommen hat, da sein Vater damals Regimentsleiter des Militärflughafens bei Temeswar gewesen ist.

Stefan Hencz muss sich irgendwo im Raum des Stadtviertels Ronaţ oder des Flughafens für Nutzfliegerei Cioca befunden haben, als sich ein technischer Defekt an seinem Überschallflugzeug einstellte. „Plötzlich konnte ich ihn nicht mehr sehen“, sagte vor Kurzem sein damaliger Kollege, Iulian Carzol, der zusammen mit Hencz gestartet war, auf Nachfrage der Banater Zeitung. „Ich versuchte, mit ihm Kontakt aufzunehmen, doch er antwortete nicht“, so Iulian Carzol weiter. Unterdessen verlor das Flugzeug zusehends an Geschwindigkeit und Höhe.

„Wenn der Motor streiken sollte, suche dir, wenn möglich, einen Platz in einer unbewohnten Gegend und katapultiere dich“, hatte ihm sein Patrouillenleiter Aurel Zugravu noch vor dem Übungsflug mit auf den Weg gegeben. „Es war wie eine Vorahnung. Ich hatte ihn genau darauf angesprochen, was er denn machen werde, wenn ein Motorschaden eintritt“, sagt Zugravu in einem Telefongespräch der BZ. Maximale 45 Sekunden hat es - Kommodore Valentin Carra nach - von dem Augenblick an gedauert, als Hencz den technischen Defekt erkannte und bis die MIG 21 etwa einen Kilometer hinter der Modoş-Brücke in Freidorf in einem Ackerfeld aufschlug. „Ich hörte gewaltigen Motorenlärm und sah dichten, schwarzen Rauch aufsteigen“, so heute, mehr als 41 Jahre nach dem tragischen Ereignis, Viorel Breban, damals Angestellter des Unternehmens für Kommunalbewirtschaftung in Temeswar. Er war an der städtischen Kläranlage beschäftigt und sah das Flugzeug anfliegen. Auch war er einer der ersten, die sich an der Unfallstelle befunden hatten. Aus dem Flugzeug geschleudert, steckte der Pilot mit dem Kopf in der Erde. Er war sofort tot. Das Flugzeug lag ziemlich kompakt auf dem Ackerboden, allein die Frontscheibe befand sich einige Meter vom Wrack entfernt.

Augenzeugen wie Viorel Breban konnten erkennen, dass die Flughöhe des Überschallflugzeuges auf den letzten eineinhalb Kilometern bis zu dessen Absturz überaus gering war – niedriger als die Getreidesilos sei die Maschine geflogen. „Überschallflugzeuge sind eben gebaut, um mit einer hohen Geschwindigkeit aufzuwarten“, sagte Valentin Carra. Also kein Vorteil für einen Piloten eines Überschallflugzeuges, dessen Maschine ausnahmsweise langsam fliegt. Hencz habe - ständig an Höhe und Geschwindigkeit verlierend – den Militärübungsplatz hinter der Kläranlage angesteuert, doch dann sah er wohl, dass sich da mehrere Personen befanden, so die heutigen Vermutungen. Deshalb verzögerte er seine Katapultierung und die Aufgabe des Flugzeuges erneut. Am oberen Ende des Übungsplatzes, über dem Erdwall zum Auffangen der Geschosse, kam es dann zu einem Vorfall, der wohl mitentscheidend für den Tod des Piloten war. Unterschiedlich sind die Meinungen, wie es denn letztendlich zum Absturz gekommen ist. Während Viorel Breban glaubt, dass das Flugzeug mit den Rädern den Auffangwall am Ende des Übungsplatzes gestreift habe, ist Valentin Carra fast überzeugt, dass ein Flügel der Überschallmaschine den Erdwall berührt und das Flugzeug in eine Schieflage gebracht haben musste. Fakt ist jedoch, dass der Pilot schräg aus dem Flugzeug geschleudert wurde und beim Aufprall zu Tode kam. Und bei all der Tragik kann Pikanterie am Rande nicht ausbleiben. Beim Aufprall war die Armbanduhr des Piloten noch da, sagt Viorel Breban, als die ersten Militärs der Untersuchungskommission am Unfallort eintrafen, war sie jedoch weg. Feldarbeiter, die sich dem Wrack genähert hatten, ließen den Zeitmesser wohl mitgehen.

Vierzig Jahre nach dem heldenhaften Tod des Militärfliegers hat Valentin Carra aus Eigenmitteln und mit der Unterstützung von Pfarrer Claudiu Roşoiu eine Gedenkstätte eingerichtet. Sie liegen an der Straße, die einem anderen Märtyrer gewidmet ist: Gogu Opre, der in den Tagen der Dezemberrevolution von 1989 gefallen ist. Nach Stefan Hencz selbst ist derzeit noch keine Straße benannt und auch sonst erinnern sich nur wenige an den Piloten – das Ereignis ist 40 Jahre danach nur noch wenigen schwach in Erinnerung. Sogar in Militärstrukturen ist das Unglück ein wenig unter gegangen: Der Krieg in Zypern hatte begonnen hatte und danach musste die Militärparade vom 23. August vorbereitet werden. Zwei Aspekte, die zumindest in den Augen der damaligen politischen Spitzen weitaus wichtiger waren, als der Tod eines jungen Piloten. Für den ehemaligen Patrouillenleiter Aurel Zugravu gilt Hencz jedoch als „Held, der in Vergessenheit geraten ist“.