„Man muss lernen, wie ein Chinese zu denken“

Die erste erfolgreiche Akupunktur war für Dr. Mihai Mătasă der Sprung in eine neue Welt

Auf der Suche nach energetischen Blockaden

Akupunkturpunkte lassen sich auch schmerzlos elektrisch stimulieren.

Dr. Denisa Ungureanu beeindruckte durch Forschungen mit wisenschaftlicher Präzision und akribischer Dokumentation. Fotos: George Dumitriu

Von Blutsenkung und Röntgen, Tabletten und Spritzen  will Dr. Mihai Mătasă nichts wissen. Stattdessen zückt er ein Wattestäbchen und bittet den Patienten, es unter der Zunge ausgiebig hin und her zu bewegen. Mit der Speichelprobe zusammen wandert noch ein kleines Haarbüschel ins Röhrchen.

Ein paar Tage später bekommt man das Ergebnis auf zwei Bögen im Din- A3-Format. Einmal die „Diagnose“, die den Gesundheitszustand diverser Organsysteme verrät, dann die auf deren Basis zusammengestellte, individuelle Behandlungsinstruktion –  ein Blatt mit streng verbotenen, empfohlenen und neutralen Lebensmitteln. „Was hab ich denn nun für eine Krankheit?“ bohrt so mancher neugierig nach und erwartet, wie von Ärzten sonst gewohnt, einen Schwall kryptischer medizinischer Begriffe. Etwas Greifbares eben. Doch der würdige ältere Herr mit den gütigen Äuglein lächelt nur und schweigt ...

Dann dirigiert er einen auf die Liege und zückt ein Gerät, das einem Lötkolben ähnelt. „Zzzt - zzzt“ surrt es fast unhörbar und ehe man sich’s versieht, prickelt es ein wenig an den berührten Stellen. Elektropunktur nennt man das Verfahren, das Akupunkturpunkte statt mit pieksenden Nadeln völlig schmerzlos elektrisch stimuliert. „Das ist europäischer“ erklärt  Dr. Mătasă mit einem verschmitzten Lächeln und bezieht sich auf die in unserem Kulturkreis verbreitete Angst vor Nadeln. Das Wunderding verrät ihm darüber hinaus, ob auch der richtige Punkt getroffen wurde.

Seine Praxis wimmelt vor merkwürdigen Geräten, deren Zweck und Funktion er nur ungern erklärt. Denn Erläuterungen nach westlicher Manier, einem Wissenschaftsgebäude, dessen Medizin auf lokalisierbaren  organischen Störungen und krankheitsbildspezifischen Symptomen basiert, haben hier einfach keinen Sinn. Zu verschieden sind schon die Ansätze, ja selbst unsere Sprache schränkt uns ein, bindet uns an ein logisches Konzept, das es im asiatischen Heilwesen in vergleichbarer Form nicht gibt. „Man muss lernen, wie ein Chinese zu denken“, verrät der Doktor augenzwinkernd.

Was ist Traditionelle Chinesische Medizin?

Wer zu ihm kommt, muss also glauben. An Chi-Energie, die unseren physischen Leib  mitsamt seinen nichtmateriellen Schattenkörpern in virtuellen Kanälen durchfließt. An wirbelnde Verbindungskanäle oder Chakren, die wie Gullisysteme den Energieaustausch zwischen all diesen Körpern sichern.

An Kräuter, Diäten, Magnetkugeln, Schröpfgläser mit brennendem Räucherwerk oder Nadelstiche an bestimmten Stellen, die alle nur einen Zweck haben: den Fluß der Energien, deren Ungleichgewicht sich durch Krankheit manifestiert, wieder ins Lot zu bringen. Betrachtet wird stets der ganze Mensch, nicht nur ein bestimmtes Organsystem. Hinzu kommt, dass es in der Traditionellen Chinesischen Medizin (TCM) eine ganze Reihe Begriffe gibt, die in unserer Wissenschaft keine Entsprechung finden: Chi, Yin und Yang, oder die fünf Elemente Holz, Feuer, Metall, Wasser und Erde, die verschiedene Energiequalitäten beschreiben.

Vielleicht fällt es gerade deshalb so schwer, die Ansätze dieser teilweise 5000 Jahre alten Heilkunde, die sich in ähnlicher Form auch im indischen Ayurveda wiederfinden, nachzuvollziehen und ihre Erfolge nach unseren Kriterien zu messen. Hinzu kommt, dass in der TCM präventiv behandelt wird – nicht erst, wenn das Kind schon in den Brunnen gefallen ist und der Mensch auf physischer Ebene Krankheitssymptome zeigt. 

Pollen und Kräuter für Leistungssportler

Doch auch was Kräutertherapie betrifft, ist Dr. Mătasă ein wandelndes Lexikon. Seine oft unkonventionellen Empfehlungen – ein Bärlappkissen gegen hartnäckige Kopf- und Kreuzschmerzen, Weihrauchkapseln bei entzündlichen  Kniebeschwerden – beenden dennoch so manchen Leidensweg auf verblüffend einfache Weise. Natürlich, nicht-invasiv und  ganz ohne Risiko.

Auch kann es durchaus vorkommen, dass er einen Patienten mit Wirbelsäulenbeschwerden dazu verdonnert, täglich einmal auf allen vieren auf Knien und Ellenbogen über den Teppichboden zu rutschen. Der erstaunte Patient – immerhin ein pensionierter General fortgeschrittenen Alters – war schon kurz danach beschwerdefrei.  Dies nach jahrelangem Pilgern durch die Praxen hochkarätiger Spezialisten, die schon mit Operation zu „drohen“ begannen... So finden seine Patienten meist durch Mundpropaganda den Weg in seine Praxis. 

Zwischen 1991 und 2001 betreute Dr. Mătasă die nationale rumänische Volleyballmannschaft. Die Leistungssportler hielt er vor allem mit Apitherapie fit: Honig, Pollen und Apilarnil - ein Stoff, der aus Drohnen gewonnen wird.  Bei schmerzhaften Verletzungen während des Spiels, verrät Dr.  Mătasă, wirkten starke Magneten Wunder, die jedoch nur kurzzeitig eingesetzt werden dürfen.

Heute drücken sich die Patienten in der Eingangshalle des zweistöckigen Gebäudes des Apollo Ärztehauses die Klinke zu dem Behandlungsraum, auf den nur ein schlichtes Metallschild mit der Aufschrift „Akupunktur“ hinweist, in die Hand. Nur kurzer Zeit später verläßt ihn so mancher mit einem Leuchten im Gesicht. Das Geheimnis? Zuhören statt Abfertigungsmaschinerie im Fünfminutentakt. Vielleicht aber auch eine Offenheit, die man bei herkömmlichen Medizinern vermisst. Zufällig werde ich Zeuge einer seltsamen Unterhaltung: Eine ältere Dame  erzählt von selbst erlebten,  mysteriösen Zwischenfällen, die sich keiner erklären kann und ihr Umfeld verstört. Der Arzt hört nachdenklich zu und kommentiert: „Ein Poltergeistphänomen.“

Kein Spott kommt über seine Lippen, kein süffisantes Lächeln, kein Griff zum Rezeptblock oder nach Beruhigungsmitteln. Es gibt nun mal unerklärliche Dinge zwischen Himmel und Erde.

Persönliches Schlüsselerlebnis

Der eigenwillige Lebensweg von Dr. Mătasă  begann mit einem Schlüsselerlebnis im Jahr 1979, noch in kommunistischer Zeit. Damals praktizierender Zahnarzt,  befasste sich der junge Mediziner bereits mit Akupunktur, doch nur auf theoretischer Basis. Die Faszination daran hatte schon in seiner Studentenzeit ein Artikel ausgelöst. Doch gab es damals in Rumänien nicht viel Literatur, oder sie war schwer zu beschaffen.

Zu seinem Erstaunen konnte ihm jedoch nicht einmal sein Vater Dr. Alexandru Mătasă – eine Kapazität auf dem Gebiet der orthopädischen Chirurgie, der auch alternativer Medizin offen gegenüber stand – Auskunft über die Hintergründe der Akupunktur erteilen. Dies gab dem jungen Studenten den Ansporn, nach weiterer Lektüre zu fahnden. Nur mit viel Mühe gelang es ihm, nach und nach theoretisches Wissen anzusammeln. Bis eines Tages in der Praxis, in der er 1979 arbeitete, plötzlich der Sterilisationsapparat ausfiel.

Der Patient saß schon auf dem Behandlungsstuhl und alles wartete ungeduldig auf die Betäubungsspritze, die nicht kam. Da entschloss sich Dr. Mătasă mit Einwilligung des Patienten, Akupunktur erstmals praktisch auszuprobieren – und siehe da, es funktionierte auf Anhieb! Der Patient durchstand den Eingriff völlig ohne  Schmerz und winkte sogar ab, als die sterilen Betäubungsspritzen endlich daherkamen. Das eindrucksvolle Erlebnis bestärkte den jungen Mediziner, sich diesem neuen Weg nun endgültig zuzuwenden. „Ohnehin hatte mir der Beruf des Zahnarztes keine innere Befriedigung verschafft“, unterstreicht Dr. Mătasă seinen Entschluß.

Eine bedeutungsvolle Begegnung

Als in Bukarest 1985 ein Akupunkturzentrum eröffnet wurde, meldete er sich sofort für alle Kurse an. Dort begegnete er auch einer aufgeschlossenen Kollegin, deren ernsthafte wissenschaftliche Studien über Homöopathie und andere alternative Heilmethoden er zutiefst bewunderte. Anders als die eifersüchtig über ihr Wissen wachenden Kollegen, weihte ihn Dr. Denisa Ungureanu  bereitwillig in ihre Forschungen ein. Bald steckten die neuen Kollegen ständig ihre Köpfe zusammen und ließen einander stets  an neuen Erkenntnissen teilhaben.

Auch gelang es Dr. Ungureanu, über Verbindungen nach Deutschland immer wieder neue Fachliteratur über alternative Medizin zu beschaffen, die sie für sich und ihren Kollegen in akribischer Genauigkeit ins Rumänische übersetzte. Als nach dem Fall des Kommunismus sogar Reisen möglich waren, öffneten sich die Schleusen für weitere Lehrwerke und bislang in Rumänien unbekannte Apparaturen, die sie von dort mitbrachte. Triumphierend hält Dr. Matasă ein Gerät in die Höhe, das ein wenig einer Waage ähnelt: „Das hab ich mir selbst gebaut, nach der Vorlage aus Deutschland.“

Es handelt sich um ein mechanisches Bioresonanzgerät, das ähnlich wie ein Potenziometer funktioniert: Legt man auf die eine Metallplatte die eingangs erwähnte Probe des Patienten und auf die andere die eigene Hand, spürt man beim Bewegen des Schiebers entlang der Skala an einem bestimmten Punkt ein leichtes Kribbeln. Der angezeigte Frequenzbereich gibt Aufschlüsse über die Art der Störung. Wie beim Pendeln oder Wünschelrutenlauf dient jedoch der menschliche Körper als Mittler.

„Doch mit etwas Übung kann dies jeder spüren“, versichert Dr. Mătasă. Auch mit den Konzepten der Hildegard Medizin, den Heilmethoden der berühmten Äbtissin von Bingen aus dem frühen 12. Jahrhundert, mit Dinkeldiät und Homöopathie machte ihn seine Mentorin in langjähriger Zusammenarbeit vertraut.

Ihr unerwarteterTod hinterließ eine tiefe Lücke im Leben von Mihai Mătasă. „Ich verdanke ihr viel“, sagt der Mediziner leise. Dass ihm die treue Fachkollegin seine gesamte Bibliothek hinterlassen hat, ist nur ein geringer Trost ...

Eintauchen in die asiatische Denkweise

Im Bukarester Akupunkturzentrum in der Strada Visarion gastierten oft auch chinesische Experten für beschränkte Zeit. Selbst sie waren nicht uneingeschränkt bereit, ihr Wissen mit den rumänischen Ärzten zu teilen. Zur Aura elitären Stolzes und national motivierter Geheimniskrämerei kamen sprachliche Barrieren hinzu. Und doch verstand es Mihai Matasă stets, sich unaufdringlich an deren Fersen zu heften, sich nützlich zu machen und unauffällig jede ihrer Bewegungen zu beobachten. „Viel hab ich auf diese Weise ‚mit den Augen gestohlen‘“lacht er schelmisch. So lernte er nicht nur ihre Methoden, nach und nach enthüllte sich ihm durch diese Kontakte auch die Denkweise der Asiaten.

Viele Therapien,  erläutert Dr. Matasă, basieren auf nichtlokalen Prinzipien, die unserem westlichen Ansatz völlig fremd sind. Eine besondere Rolle im chinesischen Weltbild spielt jedoch die Zeit. Weil sich die Qualität des Zeitflusses auf der Basis natürlicher Rhythmen ständig ändert, variiert damit auch der Energiefluss in den Meridianen, was bei Diagnose und Therapie berücksichtigt werden muss. „Alle zwei Stunden wechseln die Zeitfrequenzen“,  erklärt er den kleinsten dieser Rhythmen. Je nach Zeitrhythmus können gleiche Symptome bei verschiedenen Menschen unter Umständen auf völlig unterschiedliche Krankheiten hinweisen und müssen dementsprechend unterschiedlich behandelt werden.

Die Idee vom Einfluß sich wiederholender Zeitzyklen war schon in der Antike in verschiedenen Kulturkreisen bekannt. In Indien sprach man von Tattwa-Schwingungen, die alle zwei Stunden ihre Polarisierung ändern. Auch die Mayas maßen die Zeit in verschiedenen, wiederkehrenden  Zyklen. Größere Schwingungsperioden wurden an astronomischen Ereignissen gemessen.

Auch im Alten Ägypten flossen astrologische Aspekte in Medizin und Heilkunst ein. Für all dies gibt es in der westlichen Wissenschaft keinerlei Entsprechung, weil unser Weltbild – Physik, Sprache, Medizin – auf der Vorstellung eines linearen, gleichmäßigen, einseitig gerichteten  Zeitflusses beruht.

Wo aber liegt die Wahrheit? Von den zwei Seiten der Medaille sehen wir  meist nur die eine, die zufällig mit dem Gesicht nach oben liegt. Dass es nicht nur  eine Wahrheit gibt, daran erinnern Menschen wie Dr. Mihai Mătasă.   Menschen, die sich die Freiheit nehmen, auch die andere Seite zu betrachten, die sie nicht erklären können, sondern nur anwenden – und bestaunen ...