„Meine Filme sollen Brücken bauen, Menschen miteinander verbinden, egal wo auf der Welt“

ADZ-Interview mit der Filmemacherin Grit Merten

Schmalspurbahnen, Regional- und Interregionalzüge führen durch die herrliche siebenbürgische Landschaft. Foto: Grit Merten

Prächtige Landschaften mit Bergen, Urwäldern und märchenhaften Schlössern, einsame Dörfer und deren traditionell lebenden Einwohner, faszinierende Interviewpartner und ihre spannende Projekte und Geschichten – aber auch alte, schaurige Sagen und Legenden über Untote sind im Dokumentarfilm „Mit dem Zug durch… Transsilvanien“ zu sehen. Züge, alte und neue, führen den Zuschauer auf die über 600 Kilometer lange Bahnstrecke von Arad über Hermannstadt/Sibiu und Schäßburg/Sighișoara bis nach Törzburg/Bran, auf der Suche nach dem blutrünstigen Graf Dracula. Die Produktion des deutschen Fernsehsenders SWR (Südwestrundfunk), die in Zusammenarbeit mit dem deutsch-französischen Sender ARTE entstand, läuft im Rahmen der langjährigen TV-Reihe „Eisenbahn-Romantik“ und ist bis zum 20. Januar kostenfrei auf den Internet-Seiten der beiden Sender (www.arte.tv bzw. www.swrfernsehen.de) zu sehen. 
Grit Merten (Jahrgang 1974), die Regisseurin der Dokumentation, wurde für ihre Reisedokumentationen mehrfach für internationale Preise nominiert, unter anderem für den„Goldenen Delfin“ des „Cannes Corporate and Media Award“. 2011 erhielt sie „Das Goldene Stadttor“ der ITB Berlin, die führende Fachmesse der internationalen Tourismus-Wirtschaft. Über ihr 45-minütiges Werk, das dem „Land hinter den Bergen“, wie Siebenbürgen bekannt ist, gewidmet ist, hat Merten mit ADZ-Redakteurin Laura Căpățână-Juller gesprochen. 


Graf Dracula scheint eher ein Vorwand zu sein, in deinem Film Transsilvanien vorzustellen. Warum wolltest du Siebenbürgen präsentieren?
Rumänien und speziell Siebenbürgen ist bekannt für seine wunderschöne Natur, seine interessante Geschichte, für seine reichen Traditionen und seine Gastfreundschaft, aber eben auch für die Figur des „Dracula“. All das waren für mich Argumente, dem Sender ARTE eine Filmreise in dieses spannende Land vorzuschlagen. 
Dracula ist dabei sowohl ein Zugang zur Historie des Landes, als auch ein unterhaltsamer Aspekt im Film. Denn dem fiktiven Charakter „Dracula“ als blutsaugendes Monster liegt eine historische Person – Vlad Drăculea – zugrunde Unsere heutige Vorstellung vom Vampir entstammt dem 1897 erschienenen Roman des irischen Schriftstellers Bram Stoker, der sich von Vlad Drăculea oder auch „Vlad dem Pfähler“ inspirieren ließ. 
Mich interessierte aber vor allem, was ist Wahrheit, was ist Legende und wo liegen die Wurzeln des transsilvanischen Untoten-Kults, der allerdings nur wenig mit blutsaugenden Vampiren zu tun hat. Wichtig war mir zudem zu zeigen, dass „Dracula“ eine Marke geworden ist und nicht überall, wo Dracula draufsteht, auch Dracula drin ist. Doch ich verstehe gut, dass diese Marke ein wichtiger Wirtschaftsfaktor in Rumänien geworden ist, auch wenn man genau zwischen Fiktion und historisch belegten Tatsachen unterscheiden sollte. Und es macht ja auch Spaß, sich ein wenig zu gruseln. Damit spiele ich visuell im Film natürlich auch.

Was hast du für dich mitgenommen von dieser dreiwöchigen Arbeitsreise?
Wir haben während der drei Wochen Dreharbeiten einen tiefen Einblick in die transsilvanische Welt erhalten. Dafür bin ich äußerst dankbar. Dass die Landschaft wunderschön ist, das wusste wir natürlich bereits vorher. Aber die Offenheit der Menschen vor Ort, die mit viel Idealismus und Engagement versuchen, ihre Welt zum Besseren zu verändern, hat uns als Team stark beeindruckt.
Ich denke da an Tică Darie, der gegen eine scheinbare Übermacht der Gold-Industrie versucht, seiner Heimat rings um Roșia Montană eine nachhaltige Zukunft zu sichern. Denn die Debatte um das Auswaschen des restlichen Goldes aus dem Gestein mit Zyanid ist noch nicht beendet. Tică dagegen nutzt die handwerklichen Fähigkeiten der Einwohnerinnen und hat ein soziales Unternehmen aus dem Boden gestampft, das erfolgreich und weltweit mit Strickwaren handelt. Hauptsächlich Rentnerinnen setzen die handgestrickten Unikate um und können sich damit Geld dazuverdienen. Alle Beteiligten gewinnen also, der Käufer bekommt ein tolles Produkt, Tică als Unternehmer sichert für sich und seine Angestellten den Lebensunterhalt – und nicht zuletzt profitiert die Natur davon, wenn dem umweltzerstörerischen Goldabbau etwas entgegensetzt wird. Was für ein schönes Beispiel für die erfolgreiche Verbindung von Tradition, Innovation und einer positiven, nachhaltigen Zukunftsvision. 

Im Film treten sehr interessante Leute auf, unter ihnen Graf Tibor Kalnoky. Wie verlief euer Besuch bei ihm, in Micloșoara?
Das war schon etwas Besonderes, einen echten Grafen und seine Familie in Transsilvanien kennenlernen zu dürfen. 
Wir wurden sehr herzlich und unprätentiös empfangen und haben uns sofort wohlgefühlt. Graf Kalnoky erzählte uns die lange, spannende Geschichte seiner Vorfahren. Auch, dass seine Familie vor Ceaușescu flüchten musste, er nach der politischen Wende zurückkam und mit viel psychologischem Feingefühl die Menschen vor Ort für sich einnehmen konnte. Erst dann begann er, die bis zu 600 Jahre alten Anwesen seiner Familie nach historischem Vorbild zu sanieren. Er ist seither als zuverlässiger Arbeitgeber vor Ort sehr geschätzt.
Und seine Gästehäuser sind wirklich wunderschön, traditionell mit viel Fingerspitzengefühl von seiner Frau eingerichtet, und sie können von jedermann gemietet werden. 
Gräfin Kalnoky hat zudem eine eigene – wie ich finde – sehr wichtige Vision: Sie unterstützt ansässige Kinder und Jugendliche. Sie bringt alle zusammen und überwindet auf diese Weise nicht nur Vorurteile, sondern bietet schulische Nachhilfe, lehrt die Kinder in sozialen Projekten das Schwimmen, Reiten, Tanzen und fördert so Talente, die wiederum eine Chance für ein erfolgreiches Berufsleben darstellen können.
Ich schätze die Familie Kalnoky sehr für ihr Engagement und ihre Offenheit.

Auch Georg Hocevar, ein gebürtiger Österreicher, der seit Ende der 1990er Jahre im Kreis Hunedoara lebt und sich für die Bewahrung der Schmalspurbahnen in Rumänien einsetzt, ist eine Persönlichkeit. Wie fandest du den Aufenthalt in Criscior, bei seiner Fabrik?
Georg Hocevars unglaubliche Arbeit, ein solches Eisenbahn-Werk zu übernehmen (Anm. d. Red. die Fabrik wurde 1910 zur Bergbauausstattung gegründet) und am Laufen zu halten, hat ihm auch bei deutschen Eisenbahnfreunden höchsten Respekt eingebracht.  Aber ganz ehrlich, ich hätte mir nicht vorstellen können, was mich letztlich an seinem Standort erwartet. Für mich und vor allem für Eisenbahnnostalgiker, aber auch für unseren Kameramann, war dieses Werk ein wahrer Bilderschatz, eine visuelle Zeitreise in die gute alte Dampflok-Ära. Es fühlte sich fast wie eine Filmkulisse an, unglaublich spannend und schön, dass so etwas noch immer existiert. Ich hoffe, dass dies noch lange Zeit so bleibt, denn abgesehen vom nostalgischen Aspekt, schafft Georg Hocevar Arbeitsplätze vor Ort, und das ist extrem wichtig für eine der ärmsten Regionen Rumäniens. 
In Deutschland werden viele touristische oder kulturelle Einrichtungen durch finanzielle Förderungen unterstützt. Georg Hocevar erzählte mir, dass er keine Förderungen erhält und das Betreiben der Dampfzüge komplett vom Erfolg seines Unternehmens abhängig ist. Ich wünsche ihm, dass viele Gäste seine Ambitionen unterstützen und die Schmalspurbahnen nutzen. Denn so kommt nicht nur Geld in die gesamte Region, sondern die Bahnen als Industriedenkmäler werden erhalten, und das Erlebnis, mit den historischen Stahlrössern durch die urige transsilvanische Landschaft zu dampfen, ist eh unbezahlbar. 

Wie war es für dich, als Naturliebhaberin, einen der letzten Urwälder Europas zu besuchen? 
Es war ein erhebendes Gefühl und hat mich extrem demütig gemacht. Die riesigen, uralten Baumgiganten, das endlos scheinende Grün mit seiner reichen und ursprünglichen Tierwelt, sie lassen dich als Mensch erkennen, wie klein und unbedeutend du bist. 
Umso wütender macht es mich, dass es Menschen gibt, die diese letzten Urwälder Europas aus reiner Profitgier abholzen möchten oder dies illegalerweise sogar tun. Natürlich weiß ich um die Armut der Menschen in dieser Region, aber es gibt Programme und Vorschläge, um Waldbesitzer und Anwohner zu entschädigen und den ansässigen Bewohnern Wissen zu vermitteln, wie wichtig die Wälder auch für künftige Generationen sind. 
Christoph Promberger, der seit über 20 Jahren in Șinca Nouă lebt, widmet sich dem Erhalt des Urwaldes in der Nähe der Fogarascher Gebirge. Er gründete die Stiftung „Conservation Carpathia“ (FCC), die im Zentrum Rumäniens den größten Wald-Nationalpark Europas schaffen möchte. Seine Erfolge sind beeindruckend: Mittlerweile wurden mehr als 23.000 Hektar Urwald aufgekauft und das Gebiet wird von Rangern überwacht. Ich habe selten ein Interview so genossen wie das mit Christoph Promberger. Sein Idealismus ist ansteckend und ich versuche ihn und seine Arbeit zu unterstützen, so gut ich kann. Denn, wie er im Interview sagte: Dieser rumänische Urwald könnte der Yellowstone Park Europas werden – ein Schatz, auf dem Rumänien sitzt. Und blickt man in die Welt, auf Klimawandel und Waldsterben, so scheint jeder Baum, der gerettet wird, wie ein Statement. Ich kann daher nur dazu aufrufen, Christoph Promberger und die FCC (www.carpathia.org) zu unterstützen.  Denn ich wünsche mir dass auch meine Enkel und Urenkel dieses erhabene Gefühl spüren dürfen, das ich hatte, als ich das erste Mal im rumänischen Urwald stand. 

Würdest du wieder nach Siebenbürgen kommen? Wohin und warum dorthin?
Ich würde sehr gern wieder nach Siebenbürgen kommen, dann aber privat. Bei einem Dreh ist man doch sehr an den Zeitplan gefesselt. Zeit, die Umgebung auf sich wirken zu lassen, gibt es kaum. Besonders bedauert habe ich den Zeitmangel in Sighișoara/Schäßburg. Was für eine Historie, welch tolle Altstadt, reizende Restaurants und Hotels – das werde ich mir sicher noch einmal ganz in Ruhe anschauen. 
Zudem habe ich den Wunsch, Graf Kalnoky und Christoph Promberger noch einmal zu besuchen. Denn beide sind große Pferdefans, wie ich auch. Und ich würde gern einmal Transsilvanien auf dem Pferdesattel erleben. Das ist wirklich ein Traum von mir. Wenn ich darüber nachdenke, vielleicht ist das ja sogar ein Thema für eine neue Dokumentation… 

Du machst Dokumentarfilme über Züge für die SWR-Sendesreihe „Eisenbahn-Romantik“ seit 2002. Was gefällt dir daran?
Der Zug ist ein tolles, filmisches Medium, um ein Land, eine Region zu entdecken. Es gibt immer etwas zu sehen und oft ist die Geschichte eines Gebietes eng an die Eisenbahngeschichte gekoppelt. Denn die Eisenbahn war früher das wichtigste Transportmittel. Ein Bahnhof in der Stadt bedeutete die Anbindung an die große, weite Welt. 
Ich liebe vor allem die Geschichten entlang der Bahnstrecken, die Natur, die Menschen und ihre Lebenswelten, die Städte und Dörfer, die alle ihre eigene Chronik erzählen. Zudem ist der Zug auch ein ökologisches Transportmittel, und ihn filmisch in Szene zu setzen und damit auch für ihn zu werben ist absolut zeitgemäß, finde ich. 

Planst du weiterhin, Filme für diese Serien zu liefern? Wohin bringt dich der nächste Zug?
Gern würde ich weiterhin solche Dokumentationen umsetzen, auch wenn es nicht leichter wird. Mal abgesehen von der Corona-Pandemie, die uns im Moment noch davon abhält, detailliert zu planen, ist es insgesamt schwieriger geworden, solche Dokumentationen umzusetzen. Oft sind mittlerweile sehr viele Genehmigungen nötig, die zumeist auch viel Geld kosten. 
Auch die Offenheit der Menschen gegenüber Medien hat sich in den letzten Jahren stark verändert. Einen Grund dafür sehe ich in der Fake-News-Debatte, die viele Menschen skeptisch gegenüber Medien und damit auch TV-Teams wie uns macht. Ich versuche immer zu erklären, dass ich mit meinen Dokumentationen Wissen vermitteln und Verständnis füreinander schaffen möchte. Meine Filme sollen Brücken bauen, Menschen miteinander verbinden, egal wo auf der Welt. Das ist, so glaube ich, meine Berufung. 

Grit Merten, herzlichen Dank für das Gespräch!