„Menschen interagieren mit dir und nicht mit einem Fotoapparat“

Interview mit dem Fotografen Radu Dumitrescu

Porträt: „Fotografie ist eine Sprache, die gelernt werden muss” – Radu Dumitrescu.
Bild: Adi Hadade

Die 76-jährige Baba Paraschiva liest aus ihrem Gebetsbuch ohne Lesebrille. Das Bild schaffte es unter die Finalisten beim Sony World Photography Award 2017.
Bild: Radu Dumitrescu

Radu Dumitrescu ist ein erfolgreicher Event- und Reisefotograf, der für seine Arbeit zahlreiche Preise erhalten hat. Er nahm 2017 an einem der weltweit größten Fotografie-Wettbewerbe, den Sony World Photography Awards, teil und schaffte es auf die Shortlist in der Kategorie „Kultur“ mit dem bewegenden Bild einer alten Dorffrau, die im Kerzenlicht aus einem Buch liest. Die Shortlist besteht aus den zehn Finalisten des Wettbewerbs, von denen drei als Gewinner ermittelt werden. Jährlich werden hunderttausende Bilder aus der ganzen Welt eingereicht. 
2020 war aufgrund der Corona-Pandemie ein schweres Jahr für den Fotografen. Im Gespräch mit ADZ-Redakteur Robert Tari erzählt Dumitrescu über das härteste Jahr seiner bisherigen Karriere, den beruflichen und finanziellen Einbruch und die zahlreichen Versuche, weiterhin als Fotograf zu arbeiten und zu überleben. 

Corona schlug Anfang März 2020 wie eine Bombe ein. Wie hat sich die Pandemie auf Ihre Arbeit ausgewirkt?


Ich musste am 7. März eine für damalige Verhältnisse kleine Veranstaltung fotografieren. Es dürften nicht mehr als 80 bis 100 Gäste gewesen sein. Aber es herrschte bereits Panik und Ungewissheit. Sowohl die Gäste als auch das Personal waren gehemmter, vorsichtiger. Für mich als Fotografen eine schwierige Situation, weil es nichts zu fotografieren gab. Eben weil die Stimmung gedrückt war. Es fühlte sich bereits so an, als würden wir auf einem Pulverfass sitzen, das jeden Augenblick hochgehen könnte. 
Was dann tatsächlich auch der Fall war: Nur wenige Tage später wurde der Notstand ausgerufen und Veranstaltungen wurden verboten. Bis zu diesem Zeitpunkt rechnete ich damit, dass 2020 ein gutes Jahr sein würde. Ich wurde bereits für 30 Veranstaltungen gebucht, machte mir also keine großen Sorgen. Ich dachte mir, dass vermutlich zwei oder drei Veranstaltungen abgesagt werden und dass sich nach einigen Monaten die Lage wieder entschärft. Aber dann wurde es zur Zerreißprobe: Ich erhielt fast täglich Anrufe von Kunden, die nicht wussten, was sie tun sollten. Viele haben umgebucht, einige haben sogar komplett abgesagt. 

Ich blieb aber optimistisch und hatte gehofft, dass man etwas retten könnte. Am Ende wurden aber alle 30 Veranstaltungen abgesagt. Für mich wurde es finanziell knapp. Ich hatte im vergangenen Sommer nur zwei kleine Veranstaltungen, erhielt für zwei Monate eine Hilfe vom Staat, hatte 2019 viel in neues Equipment investiert, auch weil ich wusste, dass mich 2020 viel Arbeit erwartet, tatsächlich aber kamen sporadisch kleinere Aufträge, die mich gerade mal so über Wasser hielten. 

Zudem mussten wir aufs Reisen verzichten. Mit Event-Fotografie verdiene ich zwar mein Brot, Reisefotografie ist aber für mich Nahrung für die Seele. Wir hatten für das Frühjahr eine Reise nach Sri Lanka geplant, um dort Bilder zu schießen. Die Quarantäne-Zeit machte mir somit stark zu schaffen: Sowohl beruflich als auch privat. Bekannte streuten noch zusätzlich Salz auf die Wunde und schlugen vor, ich solle mich umorientieren. Was für mich aber keine Option war.

Im Sinne von „einen neuen Berufsweg einschlagen“?

Genau. Ich habe Wirtschaft studiert und auch in diesem Bereich vor einigen Jahren gearbeitet, aber es passt einfach nicht zu mir. Für mich ist Fotografie eine Leidenschaft und eine Lebensweise. Jetzt geht es zum Beispiel wieder aufwärts. Nach der Lockerung strömen wieder Aufträge rein. Nicht nur Hochzeiten, sondern auch Aufträge von den größeren Universitäten der Stadt. Ich bin jetzt seit einem Monat ausgebucht, habe fast täglich ein Event. Wenn es irgendein Job wäre, könnte ich es kaum Montag bis Sonntag für 12 Stunden machen. Es geht aber, wenn es eine Leidenschaft ist. 

Ich wollte also nicht so schnell das Handtuch schmeißen. Stattdessen bin ich zusammen mit meiner Freundin nach Charlottenburg umgezogen, wo meine Familie ein Ferienhaus besitzt. Ich habe die Zeit dort genutzt, um andere Genres auszuprobieren. Produktfotografie zum Beispiel. Abends hab ich mir Online-Kurse von Produkt-Fotografen aus dem Ausland angeschaut. Meine Freundin kochte für uns, ich fotografierte dann das Ergebnis und wir aßen zusammen. Die freie Zeit erlaubte es mir, Neues zu lernen. Und es brachte mir auch neue Aufträge. Ich konnte somit das Gelernte auch gleich beruflich einsetzen. 

Was uns beiden fehlte war aber das Reisen. Also entschieden wir uns, kleinere Ausfahrten zu unternehmen und Rumänien zu entdecken. Sowohl zeitlich als auch finanziell konnten wir nicht viel machen. Meine Freundin arbeitete weiterhin. Ich richtete einen YouTube-Kanal ein und nutzte die Gelegenheit, unsere Reisen zu dokumentieren. 
Ich habe nach verschiedenen Möglichkeiten gesucht, die entstandene finanzielle Lücke zu füllen. Eine davon waren Fotoleinwände, die ich verkaufen wollte. Am Ende aber wurden die meisten von Freunden gekauft, um mich in der schwierigen Zeit zu unterstützen. 

Leider bleibt weiterhin Hochzeitsfotografie die lukrativste Einnahmequelle für einen Fotografen in Rumänien. Alle meine Versuche brachten etwas Geld ein, aber nicht genug, um davon leben zu können. 

Wie schwer ist es oder welche Hürden hat man, wenn man sich als Fotograf an andere Genres heranwagt?

Jemand, der keine Ahnung von Fotografie hat, denkt sich: Wie schwer kann es schon sein, es sind im Endeffekt doch auch nur Bilder. Aber zum Beispiel Produktfotografie ist was komplett anderes als Event-Fotografie. Event-Fotografie vereint eigentlich mehrere Genres. Es ist Dokumentarfotografie, eben weil man eine Veranstaltung in Bildern festhält, es beinhaltet aber auch ein wenig Produktfotografie, weil man zum Beispiel das Essen oder die gedeckten Tische fotografieren muss. Schließlich muss man eine Ahnung von Landschaftsfotografie haben, vor allem wenn man Paare zusammen in einer bestimmten Umgebung fotografiert. Und man muss eine Ahnung von Porträtfotografie haben. Es kommt also ein bisschen von allem zusammen. 

Produktfotografie entsteht in einer kontrollierten Umgebung. Das Licht, das man verwendet, ist fast immer künstlich. Man hat auch mehr Zeit. Während einer Veranstaltung muss man schnell sein und bestimmte Augenblicke einfangen. Bei Produktfotografie ist die Komposition wichtig und die Überarbeitung der Bilder. Es hat und macht mir immer noch Spaß, auch diese Form von Fotografie zu machen. Aber es lohnt sich finanziell nicht. 

Ich wurde letztes Jahr von einer Marketingagentur angeheuert, die mit Online-Plattformen wie „FoodPanda“ zusammenarbeitet. Die Preise, die Agenturen verhandeln, sind oft sehr niedrig. Sie boten mir zum Beispiel 15 Euro Brutto pro Stunde an. Für den Aufwand, den man hat, lohnt es sich einfach nicht. Besser ist es, wenn man direkt mit Restaurants arbeitet. Der Markt ist aber inzwischen gesättigt, schließlich erging es anderen Fotografen im vergangenen Jahr ähnlich wie mir. Vielen hatten diesen „Aha“-Moment.

Viele versuchen, sich ein passives Einkommen aufzubauen, indem sie ihre Bilder in Online-Börsen wie Shutterstock zur Verfügung stellen.

Ja, das habe ich auch versucht. Aber es ist fast unmöglich, davon zu leben. Ich habe im April 2020 Bilderserien mit meiner Freundin als Model und in den eigenen vier Wänden erstellt. Du brauchst aber ein großes Portfolio: Vermutlich über 10.000 hochgeladene Bilder, die auch für potenzielle Käufer relevant sein könnten. 

Ich habe zum Beispiel eine Bilderserie zum Thema „Homeoffice“ gemacht. Meine Freundin, angezogen in Arbeitskleidung und Pyjama. Für ein Bild, dass jemand bei Shutterstock einkauft, erhielt der Fotograf früher 35 Dollar-Cent. Die „Homeoffice“-Bilder haben sich vermutlich 30-40 Mal verkauft. Mein Gewinn: 12 US-Dollar. Dann schrieb mir Shutterstock, dass die Flut an eingereichten Bilder dramatisch angestiegen ist. Eben wegen der Pandemie weltweit. Jedes hochgeladene Bild wird bei Shutterstock zuerst überprüft und dann zugelassen oder abgewiesen. Aufgrund der hohen Anfrage dauerte es plötzlich länger, bis Bilder auf ihrer Plattform veröffentlicht wurden. Zudem wurde der Preis drastisch gesenkt: von 35 US-Cent auf 10 US-Cent pro Bild. Bei diesen Preisen ist es fast unmöglich einen Gewinn zu machen. Vielleicht, wenn man 50.000 Bilder hat. Ich habe 300 Bilder hochgeladen und 20 bis 30 US-Dollar daran verdient. 

Wieso ist es in Rumänien so schwer, als Fotograf finanziell erfolgreich zu sein? 

Fotografie ist eine Sprache, und wie jede Sprache muss sie gelernt werden. Die meisten Menschen sprechen einfach die Sprache nicht. Ja, Hochzeitsfotografie verkauft sich. Eben weil die Grundhaltung vorherrscht, dass es ein Ereignis ist, das „nur einmal im Leben“ passiert, und man möchte diesen Moment einfangen und möglichst schöne Bilder davon haben. 

Aber selten wissen Kunden zum Beispiel, wieso ein Bild schön ist. Sie können es nicht wirklich artikulieren. Ein Bild kann analysiert werden. Man kann ein gutes Bild anhand verschiedener Kriterien ermitteln: Komposition, Botschaft, Originalität, Farbe. Selten sagen Kunden zu mir, ich möchte, dass die Bilder eine Geschichte einfangen, dass die Bilder vom Ton her passen, dass die Bilder so und so aufgebaut sind. Die Erwartungen beschränken sich meistens auf: Ich möchte, dass die Bilder klar sind. Also vermutlich scharf. Das habe ich oft gehört. Sie möchten klare, scharfe Bilder haben. Und wenn es geht, viele Bilder. Oft fragen mich Kunden, ob ich ihnen nicht alles zuschicken kann, auch die unbearbeiteten Bilder. Es geht ihnen oft um Quantität. Der kreative Prozess an sich wird von vielen nicht wertgeschätzt. 

Hochzeitsfotografie wird sehr schlecht und sehr gut bezahlt. Man kann als Fotograf wachsen. Wenn man konstant gute Bilder abliefert und seriös ist. Im Marketing ist es schwer, zu wachsen. Es gibt einige namhafte rumänische Fotografen, mit denen zum Beispiel die Celebrities immer arbeiten. In diesen geschlossenen Kreis kommt man schwer rein, selbst wenn man gut ist. Wichtig sind Social Skills. Man darf nie vergessen, dass Menschen nicht mit einem Fotoapparat interagieren, sondern mit dir als Fotografen. Darum ist es wichtig, kommunikativ zu sein, warm, verständnisvoll. Nur so kann man ein Netzwerk aufbauen und sich immer Kunden sichern. 

Vielen Dank für das Gespräch.